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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Wolf Baudissin

Der erstaunte Arzt willigte nach mancher Widerrede ein, verlangte aber
zuvor die Benachrichtigung des Hausherrn. Dieser kam. und soweit es das
Persönliche Recht betraf, die Teilnahme um jenem Bündnisauftrag zu verweigern,
widersprach er nicht. Aber, meinte er, dazu brauche es keines Verstümmelns,
dergleichen Auskunftsmittel seien Sache militärscheuer Kvnskriptionspflichtiger;
vielmehr empfehle sichs, in einem Briefe an deu König die bereits vorgetragene
Bitte "nach reiflicher Überlegung" schriftlich zu wiederholen, und zwar mit dem
Hinzufügen, man unterwerfe sich jeder Strafe und erwarte hier den Ausgang.
Und auf Graf Baudissins Einwand -- denn er war es, von dem ich erzähle --
sein gütiger Wirt werde durch einen solchen Brief unfehlbar mit in die Unter¬
suchung verwickelt werden, lautete Graf Reventlows patriotische Antwort: "Das
würde ich als eine Ehre betrachten!"

Wie die Sache weiter verlief, werde ich noch berichten. Ich habe mit
diesem kleinen Ereignis aus Baudissins Leben begonnen, weil unter den Lesern
dieser Blätter den wenigen, denen das Glück seines Umgangs noch zu teil
geworden ist, vor allem das Bild seiner späten Jahre vorschweben wird, und
weil wir immer nur zu sehr geneigt sind, eine ungewöhnlich hohe Empfänglich¬
keit für die schönen Künste für etwas anzusehen, woneben energische Charakter¬
eigenschaften zurückzutreten pflegen. Ich blicke nun zunächst ans Baudissins
Kindheit.

Sein Großvater war Gouverneur von Dresden, und seine Großmutter
eine Zinzendorf, eine Nichte des ja auch aus Dresden, aus der Pirnischen
Vorstadt, stammenden Stifters der Herrenhuter Gemeinde. Sein Vater, Graf
Karl Ludwig Baudissin, ebenfalls kursächsischer Militär, hatte infolge eines
tödlich verlaufenen Duells seinen Abschied genommen und war in den dänischen
Dienst übergetreten. Wie bekannt, war damals so ziemlich der ganze Kopen¬
hagener Hof- und Regierungsdienst noch in den Händen des Schleswig-
Holsteinischen Adels. Mit einer Holsteinerin, einer Gräfin Dernath, verheiratete
sich denn mich der Vater Baudissins, und so verlebten die Kinder dieses Paares
ihre Sommer auf dem schönen holsteinischen Familiengute Rantzau, während
die Winter anfangs in Kopenhagen, später in Berlin zugebracht wurde", wo
von 1801--1806 der Vater als dänischer Gesandter thätig war.

Beide Eltern hatten eine treffliche Erziehung genossen und waren von
musterhafter Lebensführung. Dem Hauslehrer ihrer fünf Kinder, Friedrich
Kohlrausch, wurde daher die ihm zugefallene Aufgabe nicht allzu schwer. Ein
Briefchen, das der Knabe Wolf in seinem sechsten Jahre an seinen Bater
schrieb, schalte ich hier ein; es hat einen gar so treuherzigen Ton. "Guter
Vater, Nun mußt Dn nicht mehr glauben, daß ich krank bin. Gestern war
ich zum erstenmale mit Mutter im Garten, und spielte nachher mit den Brüdern
auf dem Hof. Mutter hat mir Dam gelehrt, und auch ein wenig unbedeutend
Schach. Ich wohne jetzt in Deiner Schlafstube- und da doch Jane sagt, ich


Grenzboten I I8L9
Wolf Baudissin

Der erstaunte Arzt willigte nach mancher Widerrede ein, verlangte aber
zuvor die Benachrichtigung des Hausherrn. Dieser kam. und soweit es das
Persönliche Recht betraf, die Teilnahme um jenem Bündnisauftrag zu verweigern,
widersprach er nicht. Aber, meinte er, dazu brauche es keines Verstümmelns,
dergleichen Auskunftsmittel seien Sache militärscheuer Kvnskriptionspflichtiger;
vielmehr empfehle sichs, in einem Briefe an deu König die bereits vorgetragene
Bitte „nach reiflicher Überlegung" schriftlich zu wiederholen, und zwar mit dem
Hinzufügen, man unterwerfe sich jeder Strafe und erwarte hier den Ausgang.
Und auf Graf Baudissins Einwand — denn er war es, von dem ich erzähle —
sein gütiger Wirt werde durch einen solchen Brief unfehlbar mit in die Unter¬
suchung verwickelt werden, lautete Graf Reventlows patriotische Antwort: „Das
würde ich als eine Ehre betrachten!"

Wie die Sache weiter verlief, werde ich noch berichten. Ich habe mit
diesem kleinen Ereignis aus Baudissins Leben begonnen, weil unter den Lesern
dieser Blätter den wenigen, denen das Glück seines Umgangs noch zu teil
geworden ist, vor allem das Bild seiner späten Jahre vorschweben wird, und
weil wir immer nur zu sehr geneigt sind, eine ungewöhnlich hohe Empfänglich¬
keit für die schönen Künste für etwas anzusehen, woneben energische Charakter¬
eigenschaften zurückzutreten pflegen. Ich blicke nun zunächst ans Baudissins
Kindheit.

Sein Großvater war Gouverneur von Dresden, und seine Großmutter
eine Zinzendorf, eine Nichte des ja auch aus Dresden, aus der Pirnischen
Vorstadt, stammenden Stifters der Herrenhuter Gemeinde. Sein Vater, Graf
Karl Ludwig Baudissin, ebenfalls kursächsischer Militär, hatte infolge eines
tödlich verlaufenen Duells seinen Abschied genommen und war in den dänischen
Dienst übergetreten. Wie bekannt, war damals so ziemlich der ganze Kopen¬
hagener Hof- und Regierungsdienst noch in den Händen des Schleswig-
Holsteinischen Adels. Mit einer Holsteinerin, einer Gräfin Dernath, verheiratete
sich denn mich der Vater Baudissins, und so verlebten die Kinder dieses Paares
ihre Sommer auf dem schönen holsteinischen Familiengute Rantzau, während
die Winter anfangs in Kopenhagen, später in Berlin zugebracht wurde», wo
von 1801—1806 der Vater als dänischer Gesandter thätig war.

Beide Eltern hatten eine treffliche Erziehung genossen und waren von
musterhafter Lebensführung. Dem Hauslehrer ihrer fünf Kinder, Friedrich
Kohlrausch, wurde daher die ihm zugefallene Aufgabe nicht allzu schwer. Ein
Briefchen, das der Knabe Wolf in seinem sechsten Jahre an seinen Bater
schrieb, schalte ich hier ein; es hat einen gar so treuherzigen Ton. „Guter
Vater, Nun mußt Dn nicht mehr glauben, daß ich krank bin. Gestern war
ich zum erstenmale mit Mutter im Garten, und spielte nachher mit den Brüdern
auf dem Hof. Mutter hat mir Dam gelehrt, und auch ein wenig unbedeutend
Schach. Ich wohne jetzt in Deiner Schlafstube- und da doch Jane sagt, ich


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[0329] Wolf Baudissin Der erstaunte Arzt willigte nach mancher Widerrede ein, verlangte aber zuvor die Benachrichtigung des Hausherrn. Dieser kam. und soweit es das Persönliche Recht betraf, die Teilnahme um jenem Bündnisauftrag zu verweigern, widersprach er nicht. Aber, meinte er, dazu brauche es keines Verstümmelns, dergleichen Auskunftsmittel seien Sache militärscheuer Kvnskriptionspflichtiger; vielmehr empfehle sichs, in einem Briefe an deu König die bereits vorgetragene Bitte „nach reiflicher Überlegung" schriftlich zu wiederholen, und zwar mit dem Hinzufügen, man unterwerfe sich jeder Strafe und erwarte hier den Ausgang. Und auf Graf Baudissins Einwand — denn er war es, von dem ich erzähle — sein gütiger Wirt werde durch einen solchen Brief unfehlbar mit in die Unter¬ suchung verwickelt werden, lautete Graf Reventlows patriotische Antwort: „Das würde ich als eine Ehre betrachten!" Wie die Sache weiter verlief, werde ich noch berichten. Ich habe mit diesem kleinen Ereignis aus Baudissins Leben begonnen, weil unter den Lesern dieser Blätter den wenigen, denen das Glück seines Umgangs noch zu teil geworden ist, vor allem das Bild seiner späten Jahre vorschweben wird, und weil wir immer nur zu sehr geneigt sind, eine ungewöhnlich hohe Empfänglich¬ keit für die schönen Künste für etwas anzusehen, woneben energische Charakter¬ eigenschaften zurückzutreten pflegen. Ich blicke nun zunächst ans Baudissins Kindheit. Sein Großvater war Gouverneur von Dresden, und seine Großmutter eine Zinzendorf, eine Nichte des ja auch aus Dresden, aus der Pirnischen Vorstadt, stammenden Stifters der Herrenhuter Gemeinde. Sein Vater, Graf Karl Ludwig Baudissin, ebenfalls kursächsischer Militär, hatte infolge eines tödlich verlaufenen Duells seinen Abschied genommen und war in den dänischen Dienst übergetreten. Wie bekannt, war damals so ziemlich der ganze Kopen¬ hagener Hof- und Regierungsdienst noch in den Händen des Schleswig- Holsteinischen Adels. Mit einer Holsteinerin, einer Gräfin Dernath, verheiratete sich denn mich der Vater Baudissins, und so verlebten die Kinder dieses Paares ihre Sommer auf dem schönen holsteinischen Familiengute Rantzau, während die Winter anfangs in Kopenhagen, später in Berlin zugebracht wurde», wo von 1801—1806 der Vater als dänischer Gesandter thätig war. Beide Eltern hatten eine treffliche Erziehung genossen und waren von musterhafter Lebensführung. Dem Hauslehrer ihrer fünf Kinder, Friedrich Kohlrausch, wurde daher die ihm zugefallene Aufgabe nicht allzu schwer. Ein Briefchen, das der Knabe Wolf in seinem sechsten Jahre an seinen Bater schrieb, schalte ich hier ein; es hat einen gar so treuherzigen Ton. „Guter Vater, Nun mußt Dn nicht mehr glauben, daß ich krank bin. Gestern war ich zum erstenmale mit Mutter im Garten, und spielte nachher mit den Brüdern auf dem Hof. Mutter hat mir Dam gelehrt, und auch ein wenig unbedeutend Schach. Ich wohne jetzt in Deiner Schlafstube- und da doch Jane sagt, ich Grenzboten I I8L9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/329>, abgerufen am 26.06.2024.