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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Grenzen zwischen Dichtung und Wissenschaft

letzten Konsequenz entwickelte Freihafenstelluug den berechtigten Anforderungen
einer neuen Zeit, die innerhalb Deutschlands keine Sonderung und keinen
Eigennutz diesem gegenüber duldet, geopfert werden mußte.

Der Verfasser schließt mit Worten, denen wir bereitwillig zustimmen. Er
sagt, zurückblickend auf deu Gaug seiner Betrachtungen des Gegenstandes:
"Die binnenländische Industrie und der hansestädtische Handel bedurften beide
der Erziehung. Jeder dieser großen Zweige der Arbeit unsers Volkes verdankt
einen guten Teil seines Wachstums Mitteln kluger Handelspolitik, wie solche
seine besonders geartete Natur erforderte. In höherm Grade als die Industrie
mußte der Handel sich selbst erziehen, ja sogar sich selbst erst die Politik
schaffen, von der seine gedeihliche Entwicklung abhing. Daß dies notwendig
war, wollen wir nicht beklagen. Denn auf diese Weise hat sich die deutsche
Volkswirtschaft zwar langsamer und mühseliger, aber gewiß auch fester und
dauerhafter entwickelt als diejenige mancher Nationen, die wir lange Zeit
beneiden zu müssen vermeinten."




Die Grenzen zwischen Dichtung und Wissenschaft
c Schluss)

le größte Gefahr, die von Seiten des sogenannten naturwissen¬
schaftlichen Geistes der poetischen Litteratur droht, liegt aber
keineswegs in der Hereinziehung überflüssigen naturwissenschaft¬
lichen Apparats in die Darstellung. Die talentvolleren Anhänger
.'mes Irrtums vermögen leichter eine grelle Geschmacklosigkeit
zu vermeiden, als den Irrtum selbst zu überwinde". Man würde hervor¬
ragenden Dichtern, die als Vertreter der Litteratur auf naturwissenschaftlicher
Grundlage gelten wollen, Unrecht thun, wenn man sie ausnahmslos beschuldigte"
unverarbeitetes physiologisches oder hygienisches Material in ihren Werken ge¬
häuft zu haben. Weit bedenklicher als diese gelegentliche Geschmacklosigkeit,
die jeder halbwegs begabte mit einigem Fleiß und einiger Sorgfalt leicht
überwinden kann, erscheint die Herrschaft gewisser naturwissenschaftlicher Lehren
und Anschauungen in poetischer Naturen und poetisch sein sollenden Werken.

Die Frage der Freiheit und der Begrenzung des menschlichen Willens
ist bekanntlich dnrch die neuesten naturwissenschaftlichen Forschungen keineswegs
so endgiltig entschieden worden, daß auch nur jeder naturwissenschaftlich ge>-


Die Grenzen zwischen Dichtung und Wissenschaft

letzten Konsequenz entwickelte Freihafenstelluug den berechtigten Anforderungen
einer neuen Zeit, die innerhalb Deutschlands keine Sonderung und keinen
Eigennutz diesem gegenüber duldet, geopfert werden mußte.

Der Verfasser schließt mit Worten, denen wir bereitwillig zustimmen. Er
sagt, zurückblickend auf deu Gaug seiner Betrachtungen des Gegenstandes:
„Die binnenländische Industrie und der hansestädtische Handel bedurften beide
der Erziehung. Jeder dieser großen Zweige der Arbeit unsers Volkes verdankt
einen guten Teil seines Wachstums Mitteln kluger Handelspolitik, wie solche
seine besonders geartete Natur erforderte. In höherm Grade als die Industrie
mußte der Handel sich selbst erziehen, ja sogar sich selbst erst die Politik
schaffen, von der seine gedeihliche Entwicklung abhing. Daß dies notwendig
war, wollen wir nicht beklagen. Denn auf diese Weise hat sich die deutsche
Volkswirtschaft zwar langsamer und mühseliger, aber gewiß auch fester und
dauerhafter entwickelt als diejenige mancher Nationen, die wir lange Zeit
beneiden zu müssen vermeinten."




Die Grenzen zwischen Dichtung und Wissenschaft
c Schluss)

le größte Gefahr, die von Seiten des sogenannten naturwissen¬
schaftlichen Geistes der poetischen Litteratur droht, liegt aber
keineswegs in der Hereinziehung überflüssigen naturwissenschaft¬
lichen Apparats in die Darstellung. Die talentvolleren Anhänger
.'mes Irrtums vermögen leichter eine grelle Geschmacklosigkeit
zu vermeiden, als den Irrtum selbst zu überwinde». Man würde hervor¬
ragenden Dichtern, die als Vertreter der Litteratur auf naturwissenschaftlicher
Grundlage gelten wollen, Unrecht thun, wenn man sie ausnahmslos beschuldigte»
unverarbeitetes physiologisches oder hygienisches Material in ihren Werken ge¬
häuft zu haben. Weit bedenklicher als diese gelegentliche Geschmacklosigkeit,
die jeder halbwegs begabte mit einigem Fleiß und einiger Sorgfalt leicht
überwinden kann, erscheint die Herrschaft gewisser naturwissenschaftlicher Lehren
und Anschauungen in poetischer Naturen und poetisch sein sollenden Werken.

Die Frage der Freiheit und der Begrenzung des menschlichen Willens
ist bekanntlich dnrch die neuesten naturwissenschaftlichen Forschungen keineswegs
so endgiltig entschieden worden, daß auch nur jeder naturwissenschaftlich ge>-


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[0318] Die Grenzen zwischen Dichtung und Wissenschaft letzten Konsequenz entwickelte Freihafenstelluug den berechtigten Anforderungen einer neuen Zeit, die innerhalb Deutschlands keine Sonderung und keinen Eigennutz diesem gegenüber duldet, geopfert werden mußte. Der Verfasser schließt mit Worten, denen wir bereitwillig zustimmen. Er sagt, zurückblickend auf deu Gaug seiner Betrachtungen des Gegenstandes: „Die binnenländische Industrie und der hansestädtische Handel bedurften beide der Erziehung. Jeder dieser großen Zweige der Arbeit unsers Volkes verdankt einen guten Teil seines Wachstums Mitteln kluger Handelspolitik, wie solche seine besonders geartete Natur erforderte. In höherm Grade als die Industrie mußte der Handel sich selbst erziehen, ja sogar sich selbst erst die Politik schaffen, von der seine gedeihliche Entwicklung abhing. Daß dies notwendig war, wollen wir nicht beklagen. Denn auf diese Weise hat sich die deutsche Volkswirtschaft zwar langsamer und mühseliger, aber gewiß auch fester und dauerhafter entwickelt als diejenige mancher Nationen, die wir lange Zeit beneiden zu müssen vermeinten." Die Grenzen zwischen Dichtung und Wissenschaft c Schluss) le größte Gefahr, die von Seiten des sogenannten naturwissen¬ schaftlichen Geistes der poetischen Litteratur droht, liegt aber keineswegs in der Hereinziehung überflüssigen naturwissenschaft¬ lichen Apparats in die Darstellung. Die talentvolleren Anhänger .'mes Irrtums vermögen leichter eine grelle Geschmacklosigkeit zu vermeiden, als den Irrtum selbst zu überwinde». Man würde hervor¬ ragenden Dichtern, die als Vertreter der Litteratur auf naturwissenschaftlicher Grundlage gelten wollen, Unrecht thun, wenn man sie ausnahmslos beschuldigte» unverarbeitetes physiologisches oder hygienisches Material in ihren Werken ge¬ häuft zu haben. Weit bedenklicher als diese gelegentliche Geschmacklosigkeit, die jeder halbwegs begabte mit einigem Fleiß und einiger Sorgfalt leicht überwinden kann, erscheint die Herrschaft gewisser naturwissenschaftlicher Lehren und Anschauungen in poetischer Naturen und poetisch sein sollenden Werken. Die Frage der Freiheit und der Begrenzung des menschlichen Willens ist bekanntlich dnrch die neuesten naturwissenschaftlichen Forschungen keineswegs so endgiltig entschieden worden, daß auch nur jeder naturwissenschaftlich ge>-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/318>, abgerufen am 26.06.2024.