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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Aus Hamburgs Handelsgeschichte

Verhandlungen des Rates und des Sechzigerkollegiums über den ?ordo I'iiiiuzo
begannen erst zu Anfang des Jahres 17IZ, und erst am 3. Mai war der
Entwurf des "Transit"," wie man sich jetzt ausdrückte, fertig. Am 8. Juni
wurde er von der Bürgerschaft genehmigt und damit Gesetz. In der Ein¬
leitung wurden "die dieser Stadt von uralten Zeiten evmpetirenden und von
Kayferl. May. allergnädigst evnfirmirten Zoll-Gerechtigkeiten expresse vor¬
behalten, so daß, falls dieser bloß zum Versuche eiugeftthrte Transito den "er¬
hofften Endzweck und Nutzen nicht haben mögte, die Stadt ihre habende Zoll-
Gerechtigkeit auf denselben Fuß wie bisher geschehe" und gleich als wenn dieser
Transito niemahls introdueiret worden, mich wie vor zu exerciren berechtiget
sein wolle." Im übrigen war das Gesetz eine halbe Maßregel, die die
Belästigung des Durchfuhrverkehrs nur wenig verminderte, nur etwa 350 Per¬
sonen zugute kam und die Zolleiuuahmen fast gar nicht beeinflußte- Die Kon¬
kurrenz Altonns wurde durch sie nicht unschädlich gemacht. Indes brach
wenigstens mit der Verordnung das Eis, das starre Festhalten am Fiskalismus
und Stapelzwange wurde aufgegeben, und man sah, daß Hamburg darüber
nicht zusammenstürzte. Alle späteren Schritte in derartiger Richtung sind
Folgen dieses Anfangs, so unvollkommen er auch war. Auch über diese
späteren Schritte wolle mau sich von unsrer Schrift selbst berichten lassen.
Wir erwähnen nur, daß sie wieder von der Kaufmannschaft ausgingen, vom
Rate unterstützt wurden und nur im Sechzigerkollegium Widerspruch und Be¬
hinderung fanden. Erst 1727 erfolgte mit einer neuen Trausitoverordnung
der Übergang von einem vorwiegend fiskalischen zu einem mehr merkauti listischen
Standpunkte der Gesetzgebung. Der nächste Abschnitt in der Entwicklung des
Hamburger Freihafens beginnt etwa 24 Jahre später. 1755 verlangte die
Kaufmannschaft die Beseitigung aller Ein- und Ausgangszolle, wobei zwar
die .Konkurrenz Attoncis noch immer eine wichtige Rolle spielte, aber auch
andre Umstände hinzukamen. Der Senat widersprach, und es dauerte fast
zehn Jahre, bis wieder eine Reform zu Stande kam: 1704 wurden alle Ein-
und Ausgangszolle auf Leinwand, Garn, Kupfer und Blech aufgehoben. Auch
weiterhin wurde lange Zeit immer nur deu dringendsten Bedürfnissen nach¬
gegeben, wenn hier reformirt wurde, und erst 1874 gelangte Hamburg zu
ganz unbeschränkter Zollfreiheit.

Fragen wir nnn mit dem Verfasser, welche Folge die Einführung der
Durchfuhrfreiheit in Hamburg für das übrige Deutschland gehabt hat, so ist
zu antworten: für eine" großen Teil desselben gar keine, für einen andern
mir eine geringe, und zwar zunächst eine günstige. Das Stromgebiet des
Rheins gravitirte mit seinem Verkehr nach Amsterdam, das der Weser ein¬
schließlich Hessens und eines Teiles von Franken nach Bremen, Mecklenburg
handelte vorzüglich über den Lübecker, Pommern über den Stettiner, West-
preußen über den Danziger Hafen. Das eigentliche Handelsgebiet Hamburgs


Aus Hamburgs Handelsgeschichte

Verhandlungen des Rates und des Sechzigerkollegiums über den ?ordo I'iiiiuzo
begannen erst zu Anfang des Jahres 17IZ, und erst am 3. Mai war der
Entwurf des „Transit»," wie man sich jetzt ausdrückte, fertig. Am 8. Juni
wurde er von der Bürgerschaft genehmigt und damit Gesetz. In der Ein¬
leitung wurden „die dieser Stadt von uralten Zeiten evmpetirenden und von
Kayferl. May. allergnädigst evnfirmirten Zoll-Gerechtigkeiten expresse vor¬
behalten, so daß, falls dieser bloß zum Versuche eiugeftthrte Transito den »er¬
hofften Endzweck und Nutzen nicht haben mögte, die Stadt ihre habende Zoll-
Gerechtigkeit auf denselben Fuß wie bisher geschehe» und gleich als wenn dieser
Transito niemahls introdueiret worden, mich wie vor zu exerciren berechtiget
sein wolle." Im übrigen war das Gesetz eine halbe Maßregel, die die
Belästigung des Durchfuhrverkehrs nur wenig verminderte, nur etwa 350 Per¬
sonen zugute kam und die Zolleiuuahmen fast gar nicht beeinflußte- Die Kon¬
kurrenz Altonns wurde durch sie nicht unschädlich gemacht. Indes brach
wenigstens mit der Verordnung das Eis, das starre Festhalten am Fiskalismus
und Stapelzwange wurde aufgegeben, und man sah, daß Hamburg darüber
nicht zusammenstürzte. Alle späteren Schritte in derartiger Richtung sind
Folgen dieses Anfangs, so unvollkommen er auch war. Auch über diese
späteren Schritte wolle mau sich von unsrer Schrift selbst berichten lassen.
Wir erwähnen nur, daß sie wieder von der Kaufmannschaft ausgingen, vom
Rate unterstützt wurden und nur im Sechzigerkollegium Widerspruch und Be¬
hinderung fanden. Erst 1727 erfolgte mit einer neuen Trausitoverordnung
der Übergang von einem vorwiegend fiskalischen zu einem mehr merkauti listischen
Standpunkte der Gesetzgebung. Der nächste Abschnitt in der Entwicklung des
Hamburger Freihafens beginnt etwa 24 Jahre später. 1755 verlangte die
Kaufmannschaft die Beseitigung aller Ein- und Ausgangszolle, wobei zwar
die .Konkurrenz Attoncis noch immer eine wichtige Rolle spielte, aber auch
andre Umstände hinzukamen. Der Senat widersprach, und es dauerte fast
zehn Jahre, bis wieder eine Reform zu Stande kam: 1704 wurden alle Ein-
und Ausgangszolle auf Leinwand, Garn, Kupfer und Blech aufgehoben. Auch
weiterhin wurde lange Zeit immer nur deu dringendsten Bedürfnissen nach¬
gegeben, wenn hier reformirt wurde, und erst 1874 gelangte Hamburg zu
ganz unbeschränkter Zollfreiheit.

Fragen wir nnn mit dem Verfasser, welche Folge die Einführung der
Durchfuhrfreiheit in Hamburg für das übrige Deutschland gehabt hat, so ist
zu antworten: für eine» großen Teil desselben gar keine, für einen andern
mir eine geringe, und zwar zunächst eine günstige. Das Stromgebiet des
Rheins gravitirte mit seinem Verkehr nach Amsterdam, das der Weser ein¬
schließlich Hessens und eines Teiles von Franken nach Bremen, Mecklenburg
handelte vorzüglich über den Lübecker, Pommern über den Stettiner, West-
preußen über den Danziger Hafen. Das eigentliche Handelsgebiet Hamburgs


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[0316] Aus Hamburgs Handelsgeschichte Verhandlungen des Rates und des Sechzigerkollegiums über den ?ordo I'iiiiuzo begannen erst zu Anfang des Jahres 17IZ, und erst am 3. Mai war der Entwurf des „Transit»," wie man sich jetzt ausdrückte, fertig. Am 8. Juni wurde er von der Bürgerschaft genehmigt und damit Gesetz. In der Ein¬ leitung wurden „die dieser Stadt von uralten Zeiten evmpetirenden und von Kayferl. May. allergnädigst evnfirmirten Zoll-Gerechtigkeiten expresse vor¬ behalten, so daß, falls dieser bloß zum Versuche eiugeftthrte Transito den »er¬ hofften Endzweck und Nutzen nicht haben mögte, die Stadt ihre habende Zoll- Gerechtigkeit auf denselben Fuß wie bisher geschehe» und gleich als wenn dieser Transito niemahls introdueiret worden, mich wie vor zu exerciren berechtiget sein wolle." Im übrigen war das Gesetz eine halbe Maßregel, die die Belästigung des Durchfuhrverkehrs nur wenig verminderte, nur etwa 350 Per¬ sonen zugute kam und die Zolleiuuahmen fast gar nicht beeinflußte- Die Kon¬ kurrenz Altonns wurde durch sie nicht unschädlich gemacht. Indes brach wenigstens mit der Verordnung das Eis, das starre Festhalten am Fiskalismus und Stapelzwange wurde aufgegeben, und man sah, daß Hamburg darüber nicht zusammenstürzte. Alle späteren Schritte in derartiger Richtung sind Folgen dieses Anfangs, so unvollkommen er auch war. Auch über diese späteren Schritte wolle mau sich von unsrer Schrift selbst berichten lassen. Wir erwähnen nur, daß sie wieder von der Kaufmannschaft ausgingen, vom Rate unterstützt wurden und nur im Sechzigerkollegium Widerspruch und Be¬ hinderung fanden. Erst 1727 erfolgte mit einer neuen Trausitoverordnung der Übergang von einem vorwiegend fiskalischen zu einem mehr merkauti listischen Standpunkte der Gesetzgebung. Der nächste Abschnitt in der Entwicklung des Hamburger Freihafens beginnt etwa 24 Jahre später. 1755 verlangte die Kaufmannschaft die Beseitigung aller Ein- und Ausgangszolle, wobei zwar die .Konkurrenz Attoncis noch immer eine wichtige Rolle spielte, aber auch andre Umstände hinzukamen. Der Senat widersprach, und es dauerte fast zehn Jahre, bis wieder eine Reform zu Stande kam: 1704 wurden alle Ein- und Ausgangszolle auf Leinwand, Garn, Kupfer und Blech aufgehoben. Auch weiterhin wurde lange Zeit immer nur deu dringendsten Bedürfnissen nach¬ gegeben, wenn hier reformirt wurde, und erst 1874 gelangte Hamburg zu ganz unbeschränkter Zollfreiheit. Fragen wir nnn mit dem Verfasser, welche Folge die Einführung der Durchfuhrfreiheit in Hamburg für das übrige Deutschland gehabt hat, so ist zu antworten: für eine» großen Teil desselben gar keine, für einen andern mir eine geringe, und zwar zunächst eine günstige. Das Stromgebiet des Rheins gravitirte mit seinem Verkehr nach Amsterdam, das der Weser ein¬ schließlich Hessens und eines Teiles von Franken nach Bremen, Mecklenburg handelte vorzüglich über den Lübecker, Pommern über den Stettiner, West- preußen über den Danziger Hafen. Das eigentliche Handelsgebiet Hamburgs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/316>, abgerufen am 26.06.2024.