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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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rechten ernstlicher als früher zu Leibe zu gehen, und zu gleicher Zeit brachte
in Altona die Rührigkeit dortiger Kaufleute, die Begünstigungen der Regierung
eifrig benutzend, das Kommissions- und Speditionsgeschäft zur Blüte. Das
ist der Zeitpunkt, wo die Bestrebungen zur Einführung zollfreien Verkehrs in
Hamburg ihren Anfang nahmen. Indes sah mau diese Reform znnüchst und
noch viele Jahre nur als eins der Mittel an, mit denen mau den immer mehr
verfallenden Stapelzwcmg wieder beleben zu können hoffte. Denn hieran hielt
man mit Zähigkeit fest, ohne sich des innern Widerspruchs zwischen Stapel¬
zwang und Zollfreiheit bewußt zu werden, da man eben nicht von volkswirt¬
schaftlichen Theorien ausging, sondern einzig und allein ein augenblickliches
Bedürfnis befriedigen und eine dringende Gefahr abwenden wollte. Erst im
Verlaufe einer jahrzehntelangen Erörterung der Sache gelangte mau zu festen
Grundsätzen, wobei die sich gleichfalls erst allmählich klärenden Anschauungen
der holländischen und englischen Freihändler zuletzt bedeutenden Einfluß übten.

Zuerst wurde die Errichtung eines Freihafens oder eines ?ordo Praiuzo,
wie man damals sagte, am 21. November 1692 in eiuer Versammlung einiger
Kvmmcrzdeputirteu angeregt, und es wurde beschlossen, einen Meinungsaus¬
tausch zu veranlassen, wie die Sache ins Werk zu richten sei. Aber erst am
21. Mai 1694 faßte die Kvunnerzdeputatiou den Beschluß, "um die Handlung
aller Waaren und Orten besser beizubehalten, mit den Herren Adjnnctis zu
deliberiren, wie das 1'oro ^runvo zu erhalten, und damit auf ein oder
zwei Jahre zu versuchen, und ob nicht deswegen ein Hans um Grasbrook an
der Elbe zu erbauen" -- womit der Gedanke an ein Freilager auftauchte,
welches ans einem kleinen Teile desselben Gebietes errichtet werden sollte, das
heutzutage das große Hamburger Freihafenviertel einnimmt. Am 31. Oktober
des letztgenannten Jahres beriet die Kommerzdeputation auf Anregung des
Rates die Angelegenheit von neuem, wobei zwei ältere Schiffer als Sachver¬
ständige zugezogen waren und beschlösse,? wurde, den Rat um Auskunft über
die Traktate mit Brandenburg und Lüneburg sowie über die kaiserlichem Pri¬
vilegien auf dem Elbstrome anzugehen, wonach derselbe "der Stadt frey ge¬
geben, die Waren verzollen zu lassen, da man gerne sähe, daß solche alte
Freyheit mögte unterstützet und fortgepflanzet werden, daß nämlich die, welche
der Stadt vorhin vorbeigefahren, müßten vor den Baum legen und verzolle" ...
das sollte bei deu betreffenden Potentaten und deren Ministern in Liebe und
Freundschaft gesuchet werden." Wegen des Freihafens verlangte man reifliche
Überlegung und Einziehung von Erkundigungen über ähnliche Einrichtungen
und erklärte, daß man "den ?ordo ?r"nov bey dieser Zeit (d. h. zur Zeit)
nicht wohl praetieable finde." Der Rat entsprach dem Wunsche nach reif¬
licher Überlegung so sehr, daß zwanzig Jahre verflossen, ehe ein entscheidender
Schritt in der Sache erfolgte. Was in der Zwischenzeit von Seiten der
Kaufmannschaft geschah, mag man in unsrer Schrift selbst nachlesen. Die


rechten ernstlicher als früher zu Leibe zu gehen, und zu gleicher Zeit brachte
in Altona die Rührigkeit dortiger Kaufleute, die Begünstigungen der Regierung
eifrig benutzend, das Kommissions- und Speditionsgeschäft zur Blüte. Das
ist der Zeitpunkt, wo die Bestrebungen zur Einführung zollfreien Verkehrs in
Hamburg ihren Anfang nahmen. Indes sah mau diese Reform znnüchst und
noch viele Jahre nur als eins der Mittel an, mit denen mau den immer mehr
verfallenden Stapelzwcmg wieder beleben zu können hoffte. Denn hieran hielt
man mit Zähigkeit fest, ohne sich des innern Widerspruchs zwischen Stapel¬
zwang und Zollfreiheit bewußt zu werden, da man eben nicht von volkswirt¬
schaftlichen Theorien ausging, sondern einzig und allein ein augenblickliches
Bedürfnis befriedigen und eine dringende Gefahr abwenden wollte. Erst im
Verlaufe einer jahrzehntelangen Erörterung der Sache gelangte mau zu festen
Grundsätzen, wobei die sich gleichfalls erst allmählich klärenden Anschauungen
der holländischen und englischen Freihändler zuletzt bedeutenden Einfluß übten.

Zuerst wurde die Errichtung eines Freihafens oder eines ?ordo Praiuzo,
wie man damals sagte, am 21. November 1692 in eiuer Versammlung einiger
Kvmmcrzdeputirteu angeregt, und es wurde beschlossen, einen Meinungsaus¬
tausch zu veranlassen, wie die Sache ins Werk zu richten sei. Aber erst am
21. Mai 1694 faßte die Kvunnerzdeputatiou den Beschluß, „um die Handlung
aller Waaren und Orten besser beizubehalten, mit den Herren Adjnnctis zu
deliberiren, wie das 1'oro ^runvo zu erhalten, und damit auf ein oder
zwei Jahre zu versuchen, und ob nicht deswegen ein Hans um Grasbrook an
der Elbe zu erbauen" — womit der Gedanke an ein Freilager auftauchte,
welches ans einem kleinen Teile desselben Gebietes errichtet werden sollte, das
heutzutage das große Hamburger Freihafenviertel einnimmt. Am 31. Oktober
des letztgenannten Jahres beriet die Kommerzdeputation auf Anregung des
Rates die Angelegenheit von neuem, wobei zwei ältere Schiffer als Sachver¬
ständige zugezogen waren und beschlösse,? wurde, den Rat um Auskunft über
die Traktate mit Brandenburg und Lüneburg sowie über die kaiserlichem Pri¬
vilegien auf dem Elbstrome anzugehen, wonach derselbe „der Stadt frey ge¬
geben, die Waren verzollen zu lassen, da man gerne sähe, daß solche alte
Freyheit mögte unterstützet und fortgepflanzet werden, daß nämlich die, welche
der Stadt vorhin vorbeigefahren, müßten vor den Baum legen und verzolle» ...
das sollte bei deu betreffenden Potentaten und deren Ministern in Liebe und
Freundschaft gesuchet werden." Wegen des Freihafens verlangte man reifliche
Überlegung und Einziehung von Erkundigungen über ähnliche Einrichtungen
und erklärte, daß man „den ?ordo ?r»nov bey dieser Zeit (d. h. zur Zeit)
nicht wohl praetieable finde." Der Rat entsprach dem Wunsche nach reif¬
licher Überlegung so sehr, daß zwanzig Jahre verflossen, ehe ein entscheidender
Schritt in der Sache erfolgte. Was in der Zwischenzeit von Seiten der
Kaufmannschaft geschah, mag man in unsrer Schrift selbst nachlesen. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/315>, abgerufen am 26.06.2024.