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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Umbildung des Strafrechtes

keineswegs das ausschließliche; nach Ansicht der internationalen Vereinigung
darf sie daher nicht ans den. Zusammenhange mit den andern Mitteln, unter
denen vor allem die vorbeugenden zu nennen sind, getrennt, sondern muß in
Gemeinschaft mit ihnen geregelt werden.

Die bisherige Strafrechtswissenschaft hat die durch die Statistik längst
nachgewiesene Unterscheidung zwischen dem Gewohnheits- und Gelegenhecks¬
verbrecher geflissentlich unbeachtet gelassen; beide Klassen werden nach gleichen
Grundsätzen behandelt und bestraft, fo widersinnig es anch ist, den zum vierzigsten
Male auf der Anklagebank erscheinenden Dieb nach gleichen Bestimmungen zu
beurteilen, wie den. der nur gelegentlich einen Diebstahl verübt hat. Die
internationale Bereinigung glaubt, daß diese unterschiedslose Behandlung auf¬
hören und durch eine auf die Unterschiede Rücksicht nehmende zu ersetzen ist;
sie verlangt deshalb mit Entschiedenheit, daß die Gesetzgebung alsbald den
Unterschied zwischen Gewohnheits- und Gelegenheitsverbrechern zur Grundlage
chrer Satzungen mache.

Einen Hauptübelstand erblickt sie aber in der Trennung des Strafvollzuges
von der Strafrechtspflege. Da es lediglich von dem Strafvollzug abhängt,
Welche Bedeutung das von dem Richter verhängte Strafübel für den Ver¬
urteilten erlangt, so ist es ein großer Mißstand, die eigentliche Rechtspflege
von dem Vollzüge der Strafen zu trennen; es muß. wenn die Strafe wirklich
"is das Übel empfunden werden soll, das sie nach An- und Absicht des Gesetz¬
gebers nud Richters sein soll, diese Trennung aufhören und der Strafvollzug
fortan einen wesentliche", richtiger gesagt den wesentlichsten Teil der Straf-
nchtspflegc bilden.

In dem heutigen Strafsystem nimmt die Freiheitsstrafe die erste Stelle
rü>; die Angriffe, die Mittelstadt gegen sie erhoben hat. gingen vielfach zu
weit, so berechtigt sie auch in manchen Punkten waren. Die internationale
Vereinigung nimmt die Freiheitsstrafe als wichtigste Strafe an. sie bekämpft
"ber die kurzen Freiheitsstrafen, diesen Fluch unsrer Rechtspflege, die nur
verderben, sie verlangt an ihrer Stelle andre wirksame Strafmittel; hier dürfte
Wohl die Prügelstrafe vor allem bei jugendlichen Verbrechern, in Betracht kommen,
auch die Einführung der Friedensbürgschnft dürfte zu erwägen sein. Was
die langen Freiheitsstrafen betrifft, so ist es nach Ansicht der Vereinigung
ungerechtfertigt, ihre Dauer ein für allemal in dem Urteile in unverrückbarer
Weise festzusetzen, sie verlangt, daß sie auch vou den Ergebnissen des ^->traf-
vvllzngs abhängig gemacht werde. Mit dieser Forderung meint die Ver¬
engung anch den'Besserungszweck zu berücksichtigen, dessen übertriebene
Beachtung von Seiten der herrschend gewesenen Schule sie im übrigen bekämpft.
Dies beweist sie vor allem durch die Aufstellung der Forderung, daß unver¬
besserliche Gewohnheitsverbrecher, selbst dann, wenn es sich um die häufige
Wiederholung kleinerer Vergehen handelt, für eine möglichst lange Zeit un-


Die Umbildung des Strafrechtes

keineswegs das ausschließliche; nach Ansicht der internationalen Vereinigung
darf sie daher nicht ans den. Zusammenhange mit den andern Mitteln, unter
denen vor allem die vorbeugenden zu nennen sind, getrennt, sondern muß in
Gemeinschaft mit ihnen geregelt werden.

Die bisherige Strafrechtswissenschaft hat die durch die Statistik längst
nachgewiesene Unterscheidung zwischen dem Gewohnheits- und Gelegenhecks¬
verbrecher geflissentlich unbeachtet gelassen; beide Klassen werden nach gleichen
Grundsätzen behandelt und bestraft, fo widersinnig es anch ist, den zum vierzigsten
Male auf der Anklagebank erscheinenden Dieb nach gleichen Bestimmungen zu
beurteilen, wie den. der nur gelegentlich einen Diebstahl verübt hat. Die
internationale Bereinigung glaubt, daß diese unterschiedslose Behandlung auf¬
hören und durch eine auf die Unterschiede Rücksicht nehmende zu ersetzen ist;
sie verlangt deshalb mit Entschiedenheit, daß die Gesetzgebung alsbald den
Unterschied zwischen Gewohnheits- und Gelegenheitsverbrechern zur Grundlage
chrer Satzungen mache.

Einen Hauptübelstand erblickt sie aber in der Trennung des Strafvollzuges
von der Strafrechtspflege. Da es lediglich von dem Strafvollzug abhängt,
Welche Bedeutung das von dem Richter verhängte Strafübel für den Ver¬
urteilten erlangt, so ist es ein großer Mißstand, die eigentliche Rechtspflege
von dem Vollzüge der Strafen zu trennen; es muß. wenn die Strafe wirklich
"is das Übel empfunden werden soll, das sie nach An- und Absicht des Gesetz¬
gebers nud Richters sein soll, diese Trennung aufhören und der Strafvollzug
fortan einen wesentliche», richtiger gesagt den wesentlichsten Teil der Straf-
nchtspflegc bilden.

In dem heutigen Strafsystem nimmt die Freiheitsstrafe die erste Stelle
rü>; die Angriffe, die Mittelstadt gegen sie erhoben hat. gingen vielfach zu
weit, so berechtigt sie auch in manchen Punkten waren. Die internationale
Vereinigung nimmt die Freiheitsstrafe als wichtigste Strafe an. sie bekämpft
"ber die kurzen Freiheitsstrafen, diesen Fluch unsrer Rechtspflege, die nur
verderben, sie verlangt an ihrer Stelle andre wirksame Strafmittel; hier dürfte
Wohl die Prügelstrafe vor allem bei jugendlichen Verbrechern, in Betracht kommen,
auch die Einführung der Friedensbürgschnft dürfte zu erwägen sein. Was
die langen Freiheitsstrafen betrifft, so ist es nach Ansicht der Vereinigung
ungerechtfertigt, ihre Dauer ein für allemal in dem Urteile in unverrückbarer
Weise festzusetzen, sie verlangt, daß sie auch vou den Ergebnissen des ^->traf-
vvllzngs abhängig gemacht werde. Mit dieser Forderung meint die Ver¬
engung anch den'Besserungszweck zu berücksichtigen, dessen übertriebene
Beachtung von Seiten der herrschend gewesenen Schule sie im übrigen bekämpft.
Dies beweist sie vor allem durch die Aufstellung der Forderung, daß unver¬
besserliche Gewohnheitsverbrecher, selbst dann, wenn es sich um die häufige
Wiederholung kleinerer Vergehen handelt, für eine möglichst lange Zeit un-


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[0307] Die Umbildung des Strafrechtes keineswegs das ausschließliche; nach Ansicht der internationalen Vereinigung darf sie daher nicht ans den. Zusammenhange mit den andern Mitteln, unter denen vor allem die vorbeugenden zu nennen sind, getrennt, sondern muß in Gemeinschaft mit ihnen geregelt werden. Die bisherige Strafrechtswissenschaft hat die durch die Statistik längst nachgewiesene Unterscheidung zwischen dem Gewohnheits- und Gelegenhecks¬ verbrecher geflissentlich unbeachtet gelassen; beide Klassen werden nach gleichen Grundsätzen behandelt und bestraft, fo widersinnig es anch ist, den zum vierzigsten Male auf der Anklagebank erscheinenden Dieb nach gleichen Bestimmungen zu beurteilen, wie den. der nur gelegentlich einen Diebstahl verübt hat. Die internationale Bereinigung glaubt, daß diese unterschiedslose Behandlung auf¬ hören und durch eine auf die Unterschiede Rücksicht nehmende zu ersetzen ist; sie verlangt deshalb mit Entschiedenheit, daß die Gesetzgebung alsbald den Unterschied zwischen Gewohnheits- und Gelegenheitsverbrechern zur Grundlage chrer Satzungen mache. Einen Hauptübelstand erblickt sie aber in der Trennung des Strafvollzuges von der Strafrechtspflege. Da es lediglich von dem Strafvollzug abhängt, Welche Bedeutung das von dem Richter verhängte Strafübel für den Ver¬ urteilten erlangt, so ist es ein großer Mißstand, die eigentliche Rechtspflege von dem Vollzüge der Strafen zu trennen; es muß. wenn die Strafe wirklich "is das Übel empfunden werden soll, das sie nach An- und Absicht des Gesetz¬ gebers nud Richters sein soll, diese Trennung aufhören und der Strafvollzug fortan einen wesentliche», richtiger gesagt den wesentlichsten Teil der Straf- nchtspflegc bilden. In dem heutigen Strafsystem nimmt die Freiheitsstrafe die erste Stelle rü>; die Angriffe, die Mittelstadt gegen sie erhoben hat. gingen vielfach zu weit, so berechtigt sie auch in manchen Punkten waren. Die internationale Vereinigung nimmt die Freiheitsstrafe als wichtigste Strafe an. sie bekämpft "ber die kurzen Freiheitsstrafen, diesen Fluch unsrer Rechtspflege, die nur verderben, sie verlangt an ihrer Stelle andre wirksame Strafmittel; hier dürfte Wohl die Prügelstrafe vor allem bei jugendlichen Verbrechern, in Betracht kommen, auch die Einführung der Friedensbürgschnft dürfte zu erwägen sein. Was die langen Freiheitsstrafen betrifft, so ist es nach Ansicht der Vereinigung ungerechtfertigt, ihre Dauer ein für allemal in dem Urteile in unverrückbarer Weise festzusetzen, sie verlangt, daß sie auch vou den Ergebnissen des ^->traf- vvllzngs abhängig gemacht werde. Mit dieser Forderung meint die Ver¬ engung anch den'Besserungszweck zu berücksichtigen, dessen übertriebene Beachtung von Seiten der herrschend gewesenen Schule sie im übrigen bekämpft. Dies beweist sie vor allem durch die Aufstellung der Forderung, daß unver¬ besserliche Gewohnheitsverbrecher, selbst dann, wenn es sich um die häufige Wiederholung kleinerer Vergehen handelt, für eine möglichst lange Zeit un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/307>, abgerufen am 26.06.2024.