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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Aus (Österreich

Schon darin liegt ein beruhigender Unterschied. Die Zuraten von 1848
hießen nicht Weißfeld und Löwenstein, aber sie trugen die Säbel nicht nur,
um damit auf dem Pflaster zu klappern, sendern schlugen sich als Honveds
tapfer. Und wenn die Verbreitung der sozialistischen Schlagwörter heutzutage
jede Volksbewegung gefährlich gemacht hat, so sehen wir zum Glück fast überall
Männer am Staatsruder, die nicht gewillt sind, sich von lärmenden Mengen
einschüchtern zu lassen. Der Kampf gegen die Allgewalt der Parlamente ist
überall entbrannt; wer Augen hat zu sehen, kann sich darüber nicht täuschen.
Keine andre Bedeutung hat die Pariser Wahl Boulangers, und niemand
wurde durch sie überrascht, als Menschen, welche die Scheuklappeu der Partei
tragen. Die Mehrheit der Franzosen, ob Bonapartisten, Orleanisteu oder
Republikaner, hat die Herrschaft der Redner wieder einmal gründlich satt und
sieht in dem General den Mann, der dieser Wirtschaft ein Ende machen
wird. Was dann? Darüber befinden sich gewiß die meisten, ihn selbst ein¬
gerechnet, im Unklaren.

Die großen Wiener Zeitungen erkennen den Zusammenhang auch ganz
gut. Wenn sie um die Niederlage der Republik klagen, meinen sie den Par¬
lamentarismus. Aber daß es so kommen mußte, wollen sie nicht sehen, uicht
die Zeitungen und nicht die Parlamentarier selbst. Auch in Österreich wenden
sich immer breitere Schichte" von dem Reichsrat ab. Darüber seufzen die
Führer, und über die Thatsache, daß eine ausgesprochen antisemitische und anti¬
parlamentarische Tageszeitung in allen deutscheu Kronländern rasch allgemeine
Verbreitung gefunden hat, suchen sie sich mit Entrüstung oder Spott zu tröste".
Sie verlassen sich darauf, daß ja ihre Zeit notwendigerweise wieder kommen
müsse, damit sie abermals ihre Stnatskunst bewähren können, wie von
1861--1865, von 1868--1870, von 1871--1879. Und bis dahin tummeln
die Gewohuheitsredner, die bei keinem Gegenstande schweigen können, und die
Quartalredner, die jeden dritten Monat eine Staatsschrift gut memorirt
vortragen, ihr Steckenpferd munter weiter. Ein Wiener Professor machte sich
auf der letzten Naturforscherversammlung über den "Denkfehler" der Spieler
lustig, welche glauben, jede Ziffer müsse einmal herauskommen, und je länger sie
ausbleibe, desto mehr steige die Wahrscheinlichkeit, während in der That, well die
herausgekommenen Nummern nicht ausgeschieden werden, die Wahrscheinlichkeit
jedesmal gleich groß bleibt für alle 36 Zahlen der Roulette und alle 90 des
Lottos. Er sollte seine These einmal auf das politische Leben anwenden, denn
da herrscht, wie wir sehen, derselbe Aberglaube!




Aus (Österreich

Schon darin liegt ein beruhigender Unterschied. Die Zuraten von 1848
hießen nicht Weißfeld und Löwenstein, aber sie trugen die Säbel nicht nur,
um damit auf dem Pflaster zu klappern, sendern schlugen sich als Honveds
tapfer. Und wenn die Verbreitung der sozialistischen Schlagwörter heutzutage
jede Volksbewegung gefährlich gemacht hat, so sehen wir zum Glück fast überall
Männer am Staatsruder, die nicht gewillt sind, sich von lärmenden Mengen
einschüchtern zu lassen. Der Kampf gegen die Allgewalt der Parlamente ist
überall entbrannt; wer Augen hat zu sehen, kann sich darüber nicht täuschen.
Keine andre Bedeutung hat die Pariser Wahl Boulangers, und niemand
wurde durch sie überrascht, als Menschen, welche die Scheuklappeu der Partei
tragen. Die Mehrheit der Franzosen, ob Bonapartisten, Orleanisteu oder
Republikaner, hat die Herrschaft der Redner wieder einmal gründlich satt und
sieht in dem General den Mann, der dieser Wirtschaft ein Ende machen
wird. Was dann? Darüber befinden sich gewiß die meisten, ihn selbst ein¬
gerechnet, im Unklaren.

Die großen Wiener Zeitungen erkennen den Zusammenhang auch ganz
gut. Wenn sie um die Niederlage der Republik klagen, meinen sie den Par¬
lamentarismus. Aber daß es so kommen mußte, wollen sie nicht sehen, uicht
die Zeitungen und nicht die Parlamentarier selbst. Auch in Österreich wenden
sich immer breitere Schichte» von dem Reichsrat ab. Darüber seufzen die
Führer, und über die Thatsache, daß eine ausgesprochen antisemitische und anti¬
parlamentarische Tageszeitung in allen deutscheu Kronländern rasch allgemeine
Verbreitung gefunden hat, suchen sie sich mit Entrüstung oder Spott zu tröste».
Sie verlassen sich darauf, daß ja ihre Zeit notwendigerweise wieder kommen
müsse, damit sie abermals ihre Stnatskunst bewähren können, wie von
1861—1865, von 1868—1870, von 1871—1879. Und bis dahin tummeln
die Gewohuheitsredner, die bei keinem Gegenstande schweigen können, und die
Quartalredner, die jeden dritten Monat eine Staatsschrift gut memorirt
vortragen, ihr Steckenpferd munter weiter. Ein Wiener Professor machte sich
auf der letzten Naturforscherversammlung über den „Denkfehler" der Spieler
lustig, welche glauben, jede Ziffer müsse einmal herauskommen, und je länger sie
ausbleibe, desto mehr steige die Wahrscheinlichkeit, während in der That, well die
herausgekommenen Nummern nicht ausgeschieden werden, die Wahrscheinlichkeit
jedesmal gleich groß bleibt für alle 36 Zahlen der Roulette und alle 90 des
Lottos. Er sollte seine These einmal auf das politische Leben anwenden, denn
da herrscht, wie wir sehen, derselbe Aberglaube!




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[0298] Aus (Österreich Schon darin liegt ein beruhigender Unterschied. Die Zuraten von 1848 hießen nicht Weißfeld und Löwenstein, aber sie trugen die Säbel nicht nur, um damit auf dem Pflaster zu klappern, sendern schlugen sich als Honveds tapfer. Und wenn die Verbreitung der sozialistischen Schlagwörter heutzutage jede Volksbewegung gefährlich gemacht hat, so sehen wir zum Glück fast überall Männer am Staatsruder, die nicht gewillt sind, sich von lärmenden Mengen einschüchtern zu lassen. Der Kampf gegen die Allgewalt der Parlamente ist überall entbrannt; wer Augen hat zu sehen, kann sich darüber nicht täuschen. Keine andre Bedeutung hat die Pariser Wahl Boulangers, und niemand wurde durch sie überrascht, als Menschen, welche die Scheuklappeu der Partei tragen. Die Mehrheit der Franzosen, ob Bonapartisten, Orleanisteu oder Republikaner, hat die Herrschaft der Redner wieder einmal gründlich satt und sieht in dem General den Mann, der dieser Wirtschaft ein Ende machen wird. Was dann? Darüber befinden sich gewiß die meisten, ihn selbst ein¬ gerechnet, im Unklaren. Die großen Wiener Zeitungen erkennen den Zusammenhang auch ganz gut. Wenn sie um die Niederlage der Republik klagen, meinen sie den Par¬ lamentarismus. Aber daß es so kommen mußte, wollen sie nicht sehen, uicht die Zeitungen und nicht die Parlamentarier selbst. Auch in Österreich wenden sich immer breitere Schichte» von dem Reichsrat ab. Darüber seufzen die Führer, und über die Thatsache, daß eine ausgesprochen antisemitische und anti¬ parlamentarische Tageszeitung in allen deutscheu Kronländern rasch allgemeine Verbreitung gefunden hat, suchen sie sich mit Entrüstung oder Spott zu tröste». Sie verlassen sich darauf, daß ja ihre Zeit notwendigerweise wieder kommen müsse, damit sie abermals ihre Stnatskunst bewähren können, wie von 1861—1865, von 1868—1870, von 1871—1879. Und bis dahin tummeln die Gewohuheitsredner, die bei keinem Gegenstande schweigen können, und die Quartalredner, die jeden dritten Monat eine Staatsschrift gut memorirt vortragen, ihr Steckenpferd munter weiter. Ein Wiener Professor machte sich auf der letzten Naturforscherversammlung über den „Denkfehler" der Spieler lustig, welche glauben, jede Ziffer müsse einmal herauskommen, und je länger sie ausbleibe, desto mehr steige die Wahrscheinlichkeit, während in der That, well die herausgekommenen Nummern nicht ausgeschieden werden, die Wahrscheinlichkeit jedesmal gleich groß bleibt für alle 36 Zahlen der Roulette und alle 90 des Lottos. Er sollte seine These einmal auf das politische Leben anwenden, denn da herrscht, wie wir sehen, derselbe Aberglaube!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/298>, abgerufen am 26.06.2024.