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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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und als, umworben von den WestmÄchten, Österreich im orientalischen Kriege
Partei nahm, hallte Europa wider von dem Ruhme der verjüngten Macht,
Ein unglücklicher Krieg vernichtete mit einem Schlage das Blendwerk, mit
dein man den Monarchen umgeben hatte, und ohne Zögern brach er mit
dein alten System und folgte dem Rate der Vertrauensmänner der öffentlichen
Meinung. Wir wissen, wie deren Ratschläge sich bewährt haben, wie Experi¬
ment auf Experiment folgte, und daß heute uoch die Hauptstützen der Re¬
gierung die Staatsverfassung mir mit Vorbehalt anerkennen, während jeder
Tag den Reichsrat wieder zu einem Rumpfparlament machen kann. Das Maß
Persönlichen Unglücks durfte man für voll halten, als kurz nach einander der
Kaiser von Mexiko erschossen worden war und eine Erzherzogin den Tod durch
Verbrennen gefunden hatte. Aber der furchtbarste Schlag war dem Kaiser uoch
für das Alter aufbewahrt!

Ältere Personen wollen in der Gegenwart eine Verwandtschaft mit der
letzten Zeit vor 1848 erkennen. Allerdings brütet wieder eine dumpfe Schwüle
über Europa, Explosionsstoff ist überall aufgehäuft, und ein Funke, zünde er
in Frankreich, in Rußland, in den Ländern an der untern Donau, kann Er¬
schütterungen in unberechenbarem Umfange hervorrufen. Unsre so sorgsam
gepflegten Beziehungen mit Serbien scheinen sich unerwartet wieder verschlechtern
zu wollen, die russische Partei und die russische Intrigue zeigen sich stärker,
als unsre Diplomaten meinten, die wieder einmal, wie zur Zeit der Verhand¬
lungen von Plvmbiöres, nicht bemerkt haben, was vorging. Die jüngsten
Tage in Budapest würden wohl in die Geschichte des Jahres 1848 passen.
Wieder schürten da verrückte Abgeordnete, hetzten die Jugend, und zeigten sich
geschmeichelt, wenn der Janhagel ihnen Eljen zubrüllte. Die alten Junker,
die einst I?mis Umarme seufzten, weil auch die Edelleute wie das gemeine
Volk Brückengeld zahlen sollte, waren längst zum Kinderspott geworden, aber
ihre würdigen Nachfolger erklären die Minister für Vaterlandsverräter, weil
sie den Studenten zumuten, deutsch zu lernen, lind als ob der Lächerlichkeit
noch "icht genug wäre, wird die verschollene "Exzelleuz" in Turin, der Herr
Gouverneur Kossuth, in seinem vierundachtzigsten Jahre uoch einmal als
Nationalheld ausgerufen, nachdem er sich vor dreißig Jahren durch seiue
Machenschaften mit Napoleon III. um den Rest von Kredit bei allen an¬
ständigen Leuten gebracht hatte. Mit dein Mute der frechen Bursche, die
durch ihr Geschrei auf der Gallerte des Abgeordnetenhauses und auf der Gasse das
Ministerium zu stürzen unternahmen, scheint es wohl nicht weit her zu sein:
die Kernmagyaren Weiszfeld, Exner, Garzsnly n. s. w. hatten den Mund voll
gewaltiger patriotischer Phrasen, aber vor einer Handvoll Polizisten liefen sie
mit ihrem nach Hunderten zahlenden Anhange davon, und daran, daß der
Pöbel zu Ehren der Freiheit und des Vaterlandes Laternen und Fenster zer¬
trümmerte, daran siud die Vrandreden der jungeu Herren natürlich unschuldig.


Grenzboten I 188!) 37
Ans «Österreich

und als, umworben von den WestmÄchten, Österreich im orientalischen Kriege
Partei nahm, hallte Europa wider von dem Ruhme der verjüngten Macht,
Ein unglücklicher Krieg vernichtete mit einem Schlage das Blendwerk, mit
dein man den Monarchen umgeben hatte, und ohne Zögern brach er mit
dein alten System und folgte dem Rate der Vertrauensmänner der öffentlichen
Meinung. Wir wissen, wie deren Ratschläge sich bewährt haben, wie Experi¬
ment auf Experiment folgte, und daß heute uoch die Hauptstützen der Re¬
gierung die Staatsverfassung mir mit Vorbehalt anerkennen, während jeder
Tag den Reichsrat wieder zu einem Rumpfparlament machen kann. Das Maß
Persönlichen Unglücks durfte man für voll halten, als kurz nach einander der
Kaiser von Mexiko erschossen worden war und eine Erzherzogin den Tod durch
Verbrennen gefunden hatte. Aber der furchtbarste Schlag war dem Kaiser uoch
für das Alter aufbewahrt!

Ältere Personen wollen in der Gegenwart eine Verwandtschaft mit der
letzten Zeit vor 1848 erkennen. Allerdings brütet wieder eine dumpfe Schwüle
über Europa, Explosionsstoff ist überall aufgehäuft, und ein Funke, zünde er
in Frankreich, in Rußland, in den Ländern an der untern Donau, kann Er¬
schütterungen in unberechenbarem Umfange hervorrufen. Unsre so sorgsam
gepflegten Beziehungen mit Serbien scheinen sich unerwartet wieder verschlechtern
zu wollen, die russische Partei und die russische Intrigue zeigen sich stärker,
als unsre Diplomaten meinten, die wieder einmal, wie zur Zeit der Verhand¬
lungen von Plvmbiöres, nicht bemerkt haben, was vorging. Die jüngsten
Tage in Budapest würden wohl in die Geschichte des Jahres 1848 passen.
Wieder schürten da verrückte Abgeordnete, hetzten die Jugend, und zeigten sich
geschmeichelt, wenn der Janhagel ihnen Eljen zubrüllte. Die alten Junker,
die einst I?mis Umarme seufzten, weil auch die Edelleute wie das gemeine
Volk Brückengeld zahlen sollte, waren längst zum Kinderspott geworden, aber
ihre würdigen Nachfolger erklären die Minister für Vaterlandsverräter, weil
sie den Studenten zumuten, deutsch zu lernen, lind als ob der Lächerlichkeit
noch »icht genug wäre, wird die verschollene „Exzelleuz" in Turin, der Herr
Gouverneur Kossuth, in seinem vierundachtzigsten Jahre uoch einmal als
Nationalheld ausgerufen, nachdem er sich vor dreißig Jahren durch seiue
Machenschaften mit Napoleon III. um den Rest von Kredit bei allen an¬
ständigen Leuten gebracht hatte. Mit dein Mute der frechen Bursche, die
durch ihr Geschrei auf der Gallerte des Abgeordnetenhauses und auf der Gasse das
Ministerium zu stürzen unternahmen, scheint es wohl nicht weit her zu sein:
die Kernmagyaren Weiszfeld, Exner, Garzsnly n. s. w. hatten den Mund voll
gewaltiger patriotischer Phrasen, aber vor einer Handvoll Polizisten liefen sie
mit ihrem nach Hunderten zahlenden Anhange davon, und daran, daß der
Pöbel zu Ehren der Freiheit und des Vaterlandes Laternen und Fenster zer¬
trümmerte, daran siud die Vrandreden der jungeu Herren natürlich unschuldig.


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[0297] Ans «Österreich und als, umworben von den WestmÄchten, Österreich im orientalischen Kriege Partei nahm, hallte Europa wider von dem Ruhme der verjüngten Macht, Ein unglücklicher Krieg vernichtete mit einem Schlage das Blendwerk, mit dein man den Monarchen umgeben hatte, und ohne Zögern brach er mit dein alten System und folgte dem Rate der Vertrauensmänner der öffentlichen Meinung. Wir wissen, wie deren Ratschläge sich bewährt haben, wie Experi¬ ment auf Experiment folgte, und daß heute uoch die Hauptstützen der Re¬ gierung die Staatsverfassung mir mit Vorbehalt anerkennen, während jeder Tag den Reichsrat wieder zu einem Rumpfparlament machen kann. Das Maß Persönlichen Unglücks durfte man für voll halten, als kurz nach einander der Kaiser von Mexiko erschossen worden war und eine Erzherzogin den Tod durch Verbrennen gefunden hatte. Aber der furchtbarste Schlag war dem Kaiser uoch für das Alter aufbewahrt! Ältere Personen wollen in der Gegenwart eine Verwandtschaft mit der letzten Zeit vor 1848 erkennen. Allerdings brütet wieder eine dumpfe Schwüle über Europa, Explosionsstoff ist überall aufgehäuft, und ein Funke, zünde er in Frankreich, in Rußland, in den Ländern an der untern Donau, kann Er¬ schütterungen in unberechenbarem Umfange hervorrufen. Unsre so sorgsam gepflegten Beziehungen mit Serbien scheinen sich unerwartet wieder verschlechtern zu wollen, die russische Partei und die russische Intrigue zeigen sich stärker, als unsre Diplomaten meinten, die wieder einmal, wie zur Zeit der Verhand¬ lungen von Plvmbiöres, nicht bemerkt haben, was vorging. Die jüngsten Tage in Budapest würden wohl in die Geschichte des Jahres 1848 passen. Wieder schürten da verrückte Abgeordnete, hetzten die Jugend, und zeigten sich geschmeichelt, wenn der Janhagel ihnen Eljen zubrüllte. Die alten Junker, die einst I?mis Umarme seufzten, weil auch die Edelleute wie das gemeine Volk Brückengeld zahlen sollte, waren längst zum Kinderspott geworden, aber ihre würdigen Nachfolger erklären die Minister für Vaterlandsverräter, weil sie den Studenten zumuten, deutsch zu lernen, lind als ob der Lächerlichkeit noch »icht genug wäre, wird die verschollene „Exzelleuz" in Turin, der Herr Gouverneur Kossuth, in seinem vierundachtzigsten Jahre uoch einmal als Nationalheld ausgerufen, nachdem er sich vor dreißig Jahren durch seiue Machenschaften mit Napoleon III. um den Rest von Kredit bei allen an¬ ständigen Leuten gebracht hatte. Mit dein Mute der frechen Bursche, die durch ihr Geschrei auf der Gallerte des Abgeordnetenhauses und auf der Gasse das Ministerium zu stürzen unternahmen, scheint es wohl nicht weit her zu sein: die Kernmagyaren Weiszfeld, Exner, Garzsnly n. s. w. hatten den Mund voll gewaltiger patriotischer Phrasen, aber vor einer Handvoll Polizisten liefen sie mit ihrem nach Hunderten zahlenden Anhange davon, und daran, daß der Pöbel zu Ehren der Freiheit und des Vaterlandes Laternen und Fenster zer¬ trümmerte, daran siud die Vrandreden der jungeu Herren natürlich unschuldig. Grenzboten I 188!) 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/297>, abgerufen am 26.06.2024.