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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Ans (Österreich

wieder einmal empörend. In dem Bemühen, die Neugier zu befriedigen und
die Skandalsucht des Lesepöbels mit neuem Stoffe zu versehen, lassen große
und kleine Blätter keine Rücksicht, kein Erbarmen walten. Aus Hofkreisen waren
in der Zeit der ersten Bestürzung und der Unentschlossenheit wegen der Art
der Veröffentlichung zweideutige Mitteilungen ergangen, und mit Gier stürzte
man sich auf die Ausbeutung des Geheimnisvoller an der Sache - natürlich
stets mit der nötigen Vorsicht. Zwischen den Zeilen läßt sich ja vieles sagen,
wofür der Staatsanwalt keine Rechenschaft fordern kaun. Und wo nicht dieser
widerwärtigsten Klatscherei gefröhnt wurde, da machte sich das zudringliche
Revortertnm in andrer Gestalt breit. Wie das jetzt Sitte ist, wurden Szenen
ausgemalt, denen kein Zeuge beigewohnt haben kann, der sich herbeilassen
würde, seine Beobachtungen einem Journalisten anzuvertrauen. Da wurde von
dem Schmerze der kaiserlichen Familie gesprochen, als ob es etwas ungewöhn¬
liches, sozusagen ein Verdienst wäre, den Verlust eines Angehörigen zu be¬
trauern. Da wurde förmlich Buch geführt über jede Thräne und jedes Schluchzen.
In der Hast und Angst, sich nicht eine piknute Einzelheit entgehen zu lassen,
welche die Konkurrenten "bringen" könnten, erlischt alles menschliche Gefühl,
alle Scham und Scheu. Und ebenso kommt dieser Sorte von Berichterstattern
augenscheinlich gar nicht zum Bewußtsein, zu welchen Schlußfolgerungen sie
herausfordern, wenn sie, angeblich im Übermaße des Schmerzes, sich geberden,
als sei nun alles Licht in Österreich erloschen, alle Hoffnung für die Zukunft
erstorben. Ähnliche Überschwänglichkeiten, wie sich deren im verflossenen Jahre
auch in Deutschland manche Zeitungen schuldig machte,:, beschränken sich hier
aber nicht ans die Presse. Auch an andern Stellen hat die Schönrednerei zu
Aufbauschungen verleitet, die unverantwortlich sein würden, wenn sich an¬
nehmen ließe, daß die Redner sich dabei etwas gedacht haben. Wie soll man
es da gewissen dunkeln Ehrenmännern verargen, wenn sie sich in das Licht
einer Intimität mit dem Verstorbenen zu stellen suchen, der solche Verleum¬
dung nicht mehr abwehren kann ?

Der arme Kaiser! Vor zwei Monaten wurde, seinem Wunsche zufolge
ohne Pomp, der vierzigste Jahrestag seiner Thronbesteigung gefeiert, und
Reden und Festärtikel hoben, wie sich von selbst versteht, die Lichtpunkte in
diesem Zeiträume hervor. Heute erinnern wir uns unwillkürlich der Kämpfe,
der Verluste, der Opfer und Entsagungen, welche als Schatten in dem Bilde
erscheinen. Als er, eil? achtzehnjähriger Jüngling, zur Regierung berufen wurde,
mußte der größere Teil des Reiches erst wieder erobert werden, und es wäre
kein Wunder, wenn die Eindrücke seiner ersten Regierungsjahre ihn für alle
Zeit zum Autokraten gemacht hätten; um so mehr, als der neubegründete
Absolutismus die größten Erfolge im Innern und nach außen zu haben ^
schien. Ein eisernes Regiment machte jede Äußerung der Mißstimmung un¬
möglich, Sardinien wurde niedergeworfen, Preußen wich ohne Kampf zurück,


Ans (Österreich

wieder einmal empörend. In dem Bemühen, die Neugier zu befriedigen und
die Skandalsucht des Lesepöbels mit neuem Stoffe zu versehen, lassen große
und kleine Blätter keine Rücksicht, kein Erbarmen walten. Aus Hofkreisen waren
in der Zeit der ersten Bestürzung und der Unentschlossenheit wegen der Art
der Veröffentlichung zweideutige Mitteilungen ergangen, und mit Gier stürzte
man sich auf die Ausbeutung des Geheimnisvoller an der Sache - natürlich
stets mit der nötigen Vorsicht. Zwischen den Zeilen läßt sich ja vieles sagen,
wofür der Staatsanwalt keine Rechenschaft fordern kaun. Und wo nicht dieser
widerwärtigsten Klatscherei gefröhnt wurde, da machte sich das zudringliche
Revortertnm in andrer Gestalt breit. Wie das jetzt Sitte ist, wurden Szenen
ausgemalt, denen kein Zeuge beigewohnt haben kann, der sich herbeilassen
würde, seine Beobachtungen einem Journalisten anzuvertrauen. Da wurde von
dem Schmerze der kaiserlichen Familie gesprochen, als ob es etwas ungewöhn¬
liches, sozusagen ein Verdienst wäre, den Verlust eines Angehörigen zu be¬
trauern. Da wurde förmlich Buch geführt über jede Thräne und jedes Schluchzen.
In der Hast und Angst, sich nicht eine piknute Einzelheit entgehen zu lassen,
welche die Konkurrenten „bringen" könnten, erlischt alles menschliche Gefühl,
alle Scham und Scheu. Und ebenso kommt dieser Sorte von Berichterstattern
augenscheinlich gar nicht zum Bewußtsein, zu welchen Schlußfolgerungen sie
herausfordern, wenn sie, angeblich im Übermaße des Schmerzes, sich geberden,
als sei nun alles Licht in Österreich erloschen, alle Hoffnung für die Zukunft
erstorben. Ähnliche Überschwänglichkeiten, wie sich deren im verflossenen Jahre
auch in Deutschland manche Zeitungen schuldig machte,:, beschränken sich hier
aber nicht ans die Presse. Auch an andern Stellen hat die Schönrednerei zu
Aufbauschungen verleitet, die unverantwortlich sein würden, wenn sich an¬
nehmen ließe, daß die Redner sich dabei etwas gedacht haben. Wie soll man
es da gewissen dunkeln Ehrenmännern verargen, wenn sie sich in das Licht
einer Intimität mit dem Verstorbenen zu stellen suchen, der solche Verleum¬
dung nicht mehr abwehren kann ?

Der arme Kaiser! Vor zwei Monaten wurde, seinem Wunsche zufolge
ohne Pomp, der vierzigste Jahrestag seiner Thronbesteigung gefeiert, und
Reden und Festärtikel hoben, wie sich von selbst versteht, die Lichtpunkte in
diesem Zeiträume hervor. Heute erinnern wir uns unwillkürlich der Kämpfe,
der Verluste, der Opfer und Entsagungen, welche als Schatten in dem Bilde
erscheinen. Als er, eil? achtzehnjähriger Jüngling, zur Regierung berufen wurde,
mußte der größere Teil des Reiches erst wieder erobert werden, und es wäre
kein Wunder, wenn die Eindrücke seiner ersten Regierungsjahre ihn für alle
Zeit zum Autokraten gemacht hätten; um so mehr, als der neubegründete
Absolutismus die größten Erfolge im Innern und nach außen zu haben ^
schien. Ein eisernes Regiment machte jede Äußerung der Mißstimmung un¬
möglich, Sardinien wurde niedergeworfen, Preußen wich ohne Kampf zurück,


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[0296] Ans (Österreich wieder einmal empörend. In dem Bemühen, die Neugier zu befriedigen und die Skandalsucht des Lesepöbels mit neuem Stoffe zu versehen, lassen große und kleine Blätter keine Rücksicht, kein Erbarmen walten. Aus Hofkreisen waren in der Zeit der ersten Bestürzung und der Unentschlossenheit wegen der Art der Veröffentlichung zweideutige Mitteilungen ergangen, und mit Gier stürzte man sich auf die Ausbeutung des Geheimnisvoller an der Sache - natürlich stets mit der nötigen Vorsicht. Zwischen den Zeilen läßt sich ja vieles sagen, wofür der Staatsanwalt keine Rechenschaft fordern kaun. Und wo nicht dieser widerwärtigsten Klatscherei gefröhnt wurde, da machte sich das zudringliche Revortertnm in andrer Gestalt breit. Wie das jetzt Sitte ist, wurden Szenen ausgemalt, denen kein Zeuge beigewohnt haben kann, der sich herbeilassen würde, seine Beobachtungen einem Journalisten anzuvertrauen. Da wurde von dem Schmerze der kaiserlichen Familie gesprochen, als ob es etwas ungewöhn¬ liches, sozusagen ein Verdienst wäre, den Verlust eines Angehörigen zu be¬ trauern. Da wurde förmlich Buch geführt über jede Thräne und jedes Schluchzen. In der Hast und Angst, sich nicht eine piknute Einzelheit entgehen zu lassen, welche die Konkurrenten „bringen" könnten, erlischt alles menschliche Gefühl, alle Scham und Scheu. Und ebenso kommt dieser Sorte von Berichterstattern augenscheinlich gar nicht zum Bewußtsein, zu welchen Schlußfolgerungen sie herausfordern, wenn sie, angeblich im Übermaße des Schmerzes, sich geberden, als sei nun alles Licht in Österreich erloschen, alle Hoffnung für die Zukunft erstorben. Ähnliche Überschwänglichkeiten, wie sich deren im verflossenen Jahre auch in Deutschland manche Zeitungen schuldig machte,:, beschränken sich hier aber nicht ans die Presse. Auch an andern Stellen hat die Schönrednerei zu Aufbauschungen verleitet, die unverantwortlich sein würden, wenn sich an¬ nehmen ließe, daß die Redner sich dabei etwas gedacht haben. Wie soll man es da gewissen dunkeln Ehrenmännern verargen, wenn sie sich in das Licht einer Intimität mit dem Verstorbenen zu stellen suchen, der solche Verleum¬ dung nicht mehr abwehren kann ? Der arme Kaiser! Vor zwei Monaten wurde, seinem Wunsche zufolge ohne Pomp, der vierzigste Jahrestag seiner Thronbesteigung gefeiert, und Reden und Festärtikel hoben, wie sich von selbst versteht, die Lichtpunkte in diesem Zeiträume hervor. Heute erinnern wir uns unwillkürlich der Kämpfe, der Verluste, der Opfer und Entsagungen, welche als Schatten in dem Bilde erscheinen. Als er, eil? achtzehnjähriger Jüngling, zur Regierung berufen wurde, mußte der größere Teil des Reiches erst wieder erobert werden, und es wäre kein Wunder, wenn die Eindrücke seiner ersten Regierungsjahre ihn für alle Zeit zum Autokraten gemacht hätten; um so mehr, als der neubegründete Absolutismus die größten Erfolge im Innern und nach außen zu haben ^ schien. Ein eisernes Regiment machte jede Äußerung der Mißstimmung un¬ möglich, Sardinien wurde niedergeworfen, Preußen wich ohne Kampf zurück,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/296>, abgerufen am 26.06.2024.