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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die revolutionäre Gesellschaftskritik in Schillers Iugenddrawe".

der Regierung Friedrich Wilheüns III. annähernd verwirklicht Hot. Dieselbe
Ansicht spricht sich bei Schiller ans, wo er sie am aufrichtigsten an den Tag
legt, in seinein eignen Thun. Wenn er in der Unordentlichkeit des Mann-
heimer Theaterlebens nach einem außer" Halt suchte, um aufrecht und gesell-
schastsfähig zu bleiben, so richteten sich seine Augen in erster Linie immer
darauf, von einem regierenden Fürsten einen "Charakter" zu erhalten, und als
endlich am 27. Dezember 1784 vom Herzog Karl August ein Handschreiben
eintraf mit der Aufschrift: "Dem Sachse" Weimarischen Rat Dr. Schiller,"
da blickte der Dichter, wie sein Freund Streicher berichtet, n"i vieles freier
und selbstbewußter ins Leben. Beim Abschied von Mannheim schwebte dem
Dichter des Posa hauptsächlich der Gedanke vor, in deu Dienste" eines der
sächsischen Fürsten eine Anstellung zu finden, am liebstell als Minister. Nicht
Goethe allein hat mit dein Gefühl der herzlichsten .Hingebung von "seinen: Fürsten"
gesprochen, mich Schiller war, selbst in der stürmischen Zeit seiner Jugend,
stets willig es zu thun, wenn ihm nur die Gelegenheit geboten wurde. Seine
l'ürgertümliche Opposition gegen den Adel geht ebenso wie die Goethische im
"Werther" durchaus uicht gegen die politische Stellung des Stmides, die ja
mich in den verschiednen dentschen Staaten ganz verschieden war, sonder" gegen
das allgemein unliebsam empfundene "Vorurteil," den Hochmut des "von," welcher
Menschen vou einander trennte, die dnrch innere Bildung wie durch äußere Ver¬
hältnisse, oder zum mindesten durch das erstere, einander gleichgestellt oder nahe
gerückt waren. In "Kabale und Liebe" geht der Dichter nicht weiter. Er stattet seine
Luise mit dein empfindsamsten Herzen ans, und ein empfiiidsames Herz hieß damals
so viel als die Blüte der Bildung. Die Frage stellte sich bemaltes so: Warum
soll Ferdinand nicht ein gebildetes, aus rechtschaffener bürgerlicher Familie
stammendes, von ihm geliebtes Mädchen heiraten? Und die Antwort: Weil
sein Vater ein Hochmntsnarr war und der Gesellschaftskreis, in dem er lebte,
seinen Dünkel teilte. Um Vorurteile zu zerstreuen, braucht es keine Re-
volution. Die wirksamste Bekämpfung des leeren Adelswahnes bestand darin,
daß ein Staat da war, der um seiner selbst willen jedem Talent und Verdienst
freie Bahn zu eröffnen sich bereit zeigte und die Mittel besaß, der von ihm
geprägte" Auszeichnung öffentliche A"erkeuim"g z" verschaffe". Eine" Dersf-
liuger und Scharnhorst ins Feld z" stellen, war eine bessere Bekämpfung
junkerlichen Vorurteils, als mit lächerlichen Affektionen sich gegenseitig Citoyen
zu tituliren oder aus heiserer Kehle t^a, ira, 1"zö aristooriitizs Z. 1". IMerrie! zu
l'rüttelt. ,^ . . ,

Wer es verstand, die dem sittliche" sowohl wie dem politischen Gefühl
widerwärtigen Züge, die das deutsche öffentliche Lebe" erstellte", auf-eine
gemeinsame Quelle zurückzuführen, der hatte diese längst erkannt in der deutschen
Zersplitterung nud Zwergstaaterei. Das schärfste Wort gegen deren Elend
und Elendigkeit hatte als Publizist derselbe Manu gefunden, der als Feldherr


Die revolutionäre Gesellschaftskritik in Schillers Iugenddrawe».

der Regierung Friedrich Wilheüns III. annähernd verwirklicht Hot. Dieselbe
Ansicht spricht sich bei Schiller ans, wo er sie am aufrichtigsten an den Tag
legt, in seinein eignen Thun. Wenn er in der Unordentlichkeit des Mann-
heimer Theaterlebens nach einem außer» Halt suchte, um aufrecht und gesell-
schastsfähig zu bleiben, so richteten sich seine Augen in erster Linie immer
darauf, von einem regierenden Fürsten einen „Charakter" zu erhalten, und als
endlich am 27. Dezember 1784 vom Herzog Karl August ein Handschreiben
eintraf mit der Aufschrift: „Dem Sachse» Weimarischen Rat Dr. Schiller,"
da blickte der Dichter, wie sein Freund Streicher berichtet, n»i vieles freier
und selbstbewußter ins Leben. Beim Abschied von Mannheim schwebte dem
Dichter des Posa hauptsächlich der Gedanke vor, in deu Dienste» eines der
sächsischen Fürsten eine Anstellung zu finden, am liebstell als Minister. Nicht
Goethe allein hat mit dein Gefühl der herzlichsten .Hingebung von „seinen: Fürsten"
gesprochen, mich Schiller war, selbst in der stürmischen Zeit seiner Jugend,
stets willig es zu thun, wenn ihm nur die Gelegenheit geboten wurde. Seine
l'ürgertümliche Opposition gegen den Adel geht ebenso wie die Goethische im
„Werther" durchaus uicht gegen die politische Stellung des Stmides, die ja
mich in den verschiednen dentschen Staaten ganz verschieden war, sonder» gegen
das allgemein unliebsam empfundene „Vorurteil," den Hochmut des „von," welcher
Menschen vou einander trennte, die dnrch innere Bildung wie durch äußere Ver¬
hältnisse, oder zum mindesten durch das erstere, einander gleichgestellt oder nahe
gerückt waren. In „Kabale und Liebe" geht der Dichter nicht weiter. Er stattet seine
Luise mit dein empfindsamsten Herzen ans, und ein empfiiidsames Herz hieß damals
so viel als die Blüte der Bildung. Die Frage stellte sich bemaltes so: Warum
soll Ferdinand nicht ein gebildetes, aus rechtschaffener bürgerlicher Familie
stammendes, von ihm geliebtes Mädchen heiraten? Und die Antwort: Weil
sein Vater ein Hochmntsnarr war und der Gesellschaftskreis, in dem er lebte,
seinen Dünkel teilte. Um Vorurteile zu zerstreuen, braucht es keine Re-
volution. Die wirksamste Bekämpfung des leeren Adelswahnes bestand darin,
daß ein Staat da war, der um seiner selbst willen jedem Talent und Verdienst
freie Bahn zu eröffnen sich bereit zeigte und die Mittel besaß, der von ihm
geprägte» Auszeichnung öffentliche A»erkeuim»g z» verschaffe». Eine» Dersf-
liuger und Scharnhorst ins Feld z» stellen, war eine bessere Bekämpfung
junkerlichen Vorurteils, als mit lächerlichen Affektionen sich gegenseitig Citoyen
zu tituliren oder aus heiserer Kehle t^a, ira, 1«zö aristooriitizs Z. 1». IMerrie! zu
l'rüttelt. ,^ . . ,

Wer es verstand, die dem sittliche» sowohl wie dem politischen Gefühl
widerwärtigen Züge, die das deutsche öffentliche Lebe» erstellte», auf-eine
gemeinsame Quelle zurückzuführen, der hatte diese längst erkannt in der deutschen
Zersplitterung nud Zwergstaaterei. Das schärfste Wort gegen deren Elend
und Elendigkeit hatte als Publizist derselbe Manu gefunden, der als Feldherr


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[0293] Die revolutionäre Gesellschaftskritik in Schillers Iugenddrawe». der Regierung Friedrich Wilheüns III. annähernd verwirklicht Hot. Dieselbe Ansicht spricht sich bei Schiller ans, wo er sie am aufrichtigsten an den Tag legt, in seinein eignen Thun. Wenn er in der Unordentlichkeit des Mann- heimer Theaterlebens nach einem außer» Halt suchte, um aufrecht und gesell- schastsfähig zu bleiben, so richteten sich seine Augen in erster Linie immer darauf, von einem regierenden Fürsten einen „Charakter" zu erhalten, und als endlich am 27. Dezember 1784 vom Herzog Karl August ein Handschreiben eintraf mit der Aufschrift: „Dem Sachse» Weimarischen Rat Dr. Schiller," da blickte der Dichter, wie sein Freund Streicher berichtet, n»i vieles freier und selbstbewußter ins Leben. Beim Abschied von Mannheim schwebte dem Dichter des Posa hauptsächlich der Gedanke vor, in deu Dienste» eines der sächsischen Fürsten eine Anstellung zu finden, am liebstell als Minister. Nicht Goethe allein hat mit dein Gefühl der herzlichsten .Hingebung von „seinen: Fürsten" gesprochen, mich Schiller war, selbst in der stürmischen Zeit seiner Jugend, stets willig es zu thun, wenn ihm nur die Gelegenheit geboten wurde. Seine l'ürgertümliche Opposition gegen den Adel geht ebenso wie die Goethische im „Werther" durchaus uicht gegen die politische Stellung des Stmides, die ja mich in den verschiednen dentschen Staaten ganz verschieden war, sonder» gegen das allgemein unliebsam empfundene „Vorurteil," den Hochmut des „von," welcher Menschen vou einander trennte, die dnrch innere Bildung wie durch äußere Ver¬ hältnisse, oder zum mindesten durch das erstere, einander gleichgestellt oder nahe gerückt waren. In „Kabale und Liebe" geht der Dichter nicht weiter. Er stattet seine Luise mit dein empfindsamsten Herzen ans, und ein empfiiidsames Herz hieß damals so viel als die Blüte der Bildung. Die Frage stellte sich bemaltes so: Warum soll Ferdinand nicht ein gebildetes, aus rechtschaffener bürgerlicher Familie stammendes, von ihm geliebtes Mädchen heiraten? Und die Antwort: Weil sein Vater ein Hochmntsnarr war und der Gesellschaftskreis, in dem er lebte, seinen Dünkel teilte. Um Vorurteile zu zerstreuen, braucht es keine Re- volution. Die wirksamste Bekämpfung des leeren Adelswahnes bestand darin, daß ein Staat da war, der um seiner selbst willen jedem Talent und Verdienst freie Bahn zu eröffnen sich bereit zeigte und die Mittel besaß, der von ihm geprägte» Auszeichnung öffentliche A»erkeuim»g z» verschaffe». Eine» Dersf- liuger und Scharnhorst ins Feld z» stellen, war eine bessere Bekämpfung junkerlichen Vorurteils, als mit lächerlichen Affektionen sich gegenseitig Citoyen zu tituliren oder aus heiserer Kehle t^a, ira, 1«zö aristooriitizs Z. 1». IMerrie! zu l'rüttelt. ,^ . . , Wer es verstand, die dem sittliche» sowohl wie dem politischen Gefühl widerwärtigen Züge, die das deutsche öffentliche Lebe» erstellte», auf-eine gemeinsame Quelle zurückzuführen, der hatte diese längst erkannt in der deutschen Zersplitterung nud Zwergstaaterei. Das schärfste Wort gegen deren Elend und Elendigkeit hatte als Publizist derselbe Manu gefunden, der als Feldherr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/293>, abgerufen am 26.06.2024.