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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die revolutionäre Gesellschaftskritik in Schillers Jugendtraum

mit seinem scharfen Schwerte die Bahn brach, die dereinst zur endgiltigen Be¬
siegung des Jammers führen sollte, Friedrich II. Politische Satire großen
Stils durchzieht die ganze Bändereihe seiner Werke. Und mit genialer Sicher"
heit weiß diese Satire den wurden Punkt zu treffen. Die unumschränkte
Monarchie, im deutschen und in Friedrichs Geist erfaßt, war kein Schaden
der Zeit, sie war eine segensvolle geschichtliche Notwendigkeit, und Reform der
Verwaltung, uicht Beschränkung der Königsgewalt war das Ziel der auf¬
geklärtesten Patrioten beim Ablauf des Jahrhunderts. Derjenige Adel, der,
wie der französische, durch Dünkel und Liederlichkeit das Vernichtuugsurteil
heraufbeschwor, saß an den Höfen der geistlichen und Duodezstaaten; mit diesen
mußte auch er verschwinden. So hatte denn Deutschland ebenfalls seine
revolutionäre Idee, eine Idee so berechtigt wie nnr eine der "neufränkischen"
von 1789, so umfassend und tiefgreifend in ihrer weltgeschichtlichen Tragweite,
aber eine Idee von nationaler Besonderheit: die Vernichtung der Zwergstaaterei
und der alle Sünden der weltlichen Duodezstaaten noch übertretenden geistlichen
Herrschaften.

Niemand aber dachte daran, für die Durchführung dieser Idee die ent¬
fesselte Volkskraft in Anspruch zu nehmen. Dem lebendigen Staat wurde die
Aufgabe überlasten, mit den toten Staatsformen aufzuräumen. Um das
Jahr 1789 war im ganzen deutschen Bürgertum keine Faser revolutionär,
aber wärmer denn je erglühten die Herzen für die Gedanken des Fortschritts.
Fester denn je stand der Glaube an die siegreiche Macht der Ideen. Wo dem
Gedanken freie Bewegung verstattet war, da hielt man den Sieg der Ver¬
nunft und Gerechtigkeit für gesichert, für unausbleiblich. Dem Dichter des
"Don Carlos" bleibt der Ruhm, in monumentaler Prägung für seine Nation
das Wort der Epoche ausgesprochen zu haben: "Sire, geben Sie Gednuken-
freiheit!" Der Accent war der des Poeten und des Mannes, der Unter¬
drückung gelitten hat. Der Denker, Friedrichs Unterthan, bekennt sich zu, dem¬
selben idealistischen Glauben, aber er spricht ihn aus mit dem Tone des stolzen
Bewußtseins, daß für ihn die Gedankenfreiheit nicht Sehnsucht, sondern Wirk¬
lichkeit ist. Das Bewußtsein eiuer gesicherte"! Grundlage für jeglichen Kultur¬
fortschritt ist es, das in deu Worten des Alten von: Köuigsberge sich aus-
spricht: "Wenn denn nun gefragt wird: leben wir jetzt in einem aufgeklärten
Zeitalter? so ist die Autwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklä¬
rung." Anfklürnng war nach Kantischen Begriff das Heraustreten der Menschheit
ans selbstverschuldeter Unmündigkeit, das allmähliche Abstreifen des "Unvermögens,
sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen." Den Schritt zur
Mündigkeit zu thun, erachtete Deutschlands tiefster Denker als die nächste Auf¬
gabe der Kulturentwicklung für alle, die am Fortschritt der Menschheit leben¬
digen Anteil hatten. Aber er gedachte diesen Schritt zu thun mit seinen: König,
nicht im Widerspruch gegen das Königinn,. Wenn die Natur, sy sagt Kant


Die revolutionäre Gesellschaftskritik in Schillers Jugendtraum

mit seinem scharfen Schwerte die Bahn brach, die dereinst zur endgiltigen Be¬
siegung des Jammers führen sollte, Friedrich II. Politische Satire großen
Stils durchzieht die ganze Bändereihe seiner Werke. Und mit genialer Sicher«
heit weiß diese Satire den wurden Punkt zu treffen. Die unumschränkte
Monarchie, im deutschen und in Friedrichs Geist erfaßt, war kein Schaden
der Zeit, sie war eine segensvolle geschichtliche Notwendigkeit, und Reform der
Verwaltung, uicht Beschränkung der Königsgewalt war das Ziel der auf¬
geklärtesten Patrioten beim Ablauf des Jahrhunderts. Derjenige Adel, der,
wie der französische, durch Dünkel und Liederlichkeit das Vernichtuugsurteil
heraufbeschwor, saß an den Höfen der geistlichen und Duodezstaaten; mit diesen
mußte auch er verschwinden. So hatte denn Deutschland ebenfalls seine
revolutionäre Idee, eine Idee so berechtigt wie nnr eine der „neufränkischen"
von 1789, so umfassend und tiefgreifend in ihrer weltgeschichtlichen Tragweite,
aber eine Idee von nationaler Besonderheit: die Vernichtung der Zwergstaaterei
und der alle Sünden der weltlichen Duodezstaaten noch übertretenden geistlichen
Herrschaften.

Niemand aber dachte daran, für die Durchführung dieser Idee die ent¬
fesselte Volkskraft in Anspruch zu nehmen. Dem lebendigen Staat wurde die
Aufgabe überlasten, mit den toten Staatsformen aufzuräumen. Um das
Jahr 1789 war im ganzen deutschen Bürgertum keine Faser revolutionär,
aber wärmer denn je erglühten die Herzen für die Gedanken des Fortschritts.
Fester denn je stand der Glaube an die siegreiche Macht der Ideen. Wo dem
Gedanken freie Bewegung verstattet war, da hielt man den Sieg der Ver¬
nunft und Gerechtigkeit für gesichert, für unausbleiblich. Dem Dichter des
„Don Carlos" bleibt der Ruhm, in monumentaler Prägung für seine Nation
das Wort der Epoche ausgesprochen zu haben: „Sire, geben Sie Gednuken-
freiheit!" Der Accent war der des Poeten und des Mannes, der Unter¬
drückung gelitten hat. Der Denker, Friedrichs Unterthan, bekennt sich zu, dem¬
selben idealistischen Glauben, aber er spricht ihn aus mit dem Tone des stolzen
Bewußtseins, daß für ihn die Gedankenfreiheit nicht Sehnsucht, sondern Wirk¬
lichkeit ist. Das Bewußtsein eiuer gesicherte»! Grundlage für jeglichen Kultur¬
fortschritt ist es, das in deu Worten des Alten von: Köuigsberge sich aus-
spricht: „Wenn denn nun gefragt wird: leben wir jetzt in einem aufgeklärten
Zeitalter? so ist die Autwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklä¬
rung." Anfklürnng war nach Kantischen Begriff das Heraustreten der Menschheit
ans selbstverschuldeter Unmündigkeit, das allmähliche Abstreifen des „Unvermögens,
sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen." Den Schritt zur
Mündigkeit zu thun, erachtete Deutschlands tiefster Denker als die nächste Auf¬
gabe der Kulturentwicklung für alle, die am Fortschritt der Menschheit leben¬
digen Anteil hatten. Aber er gedachte diesen Schritt zu thun mit seinen: König,
nicht im Widerspruch gegen das Königinn,. Wenn die Natur, sy sagt Kant


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[0294] Die revolutionäre Gesellschaftskritik in Schillers Jugendtraum mit seinem scharfen Schwerte die Bahn brach, die dereinst zur endgiltigen Be¬ siegung des Jammers führen sollte, Friedrich II. Politische Satire großen Stils durchzieht die ganze Bändereihe seiner Werke. Und mit genialer Sicher« heit weiß diese Satire den wurden Punkt zu treffen. Die unumschränkte Monarchie, im deutschen und in Friedrichs Geist erfaßt, war kein Schaden der Zeit, sie war eine segensvolle geschichtliche Notwendigkeit, und Reform der Verwaltung, uicht Beschränkung der Königsgewalt war das Ziel der auf¬ geklärtesten Patrioten beim Ablauf des Jahrhunderts. Derjenige Adel, der, wie der französische, durch Dünkel und Liederlichkeit das Vernichtuugsurteil heraufbeschwor, saß an den Höfen der geistlichen und Duodezstaaten; mit diesen mußte auch er verschwinden. So hatte denn Deutschland ebenfalls seine revolutionäre Idee, eine Idee so berechtigt wie nnr eine der „neufränkischen" von 1789, so umfassend und tiefgreifend in ihrer weltgeschichtlichen Tragweite, aber eine Idee von nationaler Besonderheit: die Vernichtung der Zwergstaaterei und der alle Sünden der weltlichen Duodezstaaten noch übertretenden geistlichen Herrschaften. Niemand aber dachte daran, für die Durchführung dieser Idee die ent¬ fesselte Volkskraft in Anspruch zu nehmen. Dem lebendigen Staat wurde die Aufgabe überlasten, mit den toten Staatsformen aufzuräumen. Um das Jahr 1789 war im ganzen deutschen Bürgertum keine Faser revolutionär, aber wärmer denn je erglühten die Herzen für die Gedanken des Fortschritts. Fester denn je stand der Glaube an die siegreiche Macht der Ideen. Wo dem Gedanken freie Bewegung verstattet war, da hielt man den Sieg der Ver¬ nunft und Gerechtigkeit für gesichert, für unausbleiblich. Dem Dichter des „Don Carlos" bleibt der Ruhm, in monumentaler Prägung für seine Nation das Wort der Epoche ausgesprochen zu haben: „Sire, geben Sie Gednuken- freiheit!" Der Accent war der des Poeten und des Mannes, der Unter¬ drückung gelitten hat. Der Denker, Friedrichs Unterthan, bekennt sich zu, dem¬ selben idealistischen Glauben, aber er spricht ihn aus mit dem Tone des stolzen Bewußtseins, daß für ihn die Gedankenfreiheit nicht Sehnsucht, sondern Wirk¬ lichkeit ist. Das Bewußtsein eiuer gesicherte»! Grundlage für jeglichen Kultur¬ fortschritt ist es, das in deu Worten des Alten von: Köuigsberge sich aus- spricht: „Wenn denn nun gefragt wird: leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Autwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklä¬ rung." Anfklürnng war nach Kantischen Begriff das Heraustreten der Menschheit ans selbstverschuldeter Unmündigkeit, das allmähliche Abstreifen des „Unvermögens, sich seines Verstandes ohne Leitung eines andern zu bedienen." Den Schritt zur Mündigkeit zu thun, erachtete Deutschlands tiefster Denker als die nächste Auf¬ gabe der Kulturentwicklung für alle, die am Fortschritt der Menschheit leben¬ digen Anteil hatten. Aber er gedachte diesen Schritt zu thun mit seinen: König, nicht im Widerspruch gegen das Königinn,. Wenn die Natur, sy sagt Kant

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/294>, abgerufen am 25.08.2024.