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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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gemeine gerichteten Geist allerdings über diesen Standpunkt hinausgetrieben.
Soweit er aber dieser Neigung folgte, ließ ihn auch sein Publikum im Stich
und wandte sich seinem Rivalen Jffland zu, der mit klugem Verständnis zu
berechnen wußte, wohin und wieweit das Oppvsitiousgefühl braver Bürgers¬
leute ihn zu begleiten geneigt war. Der Herr Amtmann mochte seine Schwachen
haben, ja es mochte recht böse Amtmänner geben, aber sobald der Fürst aller-
höchstselbst erschien, den Mantel auseinander schlug und den großen Ordens¬
stern auf der Brust zeigte, war alles wieder gut.

Allerdings macheu sich die "Räuber" und uoch mehr die verschiedene!!
dramaturgischen Abhandlungen, die ihr Verfasser zur Erläuterung des "Un¬
geheuers" in die Welt sandte, sehr viel mit der "moralischen Weltordnung" zu
schaffen. Diese hat, meint Schiller in einem Aufsatz der "Rheinischen Thalia,"
den Verfasser der "Räuber" als einen Beleidiger der Majestät vorgefordert.
Wenn sie es that, so haben nur tausend Zeugnisse dafür, daß die große Masse
des Publikums in Deutschland nichts davou merkte. Eine Vermehrung der
Meßdiebstähle befürchtete der Leipziger Magistrat von der allzu verführerischen
Ausmalung des Räüberlebeus. Und es war das nicht etwa nur eine den
stadtvüterlicheu Bedenken prosaischer Rathausmenschen entsprungene Nachtwächter¬
idee. Nein, der Vater der modernen Dichtung im lvürttembergischeu Schwaben,
Johann Ludwig Huber, weist in seinen "Lebenserinnerungen" ebenfalls sehr
ernsthaft darauf hin, daß der Versuch zweier Strolche, ihn vor dein Stutt¬
garter Thor seine goldene Uhr zu entreißen, wohl mit dein Ausfall zusnmmeu-
hängeu möchte, den die "Räuber" des bei Nacht und Nebel davongegnugeueu
Regimeutsiuedikus auch in seiner Heimat gefunden hatte. Diekraftgelunlische Auf-
lehnung gegen die "sittliche Weltordnung" --- wie sollte die einem Geschlecht
verständlich sein, dem es noch gar nicht anders in den Sinn gekommen war,
als daß der liebe Gott die Welt regiere, und zwar sehr gut. Eine Satire
auf den irdischen Absolutismus der deutschen Landesherren hat erst eine viel
spätere Zeit in Schillers Dichtungen'hineingelesen. Nur im Vorbeigehen, und
ohne sonderliches Gewicht darauf zu legen, mag daran erinnert sein, daß das
Land, das dem Dichter die meisten und eindrucksvollsten Züge zu seiner
"revolutionären Satire" lieferte, daß das Herzogtum Württemberg eben das¬
jenige Land war, von dem Fox 'im' britischen Parlament äußerte, es gebe in
Europa nur zwei Konstitutionen, die diesen Namen verdienten, die englische
und die württembergische. Vou prinzipieller Opposition gegen die absolute
Monarchie ist bei Schiller ebensowenig die Rede, als bei seinen Landsleuten
und Zeitgenossen, die Publizisten von Beruf waren, bei Christian Schubart
und Karl Friedrich von Moser. Diese erkannten übereinstimmend mit.ihren
liberalen Kollegen im übrigen Deutschland als die eigentliche Nefvrmaufgabe
der Zeit die Herstellung eines möglichst selbständigen, sachkundigen und pflicht¬
getreuen Beamtentums. Ihr Ideal war ein.Zustand, wie ihn die zweite Hälfte


gemeine gerichteten Geist allerdings über diesen Standpunkt hinausgetrieben.
Soweit er aber dieser Neigung folgte, ließ ihn auch sein Publikum im Stich
und wandte sich seinem Rivalen Jffland zu, der mit klugem Verständnis zu
berechnen wußte, wohin und wieweit das Oppvsitiousgefühl braver Bürgers¬
leute ihn zu begleiten geneigt war. Der Herr Amtmann mochte seine Schwachen
haben, ja es mochte recht böse Amtmänner geben, aber sobald der Fürst aller-
höchstselbst erschien, den Mantel auseinander schlug und den großen Ordens¬
stern auf der Brust zeigte, war alles wieder gut.

Allerdings macheu sich die „Räuber" und uoch mehr die verschiedene!!
dramaturgischen Abhandlungen, die ihr Verfasser zur Erläuterung des „Un¬
geheuers" in die Welt sandte, sehr viel mit der „moralischen Weltordnung" zu
schaffen. Diese hat, meint Schiller in einem Aufsatz der „Rheinischen Thalia,"
den Verfasser der „Räuber" als einen Beleidiger der Majestät vorgefordert.
Wenn sie es that, so haben nur tausend Zeugnisse dafür, daß die große Masse
des Publikums in Deutschland nichts davou merkte. Eine Vermehrung der
Meßdiebstähle befürchtete der Leipziger Magistrat von der allzu verführerischen
Ausmalung des Räüberlebeus. Und es war das nicht etwa nur eine den
stadtvüterlicheu Bedenken prosaischer Rathausmenschen entsprungene Nachtwächter¬
idee. Nein, der Vater der modernen Dichtung im lvürttembergischeu Schwaben,
Johann Ludwig Huber, weist in seinen „Lebenserinnerungen" ebenfalls sehr
ernsthaft darauf hin, daß der Versuch zweier Strolche, ihn vor dein Stutt¬
garter Thor seine goldene Uhr zu entreißen, wohl mit dein Ausfall zusnmmeu-
hängeu möchte, den die „Räuber" des bei Nacht und Nebel davongegnugeueu
Regimeutsiuedikus auch in seiner Heimat gefunden hatte. Diekraftgelunlische Auf-
lehnung gegen die „sittliche Weltordnung" --- wie sollte die einem Geschlecht
verständlich sein, dem es noch gar nicht anders in den Sinn gekommen war,
als daß der liebe Gott die Welt regiere, und zwar sehr gut. Eine Satire
auf den irdischen Absolutismus der deutschen Landesherren hat erst eine viel
spätere Zeit in Schillers Dichtungen'hineingelesen. Nur im Vorbeigehen, und
ohne sonderliches Gewicht darauf zu legen, mag daran erinnert sein, daß das
Land, das dem Dichter die meisten und eindrucksvollsten Züge zu seiner
„revolutionären Satire" lieferte, daß das Herzogtum Württemberg eben das¬
jenige Land war, von dem Fox 'im' britischen Parlament äußerte, es gebe in
Europa nur zwei Konstitutionen, die diesen Namen verdienten, die englische
und die württembergische. Vou prinzipieller Opposition gegen die absolute
Monarchie ist bei Schiller ebensowenig die Rede, als bei seinen Landsleuten
und Zeitgenossen, die Publizisten von Beruf waren, bei Christian Schubart
und Karl Friedrich von Moser. Diese erkannten übereinstimmend mit.ihren
liberalen Kollegen im übrigen Deutschland als die eigentliche Nefvrmaufgabe
der Zeit die Herstellung eines möglichst selbständigen, sachkundigen und pflicht¬
getreuen Beamtentums. Ihr Ideal war ein.Zustand, wie ihn die zweite Hälfte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/292>, abgerufen am 26.06.2024.