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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Kolosse." Was diese Jugend im Kopfe trug, war die -- in der spätern
Burschenschaft teilweise wieder anklingende -- Idee, daß ein Heer Kerle, wie
der Räuber Moor, ans Deutschland eine Republik machen würde, mit der ver¬
glichen Rom und Sparta als Nonnenklöster erscheinen müßten. Das ist nun
zwar ein sehr revolutionärer Gedanke, der an Gewaltsamkeit wenig zu wünsche"
übrig läßt, aber es ist kein Gedanke, für den kein vernünftiger Mensch seine
Haut zu Markte trägt, also auch kein Gedanke, der Revolution macht. Noch
weniger leistete dies natürlich der abgeklärte Humanismus einer reifern
Bildung, anch wenn er wirklich in Deutschland Veranlassung gefunden hätte,
eme gewaltsame Beseitigung zur Ungerechtigkeit gewordener Institutionen zu
versuchen.

Das deutsche Bürgertum hält noch heute fest an der Souveränität des
Staates und verwirft in seiner großen Mehrheit die Volkssouveränität, der
Mfolge die allein entscheidende Macht im Staate die jeweilige Mehrheit der
darin vereinigten Individuen wäre. Der König ist uns, wie dem großen
Friedrich, der erste Diener des Staates, die Revolution betrachtet den Fürsten,
dn wo sie ihn noch bestehen läßt, als obersten Beamten der Volksmehrhcit
oder einer aus dem Volke hervorgegangenen, nach demokratischen Prinzipien
erwählten und beschließenden Vertretung. Dieser Kern der "Ideen von 1789"
wird von Schillers "revolutionärer Satire" nirgends auch nur gestreift. Die
absolute Monarchie, die rechtliche Stellung des Adels, der Ausschluß der
Bürgerlichen von höhern Staatsämtern, kurz, alle die staatlichen und gesell-
schaftlichen Einrichtungen, bereu Beseitigung das Ziel der Revolution in Frank¬
reich war, geben an keiner Stelle die Motive ab, um die dramatische Handlung
in Bewegung zu setzen. Der Grund davon ist nicht weit zu suchen. Will
der dramatische Dichter Wirkung erzielen, so muß er sich in enger Ideen- und
Gefühlsgemeiuschnft halten mit seinem Publikum. Die Masse der deutschen
Theaterbesucher aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts brachte
ins Schauspiel eine gewisse Disposition mit zu bürgerlich-moralischer Entrüstung
über Unzuträglichsten und Mißstände des sozialen Lebens, von denen man selbst
vielleicht mehr oder minder empfindlich berührt worden war. Bei einer willens¬
kräftigeren Jugend mochte die wachgerufene Empfindung auch die Neigung und
den Entschluß erzeugen, auf irgendwelche Weise zur Beseitigung des vom Gefühl
verurteilten beizutragen. Es handelte sich dabei aber immer nur um einzelne
Vorkommnisse und Erscheinungen, wodurch das Rechts- und Selbstgefühl des
Bürgerstandes in besonders auffallender Weise verletzt wurde. Und weit ent¬
fernt war man, in solchen Vorkommnissen die natürliche und notwendige Folge
der bestehenden Rechtsordnung zu erblicken, auf die also das Verwerfungsurteil
hätte zurückübertragen werden müssen. Mit biedermännischen Knrzsinn beschied
man sich, die Quelle von Sünde und Schuld in individueller Willkür, Ver¬
kehrtheit oder Bosheit szun erblicken. Schiller wurde durch seinen aufs All-


Kolosse." Was diese Jugend im Kopfe trug, war die — in der spätern
Burschenschaft teilweise wieder anklingende — Idee, daß ein Heer Kerle, wie
der Räuber Moor, ans Deutschland eine Republik machen würde, mit der ver¬
glichen Rom und Sparta als Nonnenklöster erscheinen müßten. Das ist nun
zwar ein sehr revolutionärer Gedanke, der an Gewaltsamkeit wenig zu wünsche»
übrig läßt, aber es ist kein Gedanke, für den kein vernünftiger Mensch seine
Haut zu Markte trägt, also auch kein Gedanke, der Revolution macht. Noch
weniger leistete dies natürlich der abgeklärte Humanismus einer reifern
Bildung, anch wenn er wirklich in Deutschland Veranlassung gefunden hätte,
eme gewaltsame Beseitigung zur Ungerechtigkeit gewordener Institutionen zu
versuchen.

Das deutsche Bürgertum hält noch heute fest an der Souveränität des
Staates und verwirft in seiner großen Mehrheit die Volkssouveränität, der
Mfolge die allein entscheidende Macht im Staate die jeweilige Mehrheit der
darin vereinigten Individuen wäre. Der König ist uns, wie dem großen
Friedrich, der erste Diener des Staates, die Revolution betrachtet den Fürsten,
dn wo sie ihn noch bestehen läßt, als obersten Beamten der Volksmehrhcit
oder einer aus dem Volke hervorgegangenen, nach demokratischen Prinzipien
erwählten und beschließenden Vertretung. Dieser Kern der „Ideen von 1789"
wird von Schillers „revolutionärer Satire" nirgends auch nur gestreift. Die
absolute Monarchie, die rechtliche Stellung des Adels, der Ausschluß der
Bürgerlichen von höhern Staatsämtern, kurz, alle die staatlichen und gesell-
schaftlichen Einrichtungen, bereu Beseitigung das Ziel der Revolution in Frank¬
reich war, geben an keiner Stelle die Motive ab, um die dramatische Handlung
in Bewegung zu setzen. Der Grund davon ist nicht weit zu suchen. Will
der dramatische Dichter Wirkung erzielen, so muß er sich in enger Ideen- und
Gefühlsgemeiuschnft halten mit seinem Publikum. Die Masse der deutschen
Theaterbesucher aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts brachte
ins Schauspiel eine gewisse Disposition mit zu bürgerlich-moralischer Entrüstung
über Unzuträglichsten und Mißstände des sozialen Lebens, von denen man selbst
vielleicht mehr oder minder empfindlich berührt worden war. Bei einer willens¬
kräftigeren Jugend mochte die wachgerufene Empfindung auch die Neigung und
den Entschluß erzeugen, auf irgendwelche Weise zur Beseitigung des vom Gefühl
verurteilten beizutragen. Es handelte sich dabei aber immer nur um einzelne
Vorkommnisse und Erscheinungen, wodurch das Rechts- und Selbstgefühl des
Bürgerstandes in besonders auffallender Weise verletzt wurde. Und weit ent¬
fernt war man, in solchen Vorkommnissen die natürliche und notwendige Folge
der bestehenden Rechtsordnung zu erblicken, auf die also das Verwerfungsurteil
hätte zurückübertragen werden müssen. Mit biedermännischen Knrzsinn beschied
man sich, die Quelle von Sünde und Schuld in individueller Willkür, Ver¬
kehrtheit oder Bosheit szun erblicken. Schiller wurde durch seinen aufs All-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/291>, abgerufen am 26.06.2024.