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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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diges litterargeschichtliches Zusammentreffen. Wenige Tage nach der Mannheimer
Aufführung von "Kabale und Liebe," am 27. April 1784, war für Paris das
große Ereignis die Aufführung der "Hochzeit des Figaro," die Beaumarchais
allen Hindernissen und Gegenbemühungen zum Trotz endlich durchgesetzt hatte.
In diesem Stück aber zeigte sich, nach Napoleons Urteil, die Revolution schon
in Bewegung. Elektrisirt und zu stürmischem Beifall hingerissen wurden mich
die Pariser bei deu witzsprühenden Sarkasmen, womit Figaro seine Ueberlegen-
heit ins Licht setzt gegenüber dem Grafen, der, um eine bevorzugte und bevor¬
rechtete soziale Stellung einzunehmen, sich eben uur die Mühe zu geben brauchte,
geboren zu werdeu.

Fünf Jahre, und der "Hochzeit des Figaro" folgte das Pamphlet: "Was
ist der dritte Stand?" Die Revolution hatte ihr Programm ausgegeben. Die
Abgeordneten des tisi-Z 6eg.t zwingen Adel und Geistlichkeit, sich mit ihnen zu
vereinigen zu einer Nationalversammlung, die jedes politische Ständeprivilegium
auslöscht. In Deutschland interessirt man sich für die Zeitungsnachrichten ans
Paris; im übrigen bleibt alles ruhig. Selbst als die gallische Bewegung über
die Grenzen flutet und alle Unterdrückten zur Freiheit ruft, läßt sich im ge¬
samten römischen Reiche uur ein einziger Manu von wirklicher Bedeutung
verleiten, sich handelnd ihr anzuschließen, der unglückliche Georg Forster. Woher
der Unterschied im Verhalten gegen die Revolution, während doch die revo¬
lutionären Ideen diesseits und jenseits des Rheins ein ganz übereinstimmendes
Echo zu finden schienen? Die Franzosen sind gleich bereit mit einer Antwort,
bei der ihre nationale Eitelkeit ihre Rechnung findet: sie allein sind eben ein
Volk, das für Ideen zu handeln, für Ideen sich aufzuopfern versteht. Die
"Ideen vou 1789" sind vorzugsweise ihr nationales Eigentum; das Banner,
woraus geschrieben stand "Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit," siegreich durch
die Welt getragen zu haben, ist ihr unvergänglicher nationaler Ruhm.

So lautet die revolutionäre Legende, welche die historische Wahrheit be¬
rufen ist auf ihr Maß und ihren durch die Thatsachen gerechtfertigten Inhalt
zurückzuführen. Was die sogenannten "Ideen von 1789" betrifft, fo ist es im
heutigen Deutschland kaum mehr nötig, darauf hinzuweisen, daß ihnen ein
System der Rechts- und Staatsphilosophie zu Grnnde liegt, an dessen Durch¬
arbeitung die führenden Kulturvölker Europas gleichmäßigen Anteil haben. Die
Boraussetzungen der Naturrechtslehre enthalten schon alle jene Konsequenzen,
welche, als Grundsatz von der unveräußerliche" und unverjährbaren Volks¬
souveränität znsanunengefaßt, in Frankreich die Massen mit dem zur Aktion
erforderlichen revolutionären Fanatismus erfüllten. Wollen Nur aber bei dem
stehe" bleiben, was die "unschuldige" Periode der Revolution a" praktisch
anwendbaren und probehnltigen Gedanke" aus Licht gefördert hat, bei deu
Ideen, die thatsächlich die Grundlage der neue", der modernen Gesellschafts¬
ordnung bilden, so leuchtet sofort ein, daß Nur in diesen Ideen nichts andres


diges litterargeschichtliches Zusammentreffen. Wenige Tage nach der Mannheimer
Aufführung von „Kabale und Liebe," am 27. April 1784, war für Paris das
große Ereignis die Aufführung der „Hochzeit des Figaro," die Beaumarchais
allen Hindernissen und Gegenbemühungen zum Trotz endlich durchgesetzt hatte.
In diesem Stück aber zeigte sich, nach Napoleons Urteil, die Revolution schon
in Bewegung. Elektrisirt und zu stürmischem Beifall hingerissen wurden mich
die Pariser bei deu witzsprühenden Sarkasmen, womit Figaro seine Ueberlegen-
heit ins Licht setzt gegenüber dem Grafen, der, um eine bevorzugte und bevor¬
rechtete soziale Stellung einzunehmen, sich eben uur die Mühe zu geben brauchte,
geboren zu werdeu.

Fünf Jahre, und der „Hochzeit des Figaro" folgte das Pamphlet: „Was
ist der dritte Stand?" Die Revolution hatte ihr Programm ausgegeben. Die
Abgeordneten des tisi-Z 6eg.t zwingen Adel und Geistlichkeit, sich mit ihnen zu
vereinigen zu einer Nationalversammlung, die jedes politische Ständeprivilegium
auslöscht. In Deutschland interessirt man sich für die Zeitungsnachrichten ans
Paris; im übrigen bleibt alles ruhig. Selbst als die gallische Bewegung über
die Grenzen flutet und alle Unterdrückten zur Freiheit ruft, läßt sich im ge¬
samten römischen Reiche uur ein einziger Manu von wirklicher Bedeutung
verleiten, sich handelnd ihr anzuschließen, der unglückliche Georg Forster. Woher
der Unterschied im Verhalten gegen die Revolution, während doch die revo¬
lutionären Ideen diesseits und jenseits des Rheins ein ganz übereinstimmendes
Echo zu finden schienen? Die Franzosen sind gleich bereit mit einer Antwort,
bei der ihre nationale Eitelkeit ihre Rechnung findet: sie allein sind eben ein
Volk, das für Ideen zu handeln, für Ideen sich aufzuopfern versteht. Die
„Ideen vou 1789" sind vorzugsweise ihr nationales Eigentum; das Banner,
woraus geschrieben stand „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit," siegreich durch
die Welt getragen zu haben, ist ihr unvergänglicher nationaler Ruhm.

So lautet die revolutionäre Legende, welche die historische Wahrheit be¬
rufen ist auf ihr Maß und ihren durch die Thatsachen gerechtfertigten Inhalt
zurückzuführen. Was die sogenannten „Ideen von 1789" betrifft, fo ist es im
heutigen Deutschland kaum mehr nötig, darauf hinzuweisen, daß ihnen ein
System der Rechts- und Staatsphilosophie zu Grnnde liegt, an dessen Durch¬
arbeitung die führenden Kulturvölker Europas gleichmäßigen Anteil haben. Die
Boraussetzungen der Naturrechtslehre enthalten schon alle jene Konsequenzen,
welche, als Grundsatz von der unveräußerliche» und unverjährbaren Volks¬
souveränität znsanunengefaßt, in Frankreich die Massen mit dem zur Aktion
erforderlichen revolutionären Fanatismus erfüllten. Wollen Nur aber bei dem
stehe» bleiben, was die „unschuldige" Periode der Revolution a» praktisch
anwendbaren und probehnltigen Gedanke» aus Licht gefördert hat, bei deu
Ideen, die thatsächlich die Grundlage der neue», der modernen Gesellschafts¬
ordnung bilden, so leuchtet sofort ein, daß Nur in diesen Ideen nichts andres


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[0288] diges litterargeschichtliches Zusammentreffen. Wenige Tage nach der Mannheimer Aufführung von „Kabale und Liebe," am 27. April 1784, war für Paris das große Ereignis die Aufführung der „Hochzeit des Figaro," die Beaumarchais allen Hindernissen und Gegenbemühungen zum Trotz endlich durchgesetzt hatte. In diesem Stück aber zeigte sich, nach Napoleons Urteil, die Revolution schon in Bewegung. Elektrisirt und zu stürmischem Beifall hingerissen wurden mich die Pariser bei deu witzsprühenden Sarkasmen, womit Figaro seine Ueberlegen- heit ins Licht setzt gegenüber dem Grafen, der, um eine bevorzugte und bevor¬ rechtete soziale Stellung einzunehmen, sich eben uur die Mühe zu geben brauchte, geboren zu werdeu. Fünf Jahre, und der „Hochzeit des Figaro" folgte das Pamphlet: „Was ist der dritte Stand?" Die Revolution hatte ihr Programm ausgegeben. Die Abgeordneten des tisi-Z 6eg.t zwingen Adel und Geistlichkeit, sich mit ihnen zu vereinigen zu einer Nationalversammlung, die jedes politische Ständeprivilegium auslöscht. In Deutschland interessirt man sich für die Zeitungsnachrichten ans Paris; im übrigen bleibt alles ruhig. Selbst als die gallische Bewegung über die Grenzen flutet und alle Unterdrückten zur Freiheit ruft, läßt sich im ge¬ samten römischen Reiche uur ein einziger Manu von wirklicher Bedeutung verleiten, sich handelnd ihr anzuschließen, der unglückliche Georg Forster. Woher der Unterschied im Verhalten gegen die Revolution, während doch die revo¬ lutionären Ideen diesseits und jenseits des Rheins ein ganz übereinstimmendes Echo zu finden schienen? Die Franzosen sind gleich bereit mit einer Antwort, bei der ihre nationale Eitelkeit ihre Rechnung findet: sie allein sind eben ein Volk, das für Ideen zu handeln, für Ideen sich aufzuopfern versteht. Die „Ideen vou 1789" sind vorzugsweise ihr nationales Eigentum; das Banner, woraus geschrieben stand „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit," siegreich durch die Welt getragen zu haben, ist ihr unvergänglicher nationaler Ruhm. So lautet die revolutionäre Legende, welche die historische Wahrheit be¬ rufen ist auf ihr Maß und ihren durch die Thatsachen gerechtfertigten Inhalt zurückzuführen. Was die sogenannten „Ideen von 1789" betrifft, fo ist es im heutigen Deutschland kaum mehr nötig, darauf hinzuweisen, daß ihnen ein System der Rechts- und Staatsphilosophie zu Grnnde liegt, an dessen Durch¬ arbeitung die führenden Kulturvölker Europas gleichmäßigen Anteil haben. Die Boraussetzungen der Naturrechtslehre enthalten schon alle jene Konsequenzen, welche, als Grundsatz von der unveräußerliche» und unverjährbaren Volks¬ souveränität znsanunengefaßt, in Frankreich die Massen mit dem zur Aktion erforderlichen revolutionären Fanatismus erfüllten. Wollen Nur aber bei dem stehe» bleiben, was die „unschuldige" Periode der Revolution a» praktisch anwendbaren und probehnltigen Gedanke» aus Licht gefördert hat, bei deu Ideen, die thatsächlich die Grundlage der neue», der modernen Gesellschafts¬ ordnung bilden, so leuchtet sofort ein, daß Nur in diesen Ideen nichts andres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/288>, abgerufen am 26.06.2024.