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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die revolutionäre Gesellschaftskritik in Schillers Jugendtraum

er 'also seine Laufbahn durchmessen. Der Poet in ihm war erstorben, und der
Gentleman, der Gelehrt'' und der ausgezeichnete Gesellschafter nahmen nun seine
Stelle ein. Als der um drei Jahre ältere Swift mit seinerlato ol ello lud
seine litterarische Laufbahn begann, hatte Congreve die seine bereits vollendet.
Daher ist von der zweiten Hälfte seines Erdenlebens wenig mehr zu erzählen.

Im Jahre 1725 machte er sein Testament zu Gunsten Henriettens, der
Herzogin von Marlborough, nnter deren Einfluß er die letzten Lebensjahre
zugebracht hat, und 1729 starb er im neuunndfünfzigsten Lebensjahre. Seine
.Freundin feierte ihn mit einem glänzenden Leichenzuge. Die junge, lebens¬
lustige Herzogin erscheint beinahe wahnsinnig in ihrer seltsamen Liebe zu
dem alten, körperlich verfallenen Dichter. Es wird erzählt, daß sie eine
dein Dichter ganz ähnliche Wachsfigur haben anfertigen lassen, die einen
Mechanismus in sich barg, durch den sie nickte, wenn die Herzogin zu ihr
sprach. Arzte mußten die Beine der Figur bepflastern, wie es mit Congreves
Beinen geschehen war. Allein auch tiefere Naturen beklagten Congreves Tod.
Er muß ein ungemein liebenswürdiger und wohlwollender Mensch gewesen
sein und hat es offenbar verstanden, sich mit den widersprechendsten Charakteren
zu vertragen. Darum konnte er mit Drhdeu, Swift, Dennis und Pope,
gleichwie mit Addison und Steele lebenslange und innige Freundschaft halten.




/ Die revolutionäre Gesellschaftskritik in Schillers
Jugendtraum

in 15). April 1784 brachte das Mannheimer Theater die erste
Aufführung des bürgerlichen Trauerspiels "Kabale und Liebe."
Das Stück machte darauf die Runde über die deutschen Bühnen
und übte, wie Zelter bezeugt, überall eine "elektrische Macht
auf sämtliche Sprudeljugend." Mehr noch als die "Räuber"
ist die Tragödie der "Luise Müllerin" durchtränkt vou herber Satire auf die
damaligen gesellschaftliche Zustände. Als daher die bergehoch gehäuften An¬
klagen Nuder die alten Gcsellschaftsznstände in Frankreich den Ausbruch der
Revolution herbeigefiihrt hatten, da lag es nahe, auch in den Jugendtraum
des schwäbischen Dichters einen Geist zu finde", der den Anzug der großen
Empörung ahnen lasse. Diesem Urteil lvltrde Vorschub geleistet durch ein merkwür-


Die revolutionäre Gesellschaftskritik in Schillers Jugendtraum

er 'also seine Laufbahn durchmessen. Der Poet in ihm war erstorben, und der
Gentleman, der Gelehrt'' und der ausgezeichnete Gesellschafter nahmen nun seine
Stelle ein. Als der um drei Jahre ältere Swift mit seinerlato ol ello lud
seine litterarische Laufbahn begann, hatte Congreve die seine bereits vollendet.
Daher ist von der zweiten Hälfte seines Erdenlebens wenig mehr zu erzählen.

Im Jahre 1725 machte er sein Testament zu Gunsten Henriettens, der
Herzogin von Marlborough, nnter deren Einfluß er die letzten Lebensjahre
zugebracht hat, und 1729 starb er im neuunndfünfzigsten Lebensjahre. Seine
.Freundin feierte ihn mit einem glänzenden Leichenzuge. Die junge, lebens¬
lustige Herzogin erscheint beinahe wahnsinnig in ihrer seltsamen Liebe zu
dem alten, körperlich verfallenen Dichter. Es wird erzählt, daß sie eine
dein Dichter ganz ähnliche Wachsfigur haben anfertigen lassen, die einen
Mechanismus in sich barg, durch den sie nickte, wenn die Herzogin zu ihr
sprach. Arzte mußten die Beine der Figur bepflastern, wie es mit Congreves
Beinen geschehen war. Allein auch tiefere Naturen beklagten Congreves Tod.
Er muß ein ungemein liebenswürdiger und wohlwollender Mensch gewesen
sein und hat es offenbar verstanden, sich mit den widersprechendsten Charakteren
zu vertragen. Darum konnte er mit Drhdeu, Swift, Dennis und Pope,
gleichwie mit Addison und Steele lebenslange und innige Freundschaft halten.




/ Die revolutionäre Gesellschaftskritik in Schillers
Jugendtraum

in 15). April 1784 brachte das Mannheimer Theater die erste
Aufführung des bürgerlichen Trauerspiels „Kabale und Liebe."
Das Stück machte darauf die Runde über die deutschen Bühnen
und übte, wie Zelter bezeugt, überall eine „elektrische Macht
auf sämtliche Sprudeljugend." Mehr noch als die „Räuber"
ist die Tragödie der „Luise Müllerin" durchtränkt vou herber Satire auf die
damaligen gesellschaftliche Zustände. Als daher die bergehoch gehäuften An¬
klagen Nuder die alten Gcsellschaftsznstände in Frankreich den Ausbruch der
Revolution herbeigefiihrt hatten, da lag es nahe, auch in den Jugendtraum
des schwäbischen Dichters einen Geist zu finde«, der den Anzug der großen
Empörung ahnen lasse. Diesem Urteil lvltrde Vorschub geleistet durch ein merkwür-


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[0287] Die revolutionäre Gesellschaftskritik in Schillers Jugendtraum er 'also seine Laufbahn durchmessen. Der Poet in ihm war erstorben, und der Gentleman, der Gelehrt'' und der ausgezeichnete Gesellschafter nahmen nun seine Stelle ein. Als der um drei Jahre ältere Swift mit seinerlato ol ello lud seine litterarische Laufbahn begann, hatte Congreve die seine bereits vollendet. Daher ist von der zweiten Hälfte seines Erdenlebens wenig mehr zu erzählen. Im Jahre 1725 machte er sein Testament zu Gunsten Henriettens, der Herzogin von Marlborough, nnter deren Einfluß er die letzten Lebensjahre zugebracht hat, und 1729 starb er im neuunndfünfzigsten Lebensjahre. Seine .Freundin feierte ihn mit einem glänzenden Leichenzuge. Die junge, lebens¬ lustige Herzogin erscheint beinahe wahnsinnig in ihrer seltsamen Liebe zu dem alten, körperlich verfallenen Dichter. Es wird erzählt, daß sie eine dein Dichter ganz ähnliche Wachsfigur haben anfertigen lassen, die einen Mechanismus in sich barg, durch den sie nickte, wenn die Herzogin zu ihr sprach. Arzte mußten die Beine der Figur bepflastern, wie es mit Congreves Beinen geschehen war. Allein auch tiefere Naturen beklagten Congreves Tod. Er muß ein ungemein liebenswürdiger und wohlwollender Mensch gewesen sein und hat es offenbar verstanden, sich mit den widersprechendsten Charakteren zu vertragen. Darum konnte er mit Drhdeu, Swift, Dennis und Pope, gleichwie mit Addison und Steele lebenslange und innige Freundschaft halten. / Die revolutionäre Gesellschaftskritik in Schillers Jugendtraum in 15). April 1784 brachte das Mannheimer Theater die erste Aufführung des bürgerlichen Trauerspiels „Kabale und Liebe." Das Stück machte darauf die Runde über die deutschen Bühnen und übte, wie Zelter bezeugt, überall eine „elektrische Macht auf sämtliche Sprudeljugend." Mehr noch als die „Räuber" ist die Tragödie der „Luise Müllerin" durchtränkt vou herber Satire auf die damaligen gesellschaftliche Zustände. Als daher die bergehoch gehäuften An¬ klagen Nuder die alten Gcsellschaftsznstände in Frankreich den Ausbruch der Revolution herbeigefiihrt hatten, da lag es nahe, auch in den Jugendtraum des schwäbischen Dichters einen Geist zu finde«, der den Anzug der großen Empörung ahnen lasse. Diesem Urteil lvltrde Vorschub geleistet durch ein merkwür-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/287>, abgerufen am 26.06.2024.