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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Ivilliam (Longreve

anschaulicher, die Gestalten haben mehr Lebhaftigkeit des Geistes und Lebendig¬
keit der Natur. Selbst was schon früher unangenehm genug war, die Rohheit
der Anspielungen und die Zügellosigkeit der Sprache erscheint gesteigert. Der
Stil ist in jeder Beziehung lebendiger geworden, und die Phraseologie ist so
wunderbar, daß wir nicht zweifeln können, daß, wenn Congreve sich von den
Sünden seines Zeitalters ferngehalten hatte, Dutzende von Stellen ans seinen
Stücken sowie ans Shakespeare, Pope und Gray in die Sprache des gewöhn¬
liche" Lebens gedrungen wären."

Mit der Tragödie 1'lie inonrning- Lricko, die an litterarischen! Wert seinen
Lustspielen weit nachsteht, errang Congreve den größten äußern Erfolg: sie
hat sich über ein Jahrhundert auf der englischen Bühne behauptet. Samuel
Johnson hat daraus eine Stelle angeführt, die er für das Herrlichste in der
Litteratur aller Zeiten erklärte. Darin hat Johnson gewiß Unrecht, doch ist
die betreffende Stelle vielleicht das Schönste, was in England nach dein
Jahre 1l>l>0 bis in die Zeit des Wiedererwachens des romantischen Geschmackes
geschrieben wurde.

Der aus Maeaulavs Essay über die Lustspieldichter der Restauration
bekannte Pamphletenkampf zwischen Jcremh Collier und den englischen Lnst-
spieldichtern findet bei Edmund Gosse eine besonders eingehende Darstellung,
der wir aber hier nicht im einzelnen folgen können. Nur so viel sei gesagt,
daß sich das englische Lustspiel von der Niederlage, die es darin erlitt, lange
nicht erholt hat. Die Theater litten schwer unter Colliers Bannflüchen
gegen die llnsittlichleit der damals aufgeführten Stücke. Congreve machte
große Anstrengungen, um dem Lincoln-In"-Theater aufzuhelfen, und mußte
sich zik allerhand Zugeständnissen verstehen. So wurde bei einer Auf¬
führung des voublö vcüüör auf dein Theaterzettel ausdrücklich bemerkt,
daß das Stück mit Weglassung gewisser Stellen gespielt werden würde (>vnd
"svorsl sxxrosÄon ominittöli).

Als Congreve sein letztes und bedeutendstes Lustspiel schuf, ok
tke 'Worlä, stand er im dreißigsten Lebensjahre. In dem Augenblicke, wo er
auf der Höhe seines Ruhmes stand und mit der nun erlangten Reife hätte
weiter schaffen sollen, verfiel er in völlige Unthätigkeit. Dennis sagte da¬
mals: "Congreve verließ die Komödie in sehr frühem Alter, und mit ihm ver¬
ließ die Komödie die Bühne." Der Umstand, daß ^us ^Vay ok tus Worlä
einen so geringen äußern Erfolg errang, mag dazu beigetragen haben, daß er
die Lust am Schaffen fo früh verlor. Gosse beschäftigt sich viel mit der
Frage, wie es möglich war, daß dieses Stück so wenig gefiel, das er das
bestgeschriebene, glänzendste und geistreichste aller englischen Lustspiele nennt,
ja vielleicht aller Lustspiele der Welt.

Congreve lebte noch dreißig Jahre, aber in diesem langen Zeiträume hat
er nichts Bedeutendes mehr geschaffen. In den Jahren 1693--1700 hatte


Ivilliam (Longreve

anschaulicher, die Gestalten haben mehr Lebhaftigkeit des Geistes und Lebendig¬
keit der Natur. Selbst was schon früher unangenehm genug war, die Rohheit
der Anspielungen und die Zügellosigkeit der Sprache erscheint gesteigert. Der
Stil ist in jeder Beziehung lebendiger geworden, und die Phraseologie ist so
wunderbar, daß wir nicht zweifeln können, daß, wenn Congreve sich von den
Sünden seines Zeitalters ferngehalten hatte, Dutzende von Stellen ans seinen
Stücken sowie ans Shakespeare, Pope und Gray in die Sprache des gewöhn¬
liche» Lebens gedrungen wären."

Mit der Tragödie 1'lie inonrning- Lricko, die an litterarischen! Wert seinen
Lustspielen weit nachsteht, errang Congreve den größten äußern Erfolg: sie
hat sich über ein Jahrhundert auf der englischen Bühne behauptet. Samuel
Johnson hat daraus eine Stelle angeführt, die er für das Herrlichste in der
Litteratur aller Zeiten erklärte. Darin hat Johnson gewiß Unrecht, doch ist
die betreffende Stelle vielleicht das Schönste, was in England nach dein
Jahre 1l>l>0 bis in die Zeit des Wiedererwachens des romantischen Geschmackes
geschrieben wurde.

Der aus Maeaulavs Essay über die Lustspieldichter der Restauration
bekannte Pamphletenkampf zwischen Jcremh Collier und den englischen Lnst-
spieldichtern findet bei Edmund Gosse eine besonders eingehende Darstellung,
der wir aber hier nicht im einzelnen folgen können. Nur so viel sei gesagt,
daß sich das englische Lustspiel von der Niederlage, die es darin erlitt, lange
nicht erholt hat. Die Theater litten schwer unter Colliers Bannflüchen
gegen die llnsittlichleit der damals aufgeführten Stücke. Congreve machte
große Anstrengungen, um dem Lincoln-In»-Theater aufzuhelfen, und mußte
sich zik allerhand Zugeständnissen verstehen. So wurde bei einer Auf¬
führung des voublö vcüüör auf dein Theaterzettel ausdrücklich bemerkt,
daß das Stück mit Weglassung gewisser Stellen gespielt werden würde (>vnd
»svorsl sxxrosÄon ominittöli).

Als Congreve sein letztes und bedeutendstes Lustspiel schuf, ok
tke 'Worlä, stand er im dreißigsten Lebensjahre. In dem Augenblicke, wo er
auf der Höhe seines Ruhmes stand und mit der nun erlangten Reife hätte
weiter schaffen sollen, verfiel er in völlige Unthätigkeit. Dennis sagte da¬
mals: „Congreve verließ die Komödie in sehr frühem Alter, und mit ihm ver¬
ließ die Komödie die Bühne." Der Umstand, daß ^us ^Vay ok tus Worlä
einen so geringen äußern Erfolg errang, mag dazu beigetragen haben, daß er
die Lust am Schaffen fo früh verlor. Gosse beschäftigt sich viel mit der
Frage, wie es möglich war, daß dieses Stück so wenig gefiel, das er das
bestgeschriebene, glänzendste und geistreichste aller englischen Lustspiele nennt,
ja vielleicht aller Lustspiele der Welt.

Congreve lebte noch dreißig Jahre, aber in diesem langen Zeiträume hat
er nichts Bedeutendes mehr geschaffen. In den Jahren 1693—1700 hatte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/286>, abgerufen am 26.06.2024.