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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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William Longreve

Und nun Goethes Urteil über das Gemälde, Es wird im ersten Buche
des Wilhelm Meister bestimmt genug ausgesprochen, lautet jedoch ganz anders
als das Winckelmanns, Man erinnere sich, daß an der gedachten Stelle von
einer Gemäldesammlung die Rede ist, die von Wilhelms Großvater angelegt,
aber nach dessen Tode von dem Erben, Wilhelms Vater, verkauft worden war.
Wilhelm war über den Verkauf der ganzen Sammlung untröstlich. Aber sein
Lieblingsbild war das, "das die Geschichte vorstellte, wie der kranke Königs¬
sohn sich über die Braut seines Vaters in Liebe verzehrt." Anders urteilt
aber der Kenner, mit dem sich Wilhelm über die Sammlung unterhält. "Es
war ebeu nicht das beste Gemälde, sagt er, uicht gut zusammengesetzt, von keiner
sonderlichen Farbe, und die Nusführuug durchaus manieriert." Daß diese
Worte in der Erinnerung an das Karlsruher Gemälde geschrieben sind, kann
ebenso wenig zweifelhaft sein, als daß sie Goethes eigenes Urteil darüber ent¬
halten. Es trifft im wesentlichen das richtige, nur daß mit Unrecht die Kom¬
position des Bildes bemängelt ist.

Was man deutlich aus der vorstehenden Übersicht erkennt, ist das, daß
die Teilnahme für die Autiochoslegende in der Neuzeit bedeutend abgenommen
hat. Gar nicht scheint sich die Poesie darum bekümmert zu haben. Wieland,
der so manchen Stoff des Altertums hat wieder aufleben lassen, ist daran
vorübergegangen. Kein Vers, keine Novelle hat, soweit ich sehe, das An¬
denken an die Liebe des Antiochos aufbewahrt. Allerdings hat die ernsthafte
Behandlung des Vorwurfs für unser Gefühl etwas verletzendes, anderseits
läßt sich ihm eine komische Seite kaum abgewinnen. Aber es kann ja bloßer
Zufall sein, daß die poetische Darstellung dieser Geschichte, die nur ein wenig
verändert zu werden brauchte, um das anstößige zu verlieren, unterblieben ist.
Denn das Hs-thut su" lÄta, gilt uicht bloß von Büchern, sondern von jeder
Überlieferung.




William (Longreve

in Jahr nach William Congreves Tode (1730) erschien ein
Band Nömoirs ol tluz I,ito, "UritinA g.na ^.luours ok "VV. L!.,
ein Buch von sehr geringem Werte. Seitdem ist keine ein¬
gehendere Darstellung von des Dichters Leben und Wirken vor¬
sticht worden. Das beste, was wir über ihn haben, ist noch
unmer Campbells Aufsatz in der Mon'Äxllig. Liitanuiea. Campbell hatte zwar
den Dichter nicht persönlich gekannt, aber er war jvon Sontherne, der mit


William Longreve

Und nun Goethes Urteil über das Gemälde, Es wird im ersten Buche
des Wilhelm Meister bestimmt genug ausgesprochen, lautet jedoch ganz anders
als das Winckelmanns, Man erinnere sich, daß an der gedachten Stelle von
einer Gemäldesammlung die Rede ist, die von Wilhelms Großvater angelegt,
aber nach dessen Tode von dem Erben, Wilhelms Vater, verkauft worden war.
Wilhelm war über den Verkauf der ganzen Sammlung untröstlich. Aber sein
Lieblingsbild war das, „das die Geschichte vorstellte, wie der kranke Königs¬
sohn sich über die Braut seines Vaters in Liebe verzehrt." Anders urteilt
aber der Kenner, mit dem sich Wilhelm über die Sammlung unterhält. „Es
war ebeu nicht das beste Gemälde, sagt er, uicht gut zusammengesetzt, von keiner
sonderlichen Farbe, und die Nusführuug durchaus manieriert." Daß diese
Worte in der Erinnerung an das Karlsruher Gemälde geschrieben sind, kann
ebenso wenig zweifelhaft sein, als daß sie Goethes eigenes Urteil darüber ent¬
halten. Es trifft im wesentlichen das richtige, nur daß mit Unrecht die Kom¬
position des Bildes bemängelt ist.

Was man deutlich aus der vorstehenden Übersicht erkennt, ist das, daß
die Teilnahme für die Autiochoslegende in der Neuzeit bedeutend abgenommen
hat. Gar nicht scheint sich die Poesie darum bekümmert zu haben. Wieland,
der so manchen Stoff des Altertums hat wieder aufleben lassen, ist daran
vorübergegangen. Kein Vers, keine Novelle hat, soweit ich sehe, das An¬
denken an die Liebe des Antiochos aufbewahrt. Allerdings hat die ernsthafte
Behandlung des Vorwurfs für unser Gefühl etwas verletzendes, anderseits
läßt sich ihm eine komische Seite kaum abgewinnen. Aber es kann ja bloßer
Zufall sein, daß die poetische Darstellung dieser Geschichte, die nur ein wenig
verändert zu werden brauchte, um das anstößige zu verlieren, unterblieben ist.
Denn das Hs-thut su» lÄta, gilt uicht bloß von Büchern, sondern von jeder
Überlieferung.




William (Longreve

in Jahr nach William Congreves Tode (1730) erschien ein
Band Nömoirs ol tluz I,ito, "UritinA g.na ^.luours ok "VV. L!.,
ein Buch von sehr geringem Werte. Seitdem ist keine ein¬
gehendere Darstellung von des Dichters Leben und Wirken vor¬
sticht worden. Das beste, was wir über ihn haben, ist noch
unmer Campbells Aufsatz in der Mon'Äxllig. Liitanuiea. Campbell hatte zwar
den Dichter nicht persönlich gekannt, aber er war jvon Sontherne, der mit


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[0283] William Longreve Und nun Goethes Urteil über das Gemälde, Es wird im ersten Buche des Wilhelm Meister bestimmt genug ausgesprochen, lautet jedoch ganz anders als das Winckelmanns, Man erinnere sich, daß an der gedachten Stelle von einer Gemäldesammlung die Rede ist, die von Wilhelms Großvater angelegt, aber nach dessen Tode von dem Erben, Wilhelms Vater, verkauft worden war. Wilhelm war über den Verkauf der ganzen Sammlung untröstlich. Aber sein Lieblingsbild war das, „das die Geschichte vorstellte, wie der kranke Königs¬ sohn sich über die Braut seines Vaters in Liebe verzehrt." Anders urteilt aber der Kenner, mit dem sich Wilhelm über die Sammlung unterhält. „Es war ebeu nicht das beste Gemälde, sagt er, uicht gut zusammengesetzt, von keiner sonderlichen Farbe, und die Nusführuug durchaus manieriert." Daß diese Worte in der Erinnerung an das Karlsruher Gemälde geschrieben sind, kann ebenso wenig zweifelhaft sein, als daß sie Goethes eigenes Urteil darüber ent¬ halten. Es trifft im wesentlichen das richtige, nur daß mit Unrecht die Kom¬ position des Bildes bemängelt ist. Was man deutlich aus der vorstehenden Übersicht erkennt, ist das, daß die Teilnahme für die Autiochoslegende in der Neuzeit bedeutend abgenommen hat. Gar nicht scheint sich die Poesie darum bekümmert zu haben. Wieland, der so manchen Stoff des Altertums hat wieder aufleben lassen, ist daran vorübergegangen. Kein Vers, keine Novelle hat, soweit ich sehe, das An¬ denken an die Liebe des Antiochos aufbewahrt. Allerdings hat die ernsthafte Behandlung des Vorwurfs für unser Gefühl etwas verletzendes, anderseits läßt sich ihm eine komische Seite kaum abgewinnen. Aber es kann ja bloßer Zufall sein, daß die poetische Darstellung dieser Geschichte, die nur ein wenig verändert zu werden brauchte, um das anstößige zu verlieren, unterblieben ist. Denn das Hs-thut su» lÄta, gilt uicht bloß von Büchern, sondern von jeder Überlieferung. William (Longreve in Jahr nach William Congreves Tode (1730) erschien ein Band Nömoirs ol tluz I,ito, "UritinA g.na ^.luours ok "VV. L!., ein Buch von sehr geringem Werte. Seitdem ist keine ein¬ gehendere Darstellung von des Dichters Leben und Wirken vor¬ sticht worden. Das beste, was wir über ihn haben, ist noch unmer Campbells Aufsatz in der Mon'Äxllig. Liitanuiea. Campbell hatte zwar den Dichter nicht persönlich gekannt, aber er war jvon Sontherne, der mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/283>, abgerufen am 26.06.2024.