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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Geschichte von dein kranken Römgssohne

dem Prinzen die Stratonike zuführt, 'für den Erasistratos, die weiter zurück¬
stehende, durch die Königin halb gedeckte Figur, deren Miene er richtig als
den Ausdruck der Erwartung und Zufriedenheit bestimmt, für den Seleukos.
Man fragt, wie es denu möglich sei, eine solche Vertnuschnng der Rollen vor¬
zunehmen und den König gegen die gesamte Überlieferung zur Nebenfigur zu
machen. Das Rätsel löst sich aber, wenn man sich erinnert, daß der Vollbart
seit Alexander dein Großen ans der Mode kam und im dritten Jahrhundert
nur uoch von Philosophen und Leuten ähnlichen Schlages getragen wurde.
Demnach entbehren denn much ans sämtlichen Bildern die Selencidenköpfe des
Bartes, ausgenommen Demetrius II., der in persische Kriegsgefangenschaft
geraten war und lange Zeit in Feindesland zurückgehalten die persische Sitte
des Vvllbartes auch nach seiner Rückkehr ins Vaterland beibehalten hatte.")
Offenbar ist es dieser Umstand, der Winckelmann zu der verkehrten Bestimmung
der Figuren veranlaßt hat. Um die Echtheit seines Bildes auch in diesem
Punkte zu retten, bürdet er dein Künstler einen viel größern Verstoß gegen
die geschichtliche Wahrheit auf und bedenkt nicht, daß die von ihm als König
bezeichnete Figur mit laug herabfallenden schwarzem Haupthaar ausgestattet
ist, während Seleukos zu der Zeit, wo er sein Reich teilte, über 60 Jahre
zählte. Aus demselben Grunde entdeckt Winckelmann eine Ähnlichkeit zwischen
dem angeblichen Selenkos und dem Antivchvs einerseits und den Gesichter"
der zivei ebengenannten Figuren mit den Bildern der Selencidenmünzen ander¬
seits, die in Wahrheit eine höchst flüchtige ist nud vorzugsweise in dem Fehle"
des Bartes und der Profilirung liegt. Allerdings zeigt der Kopf der von
Winckelmann für den König gehaltenen Figur eine stark gebogene Nase, ebenso
wie der des Antivchos und die Bildnisse der Seleneidenmünzen."*) Aber das
ist auch alles. Um dem Bilde des Seleukos zu gleichen, fehlt dem angeblichen
Könige sehr viel. Die Form der Nase ist trotz ihrer Biegung eine wesentlich
andre, der Mund ist zu groß, die Ordnung des laug herabhängenden Haares*"*)
völlig abweichend, der Ausdruck des Gesichts gewöhnlich und gänzlich der
Energie entbehrend, die sich auf dem Kopfe der Selenkosmnnzen besonders in
dem mächtig entwickelten Kinn kundgiebt. Ebensowenig gleicht der liebessieche
Jüngling unsers Gemäldes den? Antivchoskopfe der Münzen. Es ist ein
hübsches, jugendliches Gesicht, dem aber die charakteristischen Merkmale der
Porträts abgehen: die weit vorspringende, scharf geschnittne Nase, der halb
geöffnete Mund mit den auffallend dünnen Lippen, vor allem das energische,
weit vorspringende Kinn.





Er ist bekannt aus Corneilles LocioAnns und der Besprechung dieses Stückes im
29. Stück ven Lessings Hamburgischer Dramaturgie.
5"°) Siehe die Abbilder der Selencidenmünzen in dem Werke von Foy>Vaillanti: llistlms.
rs^uni Lyi-iiw. Paris, 1681.
^'"") Das Barett, von dein Justi spricht, fehlt auf dem Karlsruher Bilde.
Die Geschichte von dein kranken Römgssohne

dem Prinzen die Stratonike zuführt, 'für den Erasistratos, die weiter zurück¬
stehende, durch die Königin halb gedeckte Figur, deren Miene er richtig als
den Ausdruck der Erwartung und Zufriedenheit bestimmt, für den Seleukos.
Man fragt, wie es denu möglich sei, eine solche Vertnuschnng der Rollen vor¬
zunehmen und den König gegen die gesamte Überlieferung zur Nebenfigur zu
machen. Das Rätsel löst sich aber, wenn man sich erinnert, daß der Vollbart
seit Alexander dein Großen ans der Mode kam und im dritten Jahrhundert
nur uoch von Philosophen und Leuten ähnlichen Schlages getragen wurde.
Demnach entbehren denn much ans sämtlichen Bildern die Selencidenköpfe des
Bartes, ausgenommen Demetrius II., der in persische Kriegsgefangenschaft
geraten war und lange Zeit in Feindesland zurückgehalten die persische Sitte
des Vvllbartes auch nach seiner Rückkehr ins Vaterland beibehalten hatte.")
Offenbar ist es dieser Umstand, der Winckelmann zu der verkehrten Bestimmung
der Figuren veranlaßt hat. Um die Echtheit seines Bildes auch in diesem
Punkte zu retten, bürdet er dein Künstler einen viel größern Verstoß gegen
die geschichtliche Wahrheit auf und bedenkt nicht, daß die von ihm als König
bezeichnete Figur mit laug herabfallenden schwarzem Haupthaar ausgestattet
ist, während Seleukos zu der Zeit, wo er sein Reich teilte, über 60 Jahre
zählte. Aus demselben Grunde entdeckt Winckelmann eine Ähnlichkeit zwischen
dem angeblichen Selenkos und dem Antivchvs einerseits und den Gesichter»
der zivei ebengenannten Figuren mit den Bildern der Selencidenmünzen ander¬
seits, die in Wahrheit eine höchst flüchtige ist nud vorzugsweise in dem Fehle«
des Bartes und der Profilirung liegt. Allerdings zeigt der Kopf der von
Winckelmann für den König gehaltenen Figur eine stark gebogene Nase, ebenso
wie der des Antivchos und die Bildnisse der Seleneidenmünzen."*) Aber das
ist auch alles. Um dem Bilde des Seleukos zu gleichen, fehlt dem angeblichen
Könige sehr viel. Die Form der Nase ist trotz ihrer Biegung eine wesentlich
andre, der Mund ist zu groß, die Ordnung des laug herabhängenden Haares*"*)
völlig abweichend, der Ausdruck des Gesichts gewöhnlich und gänzlich der
Energie entbehrend, die sich auf dem Kopfe der Selenkosmnnzen besonders in
dem mächtig entwickelten Kinn kundgiebt. Ebensowenig gleicht der liebessieche
Jüngling unsers Gemäldes den? Antivchoskopfe der Münzen. Es ist ein
hübsches, jugendliches Gesicht, dem aber die charakteristischen Merkmale der
Porträts abgehen: die weit vorspringende, scharf geschnittne Nase, der halb
geöffnete Mund mit den auffallend dünnen Lippen, vor allem das energische,
weit vorspringende Kinn.





Er ist bekannt aus Corneilles LocioAnns und der Besprechung dieses Stückes im
29. Stück ven Lessings Hamburgischer Dramaturgie.
5"°) Siehe die Abbilder der Selencidenmünzen in dem Werke von Foy>Vaillanti: llistlms.
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[0282] Die Geschichte von dein kranken Römgssohne dem Prinzen die Stratonike zuführt, 'für den Erasistratos, die weiter zurück¬ stehende, durch die Königin halb gedeckte Figur, deren Miene er richtig als den Ausdruck der Erwartung und Zufriedenheit bestimmt, für den Seleukos. Man fragt, wie es denu möglich sei, eine solche Vertnuschnng der Rollen vor¬ zunehmen und den König gegen die gesamte Überlieferung zur Nebenfigur zu machen. Das Rätsel löst sich aber, wenn man sich erinnert, daß der Vollbart seit Alexander dein Großen ans der Mode kam und im dritten Jahrhundert nur uoch von Philosophen und Leuten ähnlichen Schlages getragen wurde. Demnach entbehren denn much ans sämtlichen Bildern die Selencidenköpfe des Bartes, ausgenommen Demetrius II., der in persische Kriegsgefangenschaft geraten war und lange Zeit in Feindesland zurückgehalten die persische Sitte des Vvllbartes auch nach seiner Rückkehr ins Vaterland beibehalten hatte.") Offenbar ist es dieser Umstand, der Winckelmann zu der verkehrten Bestimmung der Figuren veranlaßt hat. Um die Echtheit seines Bildes auch in diesem Punkte zu retten, bürdet er dein Künstler einen viel größern Verstoß gegen die geschichtliche Wahrheit auf und bedenkt nicht, daß die von ihm als König bezeichnete Figur mit laug herabfallenden schwarzem Haupthaar ausgestattet ist, während Seleukos zu der Zeit, wo er sein Reich teilte, über 60 Jahre zählte. Aus demselben Grunde entdeckt Winckelmann eine Ähnlichkeit zwischen dem angeblichen Selenkos und dem Antivchvs einerseits und den Gesichter» der zivei ebengenannten Figuren mit den Bildern der Selencidenmünzen ander¬ seits, die in Wahrheit eine höchst flüchtige ist nud vorzugsweise in dem Fehle« des Bartes und der Profilirung liegt. Allerdings zeigt der Kopf der von Winckelmann für den König gehaltenen Figur eine stark gebogene Nase, ebenso wie der des Antivchos und die Bildnisse der Seleneidenmünzen."*) Aber das ist auch alles. Um dem Bilde des Seleukos zu gleichen, fehlt dem angeblichen Könige sehr viel. Die Form der Nase ist trotz ihrer Biegung eine wesentlich andre, der Mund ist zu groß, die Ordnung des laug herabhängenden Haares*"*) völlig abweichend, der Ausdruck des Gesichts gewöhnlich und gänzlich der Energie entbehrend, die sich auf dem Kopfe der Selenkosmnnzen besonders in dem mächtig entwickelten Kinn kundgiebt. Ebensowenig gleicht der liebessieche Jüngling unsers Gemäldes den? Antivchoskopfe der Münzen. Es ist ein hübsches, jugendliches Gesicht, dem aber die charakteristischen Merkmale der Porträts abgehen: die weit vorspringende, scharf geschnittne Nase, der halb geöffnete Mund mit den auffallend dünnen Lippen, vor allem das energische, weit vorspringende Kinn. Er ist bekannt aus Corneilles LocioAnns und der Besprechung dieses Stückes im 29. Stück ven Lessings Hamburgischer Dramaturgie. 5"°) Siehe die Abbilder der Selencidenmünzen in dem Werke von Foy>Vaillanti: llistlms. rs^uni Lyi-iiw. Paris, 1681. ^'"") Das Barett, von dein Justi spricht, fehlt auf dem Karlsruher Bilde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/282>, abgerufen am 26.06.2024.