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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Geschichte von dein kranken Rönigssohnc

Versprechen scheinet. Der Verstand und der Geschmack des .Künstlers breiten
sich durch sein ganzes Werk ans bis ans die Vasen, die nach den besten Werken
des Altertums i" dieser Art entworfen sind. Das Tischgestell vor dem Bette
hat er wie Homer von Elfenbein gemacht. Das Hinterwerk des Gemäldes
stellet eine prächtige griechische Baukunst vor, deren Verzierungen auf die
Handlung selbst zu deuten scheinen. Das Gebälke an einem Portal tragen
Carhatiden, die einander umfassen, als Bilder einer zärtlichen Freundschaft
zwischen Vater und Sohn und zugleich einer ehelichen Verbindung. Der
Künstler zeigt sich bei aller Wahrheit seiner Geschichte als einen Dichter, und
er machte seine Nebenwerke allegorisch, um gewisse Umstände durch Sinn¬
bilder zu malen. Die Sphinxe an dem Bette des Prinzen deuten aus die
Nachforschungen des Arztes und ans die besondere Entdeckung der Ursach von
der Krankheit desselben."

Diese Schilderung ist, wie gesagt, aus mehr als einem Grnnde merk¬
würdig, erstens, weil wohl keine so ausführliche jemals aus Winckelmanns Feder
geflossen ist, sodann wegen der ÜberschU'änglichkeit des darin gespendeten Lobes
und endlich wegen der Anzahl der darin enthaltenen Irrtümer. So viel wird
man freilich aus Winckelmanns Beschreibung entnehmen, das; die Gruppirung
der Figuren des Bildes mit wohlberechneter Anwendung des Gesetzes von,
Kontrast entworfen und zu bedeutender Wirkung durchgeführt ist. Und das¬
selbe wird man anch im ganze" vou dem Ausdruck in den Gesichtern be¬
haupten dürfen. Wenn aber Winckelmann der Meinung ist, daß die Karyatiden
des Gehalts und die Sphinxe des Bettgestells eine sinnbildliche Bedeutung
hätten, so ist das jedenfalls ein absonderliches Urteil und nur zu erklären aus
der Vorliebe für die allegorische Darstellungsweise, die in der genannten Erst¬
lingsschrift des großen Knnstrichters in so überzeugten Worten ausgesprochen
ist. Der Grundirrtnm der ganzen Auseinandersetzung aber liegt in dein Vor¬
urteil, als ob der Maler bei seiner Darstellung sein Augenmerk vornehmlich
ans die geschichtliche Wahrheit in der Behandlung der Einzeldinge gerichtet
habe. Eine unbefangene Betrachtung lehrt beinahe das Gegenteil. Lairesse
hat sich noch weniger als sein Vorbild Poussin um die Echtheit der Nußerlich-
keiteu gekümmert. Das architektonische und dekorative Beiwerk ist nicht sowohl
griechisch als spätrömisch, versetzt mit einer Menge von Zuthaten aus der Zeit
des Malers selbst. Vor allem ist die Kleidung nichts weniger als antik. König
und Arzt erscheinen beide in einem langen, knftanartigen Gewände, und Stmtonite
Paßt in ihrem Schleppkleide mit dem weiten Ausschnitt am Halse viel besser
an den Hof Ludwigs XIV. als an den des Seleneidenhauses. "Wir sehen hier,"
sagt Justi, "weniger antikes Kostüm, als ein barockes Gemisch antiquarischer
Studien mit Reminiscenzen französischer Prunkzimmer."

Allein Winckelmann dachte anders, und dieser Irrtum hat andre, schlimmere
Irrtümer im Gefolge. Winckelmann nimmt nämlich den bärtigen Greis, der


Arc"zboten I 188!) -Zö
Die Geschichte von dein kranken Rönigssohnc

Versprechen scheinet. Der Verstand und der Geschmack des .Künstlers breiten
sich durch sein ganzes Werk ans bis ans die Vasen, die nach den besten Werken
des Altertums i» dieser Art entworfen sind. Das Tischgestell vor dem Bette
hat er wie Homer von Elfenbein gemacht. Das Hinterwerk des Gemäldes
stellet eine prächtige griechische Baukunst vor, deren Verzierungen auf die
Handlung selbst zu deuten scheinen. Das Gebälke an einem Portal tragen
Carhatiden, die einander umfassen, als Bilder einer zärtlichen Freundschaft
zwischen Vater und Sohn und zugleich einer ehelichen Verbindung. Der
Künstler zeigt sich bei aller Wahrheit seiner Geschichte als einen Dichter, und
er machte seine Nebenwerke allegorisch, um gewisse Umstände durch Sinn¬
bilder zu malen. Die Sphinxe an dem Bette des Prinzen deuten aus die
Nachforschungen des Arztes und ans die besondere Entdeckung der Ursach von
der Krankheit desselben."

Diese Schilderung ist, wie gesagt, aus mehr als einem Grnnde merk¬
würdig, erstens, weil wohl keine so ausführliche jemals aus Winckelmanns Feder
geflossen ist, sodann wegen der ÜberschU'änglichkeit des darin gespendeten Lobes
und endlich wegen der Anzahl der darin enthaltenen Irrtümer. So viel wird
man freilich aus Winckelmanns Beschreibung entnehmen, das; die Gruppirung
der Figuren des Bildes mit wohlberechneter Anwendung des Gesetzes von,
Kontrast entworfen und zu bedeutender Wirkung durchgeführt ist. Und das¬
selbe wird man anch im ganze» vou dem Ausdruck in den Gesichtern be¬
haupten dürfen. Wenn aber Winckelmann der Meinung ist, daß die Karyatiden
des Gehalts und die Sphinxe des Bettgestells eine sinnbildliche Bedeutung
hätten, so ist das jedenfalls ein absonderliches Urteil und nur zu erklären aus
der Vorliebe für die allegorische Darstellungsweise, die in der genannten Erst¬
lingsschrift des großen Knnstrichters in so überzeugten Worten ausgesprochen
ist. Der Grundirrtnm der ganzen Auseinandersetzung aber liegt in dein Vor¬
urteil, als ob der Maler bei seiner Darstellung sein Augenmerk vornehmlich
ans die geschichtliche Wahrheit in der Behandlung der Einzeldinge gerichtet
habe. Eine unbefangene Betrachtung lehrt beinahe das Gegenteil. Lairesse
hat sich noch weniger als sein Vorbild Poussin um die Echtheit der Nußerlich-
keiteu gekümmert. Das architektonische und dekorative Beiwerk ist nicht sowohl
griechisch als spätrömisch, versetzt mit einer Menge von Zuthaten aus der Zeit
des Malers selbst. Vor allem ist die Kleidung nichts weniger als antik. König
und Arzt erscheinen beide in einem langen, knftanartigen Gewände, und Stmtonite
Paßt in ihrem Schleppkleide mit dem weiten Ausschnitt am Halse viel besser
an den Hof Ludwigs XIV. als an den des Seleneidenhauses. „Wir sehen hier,"
sagt Justi, „weniger antikes Kostüm, als ein barockes Gemisch antiquarischer
Studien mit Reminiscenzen französischer Prunkzimmer."

Allein Winckelmann dachte anders, und dieser Irrtum hat andre, schlimmere
Irrtümer im Gefolge. Winckelmann nimmt nämlich den bärtigen Greis, der


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[0281] Die Geschichte von dein kranken Rönigssohnc Versprechen scheinet. Der Verstand und der Geschmack des .Künstlers breiten sich durch sein ganzes Werk ans bis ans die Vasen, die nach den besten Werken des Altertums i» dieser Art entworfen sind. Das Tischgestell vor dem Bette hat er wie Homer von Elfenbein gemacht. Das Hinterwerk des Gemäldes stellet eine prächtige griechische Baukunst vor, deren Verzierungen auf die Handlung selbst zu deuten scheinen. Das Gebälke an einem Portal tragen Carhatiden, die einander umfassen, als Bilder einer zärtlichen Freundschaft zwischen Vater und Sohn und zugleich einer ehelichen Verbindung. Der Künstler zeigt sich bei aller Wahrheit seiner Geschichte als einen Dichter, und er machte seine Nebenwerke allegorisch, um gewisse Umstände durch Sinn¬ bilder zu malen. Die Sphinxe an dem Bette des Prinzen deuten aus die Nachforschungen des Arztes und ans die besondere Entdeckung der Ursach von der Krankheit desselben." Diese Schilderung ist, wie gesagt, aus mehr als einem Grnnde merk¬ würdig, erstens, weil wohl keine so ausführliche jemals aus Winckelmanns Feder geflossen ist, sodann wegen der ÜberschU'änglichkeit des darin gespendeten Lobes und endlich wegen der Anzahl der darin enthaltenen Irrtümer. So viel wird man freilich aus Winckelmanns Beschreibung entnehmen, das; die Gruppirung der Figuren des Bildes mit wohlberechneter Anwendung des Gesetzes von, Kontrast entworfen und zu bedeutender Wirkung durchgeführt ist. Und das¬ selbe wird man anch im ganze» vou dem Ausdruck in den Gesichtern be¬ haupten dürfen. Wenn aber Winckelmann der Meinung ist, daß die Karyatiden des Gehalts und die Sphinxe des Bettgestells eine sinnbildliche Bedeutung hätten, so ist das jedenfalls ein absonderliches Urteil und nur zu erklären aus der Vorliebe für die allegorische Darstellungsweise, die in der genannten Erst¬ lingsschrift des großen Knnstrichters in so überzeugten Worten ausgesprochen ist. Der Grundirrtnm der ganzen Auseinandersetzung aber liegt in dein Vor¬ urteil, als ob der Maler bei seiner Darstellung sein Augenmerk vornehmlich ans die geschichtliche Wahrheit in der Behandlung der Einzeldinge gerichtet habe. Eine unbefangene Betrachtung lehrt beinahe das Gegenteil. Lairesse hat sich noch weniger als sein Vorbild Poussin um die Echtheit der Nußerlich- keiteu gekümmert. Das architektonische und dekorative Beiwerk ist nicht sowohl griechisch als spätrömisch, versetzt mit einer Menge von Zuthaten aus der Zeit des Malers selbst. Vor allem ist die Kleidung nichts weniger als antik. König und Arzt erscheinen beide in einem langen, knftanartigen Gewände, und Stmtonite Paßt in ihrem Schleppkleide mit dem weiten Ausschnitt am Halse viel besser an den Hof Ludwigs XIV. als an den des Seleneidenhauses. „Wir sehen hier," sagt Justi, „weniger antikes Kostüm, als ein barockes Gemisch antiquarischer Studien mit Reminiscenzen französischer Prunkzimmer." Allein Winckelmann dachte anders, und dieser Irrtum hat andre, schlimmere Irrtümer im Gefolge. Winckelmann nimmt nämlich den bärtigen Greis, der Arc»zboten I 188!) -Zö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/281>, abgerufen am 26.06.2024.