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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Geschichte von dem kranken- Aöingssohne

Stadt schlendert, an dein Fenster eines einsam gelegenen Gartenhäuschens ein
schönes, junges Weib und wird alsbald von glühendem Verlangen nach ihrem
Besitz ergriffen. Nun ist es aus mit seiner Ruhe und mit seiner Freude am
Leben. Tiefe Schwermut verdüstert seine Seele, die sich bald bis zu schwerer
Krankheit steigert. Ein von Attus gesandter Arzt erforscht den Puls des Lei¬
denden und läßt unter seinem Kopfkissen einen mit folgenden Worten beschrie¬
benen Zettel zurück: "Die Krankheit ist ein heftiges Fieber, dessen Sitz im
Herzen ist; es ist durch die Auge" entstanden und kann nur durch den Gegen-
stand gelMt werden, der das Übel verursacht hat." Staunend ersieht Atlas
am nächsten Tage aus dieser Mitteilung, wie es mit seinem Gaste steht.
Weitere Fragen aber verschaffen ihn, die Gewißheit, daß das von dem Fremden
so heißgeliebte Weib keine andre ist als seine eigne Gemahlin, die von ihm
getrennt in einem abgelegenen Hause wohnte Schnell gefaßt, erklärt er dem
Gastfreunde, er kenne die Geliebte und wisse, daß ihr Gatte nicht zögern werde,
sich von ihr zu trennen. Er selbst aber werde dafür sorgen, daß der Bater
des jungen Weibes, dem es bald zurückgegeben sein werde , niemand anders
als dem Freunde die Tochter zur Gattin gebe. Was er versprochen hat, das
hält er auch. Unter dem Vorwande, daß ihre Mutter erkrankt sei, schickt er
seine Gemahlin in das elterliche Haus. Dann erscheint er selbst und erklärt
dem Vater des Weibes auf dessen besorgte Frage, ob seine Tochter sich irgend¬
wie vergangen habe: Nein, er sei vollkvmnlen zufrieden mit dem Verhalten
seiner Gattin, aber er habe geschworen, sich von ihr zu trennen. Mitgift und
Scheidungsurkuude folgen dieser Erklärung ohne Verzug. Darauf versichert
der großmütige Gnstfreuud dem Giafar noch einmal, daß die Geliebte ihm an¬
gehören werde, und giebt ihm dadurch seiue Gesundheit zurück. Nun wirbt
der schnell genehme um die Hand des verlassenen Weibes und kehrt mit ihr
nach Bagdad zurück. Aber unterwegs erfährt er von der Neuvermählten, was
er bisher noch nicht wußte, daß sie Attafs Gemahlin und ein Opfer von dessen
unerschöpflicher Großmut geworden sei. Daraus erklärt er, auch seinerseits auf
den Besitz des heißgeliebten Weibes verzichten zu wollen. Es versteht sich,
daß die Geschichte nun mit einem Ende gut, alles gut schließt, obwohl es
dem Atlas zunächst schlecht genug ergeht. Denn er wird durch'die Ränke seiner
Gegner seiner Stellung, seiner Güter, ja seiner Freiheit beraubt und nur durch
die Redlichkeit eines Gefangenwärters vor dem Schlimmsten bewahrt. Seiner
Bande ledig, kommt er nach Bagdad. Aber auch hier ergeht es ihm übel.
Infolge verschiedner Umstände gerät er in die Hände der Obrigkeit, wird ein¬
gekerkert und soll hingerichtet werden. Da wird er durch einen Zufall von
Giafar entdeckt, von dem er dann sein Weib und seiue Schätze zurückerhält.

Aus den orientalischem Märchen ist unsre Geschichte auch in die Litte¬
ratur des Abendlandes verpflanzt worden. In einer Erzählung der (Z-s^Äo-
MÄnorura, der bekannten Anekdotensammlnng des Mittelalters, die in der


Die Geschichte von dem kranken- Aöingssohne

Stadt schlendert, an dein Fenster eines einsam gelegenen Gartenhäuschens ein
schönes, junges Weib und wird alsbald von glühendem Verlangen nach ihrem
Besitz ergriffen. Nun ist es aus mit seiner Ruhe und mit seiner Freude am
Leben. Tiefe Schwermut verdüstert seine Seele, die sich bald bis zu schwerer
Krankheit steigert. Ein von Attus gesandter Arzt erforscht den Puls des Lei¬
denden und läßt unter seinem Kopfkissen einen mit folgenden Worten beschrie¬
benen Zettel zurück: „Die Krankheit ist ein heftiges Fieber, dessen Sitz im
Herzen ist; es ist durch die Auge» entstanden und kann nur durch den Gegen-
stand gelMt werden, der das Übel verursacht hat." Staunend ersieht Atlas
am nächsten Tage aus dieser Mitteilung, wie es mit seinem Gaste steht.
Weitere Fragen aber verschaffen ihn, die Gewißheit, daß das von dem Fremden
so heißgeliebte Weib keine andre ist als seine eigne Gemahlin, die von ihm
getrennt in einem abgelegenen Hause wohnte Schnell gefaßt, erklärt er dem
Gastfreunde, er kenne die Geliebte und wisse, daß ihr Gatte nicht zögern werde,
sich von ihr zu trennen. Er selbst aber werde dafür sorgen, daß der Bater
des jungen Weibes, dem es bald zurückgegeben sein werde , niemand anders
als dem Freunde die Tochter zur Gattin gebe. Was er versprochen hat, das
hält er auch. Unter dem Vorwande, daß ihre Mutter erkrankt sei, schickt er
seine Gemahlin in das elterliche Haus. Dann erscheint er selbst und erklärt
dem Vater des Weibes auf dessen besorgte Frage, ob seine Tochter sich irgend¬
wie vergangen habe: Nein, er sei vollkvmnlen zufrieden mit dem Verhalten
seiner Gattin, aber er habe geschworen, sich von ihr zu trennen. Mitgift und
Scheidungsurkuude folgen dieser Erklärung ohne Verzug. Darauf versichert
der großmütige Gnstfreuud dem Giafar noch einmal, daß die Geliebte ihm an¬
gehören werde, und giebt ihm dadurch seiue Gesundheit zurück. Nun wirbt
der schnell genehme um die Hand des verlassenen Weibes und kehrt mit ihr
nach Bagdad zurück. Aber unterwegs erfährt er von der Neuvermählten, was
er bisher noch nicht wußte, daß sie Attafs Gemahlin und ein Opfer von dessen
unerschöpflicher Großmut geworden sei. Daraus erklärt er, auch seinerseits auf
den Besitz des heißgeliebten Weibes verzichten zu wollen. Es versteht sich,
daß die Geschichte nun mit einem Ende gut, alles gut schließt, obwohl es
dem Atlas zunächst schlecht genug ergeht. Denn er wird durch'die Ränke seiner
Gegner seiner Stellung, seiner Güter, ja seiner Freiheit beraubt und nur durch
die Redlichkeit eines Gefangenwärters vor dem Schlimmsten bewahrt. Seiner
Bande ledig, kommt er nach Bagdad. Aber auch hier ergeht es ihm übel.
Infolge verschiedner Umstände gerät er in die Hände der Obrigkeit, wird ein¬
gekerkert und soll hingerichtet werden. Da wird er durch einen Zufall von
Giafar entdeckt, von dem er dann sein Weib und seiue Schätze zurückerhält.

Aus den orientalischem Märchen ist unsre Geschichte auch in die Litte¬
ratur des Abendlandes verpflanzt worden. In einer Erzählung der (Z-s^Äo-
MÄnorura, der bekannten Anekdotensammlnng des Mittelalters, die in der


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[0276] Die Geschichte von dem kranken- Aöingssohne Stadt schlendert, an dein Fenster eines einsam gelegenen Gartenhäuschens ein schönes, junges Weib und wird alsbald von glühendem Verlangen nach ihrem Besitz ergriffen. Nun ist es aus mit seiner Ruhe und mit seiner Freude am Leben. Tiefe Schwermut verdüstert seine Seele, die sich bald bis zu schwerer Krankheit steigert. Ein von Attus gesandter Arzt erforscht den Puls des Lei¬ denden und läßt unter seinem Kopfkissen einen mit folgenden Worten beschrie¬ benen Zettel zurück: „Die Krankheit ist ein heftiges Fieber, dessen Sitz im Herzen ist; es ist durch die Auge» entstanden und kann nur durch den Gegen- stand gelMt werden, der das Übel verursacht hat." Staunend ersieht Atlas am nächsten Tage aus dieser Mitteilung, wie es mit seinem Gaste steht. Weitere Fragen aber verschaffen ihn, die Gewißheit, daß das von dem Fremden so heißgeliebte Weib keine andre ist als seine eigne Gemahlin, die von ihm getrennt in einem abgelegenen Hause wohnte Schnell gefaßt, erklärt er dem Gastfreunde, er kenne die Geliebte und wisse, daß ihr Gatte nicht zögern werde, sich von ihr zu trennen. Er selbst aber werde dafür sorgen, daß der Bater des jungen Weibes, dem es bald zurückgegeben sein werde , niemand anders als dem Freunde die Tochter zur Gattin gebe. Was er versprochen hat, das hält er auch. Unter dem Vorwande, daß ihre Mutter erkrankt sei, schickt er seine Gemahlin in das elterliche Haus. Dann erscheint er selbst und erklärt dem Vater des Weibes auf dessen besorgte Frage, ob seine Tochter sich irgend¬ wie vergangen habe: Nein, er sei vollkvmnlen zufrieden mit dem Verhalten seiner Gattin, aber er habe geschworen, sich von ihr zu trennen. Mitgift und Scheidungsurkuude folgen dieser Erklärung ohne Verzug. Darauf versichert der großmütige Gnstfreuud dem Giafar noch einmal, daß die Geliebte ihm an¬ gehören werde, und giebt ihm dadurch seiue Gesundheit zurück. Nun wirbt der schnell genehme um die Hand des verlassenen Weibes und kehrt mit ihr nach Bagdad zurück. Aber unterwegs erfährt er von der Neuvermählten, was er bisher noch nicht wußte, daß sie Attafs Gemahlin und ein Opfer von dessen unerschöpflicher Großmut geworden sei. Daraus erklärt er, auch seinerseits auf den Besitz des heißgeliebten Weibes verzichten zu wollen. Es versteht sich, daß die Geschichte nun mit einem Ende gut, alles gut schließt, obwohl es dem Atlas zunächst schlecht genug ergeht. Denn er wird durch'die Ränke seiner Gegner seiner Stellung, seiner Güter, ja seiner Freiheit beraubt und nur durch die Redlichkeit eines Gefangenwärters vor dem Schlimmsten bewahrt. Seiner Bande ledig, kommt er nach Bagdad. Aber auch hier ergeht es ihm übel. Infolge verschiedner Umstände gerät er in die Hände der Obrigkeit, wird ein¬ gekerkert und soll hingerichtet werden. Da wird er durch einen Zufall von Giafar entdeckt, von dem er dann sein Weib und seiue Schätze zurückerhält. Aus den orientalischem Märchen ist unsre Geschichte auch in die Litte¬ ratur des Abendlandes verpflanzt worden. In einer Erzählung der (Z-s^Äo- MÄnorura, der bekannten Anekdotensammlnng des Mittelalters, die in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/276>, abgerufen am 26.06.2024.