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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Geschichte von dem kranken Königssohne

nicht deuteln -- eine wenig erbauliche, aber der fatalistischen Weltanschauung
des Orients entsprechende Moral.

Mehr als einmal finden sich Variationen unsers Themas in den Märchen
von Tausend und einer Nacht. Da heißt es in Ur. 462 der Ausgabe von
Gallard und Gautier folgendermaßen. Eine Prinzessin sah einmal einen jungen
wohlgekleideter Kaufmann und wurde von heftiger Neigung zu ihm ergriffen.
In ihren Palast zurückgekehrt, wurde sie schwermütig und verlor alle Lust,
Speise und Trank zu sich zu nehmen. Bald mußte sie das Bett hüten, ihre
schöne Farbe schwand von den Wangen, kurz es zeigten sich die Anzeichen eines
schweren Leidens. Da ließ die Mutter ein altes Weib kommen, das sich auf
die Heilkunde verstand. Die Gerufene legte alsbald die Hand auf den Arm
der schönen Kranken und überzeugte sich durch Untersuchung des Pulsschlages,
daß hier nichts helfen könne als schleimige Vermählung mit dem heimlich ge¬
liebten. Aber die Prinzessin weigerte sich beharrlich, seinen Namen zu nennen.
Erst nach zwanzig Tagen gestand sie den Grund ihres Leidens, nannte Namen
und Wohnung des Geliebten und überließ der Mutter, diesen aufzusuchen und
das Glück ihrer Tochter herbeizuführen.

Die eigentümliche Art, wie die Person des Geliebten festgestellt wird,
fehlt hier wie in der folgenden Erzählung, die im Labiust ass loss (Bd. 41)
mitgeteilt wird. Ein armer Holzhacker wird von einem Riesen mit eineni
Schatze beschenkt und gelangt dadurch zu solchem Reichtum, daß er seinen
Kindern die vornehmste Erziehung zu teil werden lassen kam:. Seine Tochter
Billnh-Dadil, ein Mädchen, schön wie der Tag, erblickt eiues Tages, während
sie in die Bäder geht, den Prinzen von Samarkand. Verzehrt von einem
Feuer, das sie ihren Eltern nicht zu gestehen wagt, schwindet sie zusehends
hin, und vergeblich bemühen sich die geschicktesten Ärzte von Samarkand, sie
zu retten. Jedermann glaubt, sie sei dem Tode verfallen, und namenlos ist
der Schmerz der Eltern. Da erscheint in der Gestalt einer alten Salben-
hnndlerin der Zauberer Mangraby. Nun folgt, wie sonst, die Untersuchung
des Pulsschlages und die richtige Diagnose. Geheilt wird die Kranke schneller
als sonst durch die bloße Aussicht, die Hand des Geliebten zu erhalten, und
durch ein heilkräftiges Arzneimittel, das ihr der Zauberer reicht, worauf dann
später die erwünschte Lösung erfolgt.

Auch das Motiv der Entsagung findet sich wenigstens in einer der Er¬
zählungen aus Tausend und einer Nacht, der ausführlichsten von allen, die
hier in Frage kommen. Es ist Ur. 547, betitelt ^Aal on 1'd.varie Avuvrsux,
die noch in einer etwas andern Fassung mit der Überschrift I^s pouvoir an
liestiu wiederkehrt ("üabmet ass loss Bd. 38). Giafar, so beginnt die Ge¬
schichte, der Großwesir Harun al Naschids, muß eine Zeit lang die Heimat
meiden und komnU nach Damaskus, wo er gastliche Aufnahme bei dem reichen
Atlas findet. Da erblickt er eines Tages, während er durch die Straßen der


Die Geschichte von dem kranken Königssohne

nicht deuteln — eine wenig erbauliche, aber der fatalistischen Weltanschauung
des Orients entsprechende Moral.

Mehr als einmal finden sich Variationen unsers Themas in den Märchen
von Tausend und einer Nacht. Da heißt es in Ur. 462 der Ausgabe von
Gallard und Gautier folgendermaßen. Eine Prinzessin sah einmal einen jungen
wohlgekleideter Kaufmann und wurde von heftiger Neigung zu ihm ergriffen.
In ihren Palast zurückgekehrt, wurde sie schwermütig und verlor alle Lust,
Speise und Trank zu sich zu nehmen. Bald mußte sie das Bett hüten, ihre
schöne Farbe schwand von den Wangen, kurz es zeigten sich die Anzeichen eines
schweren Leidens. Da ließ die Mutter ein altes Weib kommen, das sich auf
die Heilkunde verstand. Die Gerufene legte alsbald die Hand auf den Arm
der schönen Kranken und überzeugte sich durch Untersuchung des Pulsschlages,
daß hier nichts helfen könne als schleimige Vermählung mit dem heimlich ge¬
liebten. Aber die Prinzessin weigerte sich beharrlich, seinen Namen zu nennen.
Erst nach zwanzig Tagen gestand sie den Grund ihres Leidens, nannte Namen
und Wohnung des Geliebten und überließ der Mutter, diesen aufzusuchen und
das Glück ihrer Tochter herbeizuführen.

Die eigentümliche Art, wie die Person des Geliebten festgestellt wird,
fehlt hier wie in der folgenden Erzählung, die im Labiust ass loss (Bd. 41)
mitgeteilt wird. Ein armer Holzhacker wird von einem Riesen mit eineni
Schatze beschenkt und gelangt dadurch zu solchem Reichtum, daß er seinen
Kindern die vornehmste Erziehung zu teil werden lassen kam:. Seine Tochter
Billnh-Dadil, ein Mädchen, schön wie der Tag, erblickt eiues Tages, während
sie in die Bäder geht, den Prinzen von Samarkand. Verzehrt von einem
Feuer, das sie ihren Eltern nicht zu gestehen wagt, schwindet sie zusehends
hin, und vergeblich bemühen sich die geschicktesten Ärzte von Samarkand, sie
zu retten. Jedermann glaubt, sie sei dem Tode verfallen, und namenlos ist
der Schmerz der Eltern. Da erscheint in der Gestalt einer alten Salben-
hnndlerin der Zauberer Mangraby. Nun folgt, wie sonst, die Untersuchung
des Pulsschlages und die richtige Diagnose. Geheilt wird die Kranke schneller
als sonst durch die bloße Aussicht, die Hand des Geliebten zu erhalten, und
durch ein heilkräftiges Arzneimittel, das ihr der Zauberer reicht, worauf dann
später die erwünschte Lösung erfolgt.

Auch das Motiv der Entsagung findet sich wenigstens in einer der Er¬
zählungen aus Tausend und einer Nacht, der ausführlichsten von allen, die
hier in Frage kommen. Es ist Ur. 547, betitelt ^Aal on 1'd.varie Avuvrsux,
die noch in einer etwas andern Fassung mit der Überschrift I^s pouvoir an
liestiu wiederkehrt («üabmet ass loss Bd. 38). Giafar, so beginnt die Ge¬
schichte, der Großwesir Harun al Naschids, muß eine Zeit lang die Heimat
meiden und komnU nach Damaskus, wo er gastliche Aufnahme bei dem reichen
Atlas findet. Da erblickt er eines Tages, während er durch die Straßen der


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[0275] Die Geschichte von dem kranken Königssohne nicht deuteln — eine wenig erbauliche, aber der fatalistischen Weltanschauung des Orients entsprechende Moral. Mehr als einmal finden sich Variationen unsers Themas in den Märchen von Tausend und einer Nacht. Da heißt es in Ur. 462 der Ausgabe von Gallard und Gautier folgendermaßen. Eine Prinzessin sah einmal einen jungen wohlgekleideter Kaufmann und wurde von heftiger Neigung zu ihm ergriffen. In ihren Palast zurückgekehrt, wurde sie schwermütig und verlor alle Lust, Speise und Trank zu sich zu nehmen. Bald mußte sie das Bett hüten, ihre schöne Farbe schwand von den Wangen, kurz es zeigten sich die Anzeichen eines schweren Leidens. Da ließ die Mutter ein altes Weib kommen, das sich auf die Heilkunde verstand. Die Gerufene legte alsbald die Hand auf den Arm der schönen Kranken und überzeugte sich durch Untersuchung des Pulsschlages, daß hier nichts helfen könne als schleimige Vermählung mit dem heimlich ge¬ liebten. Aber die Prinzessin weigerte sich beharrlich, seinen Namen zu nennen. Erst nach zwanzig Tagen gestand sie den Grund ihres Leidens, nannte Namen und Wohnung des Geliebten und überließ der Mutter, diesen aufzusuchen und das Glück ihrer Tochter herbeizuführen. Die eigentümliche Art, wie die Person des Geliebten festgestellt wird, fehlt hier wie in der folgenden Erzählung, die im Labiust ass loss (Bd. 41) mitgeteilt wird. Ein armer Holzhacker wird von einem Riesen mit eineni Schatze beschenkt und gelangt dadurch zu solchem Reichtum, daß er seinen Kindern die vornehmste Erziehung zu teil werden lassen kam:. Seine Tochter Billnh-Dadil, ein Mädchen, schön wie der Tag, erblickt eiues Tages, während sie in die Bäder geht, den Prinzen von Samarkand. Verzehrt von einem Feuer, das sie ihren Eltern nicht zu gestehen wagt, schwindet sie zusehends hin, und vergeblich bemühen sich die geschicktesten Ärzte von Samarkand, sie zu retten. Jedermann glaubt, sie sei dem Tode verfallen, und namenlos ist der Schmerz der Eltern. Da erscheint in der Gestalt einer alten Salben- hnndlerin der Zauberer Mangraby. Nun folgt, wie sonst, die Untersuchung des Pulsschlages und die richtige Diagnose. Geheilt wird die Kranke schneller als sonst durch die bloße Aussicht, die Hand des Geliebten zu erhalten, und durch ein heilkräftiges Arzneimittel, das ihr der Zauberer reicht, worauf dann später die erwünschte Lösung erfolgt. Auch das Motiv der Entsagung findet sich wenigstens in einer der Er¬ zählungen aus Tausend und einer Nacht, der ausführlichsten von allen, die hier in Frage kommen. Es ist Ur. 547, betitelt ^Aal on 1'd.varie Avuvrsux, die noch in einer etwas andern Fassung mit der Überschrift I^s pouvoir an liestiu wiederkehrt («üabmet ass loss Bd. 38). Giafar, so beginnt die Ge¬ schichte, der Großwesir Harun al Naschids, muß eine Zeit lang die Heimat meiden und komnU nach Damaskus, wo er gastliche Aufnahme bei dem reichen Atlas findet. Da erblickt er eines Tages, während er durch die Straßen der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/275>, abgerufen am 26.06.2024.