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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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müssen. Die zu zahlende Kriegsentschädigung betrug allerdings mir 3 Millionen
Gulden; aber es mußten an Preußen abgetreten werden: die eben gewonnene
Landgrafschaft Hessen-Homburg mit Meisenheim, die Kreise Biedenkrvpf lind
Bost, der nordwestliche Teil des Kreises Gießen, der Ortsbezirk Rödelheim und
ein Teil von Niederursel. Dafür wurden als eine Art von Ersatz an Hessen
zur bessern Abrundung seines Gebiets gegeben: die früher kurhessischen Orte
lind Bezirke Katzenberg, Maiheim, Tonis an der Lnmbda, Muffenheim, die früher
uassauischen Orte Reichenheim und Harheim und die frankfurtischeu Dvrtweil
und Nieder-Erlenbach. Die Abtretungen an Preußen betrugen nahezu 20
(19,9) Quadratmeilen, wofür 1,25 Quadratmeilen zurückgegeben wurde". Die
jetzige Große des ganzes Staates berechnet man ans 139,4 Quadratmeilen mit
annähernd 900 (XX) Einwohnern. Diese gehören zum überwiegend größten
Teile dem rheinfränkischeil Stamme an; in Wimpfen und seinem Gebiete wohnen
Schwaben; als Abkömmlinge der alten Hessen können die Bewohner der Provinz
Oberhessen angesehen werden, aber auch nur teilweise. Im alten Reiche hörten
die Landesteile, die jetzt das Grvßherzogtum bilden, teils zum oberrheinischen
Kreise, teils zum Knrkreise, teils zum fränkischen.

Durch die Stiftung des norddeutschen Bundes wurde Hessen in ein ganz
eigentümliches, man könnte fast sagen widernatürliches Verhältnis gebracht.
Wegen der allgemeinen politischen Lage, die ja bekannt ist, durfte damals Preußen
seinen Machtbereich nicht geradezu und offen bis über den Main hinaus aus¬
dehnen. Innerhalb der Grenzen des wohlgefügten und in Bezug ans das
Gebiet in sich wohl abgeschlossenen Bundes konnte kein Landstrich liegen
bleiben, der nicht dazu gehörte. So traf man denn den Ausweg, daß der
Großherzog von Hessen mit seinen nordwärts vom Main gelegenen Besitzungen
dein neuen Blinde beitreten mußte, während der südliche Teil seines Landes
davon ausgeschlossen blieb. Dieses wunderliche Verhältnis, das übrigens in
Wirklichkeit -- man denke nur an die Schutz- und Trutzbündnisse mit den Süd¬
staaten -- nicht so widersinnig war, wie es einem oberslüchlichen Beobachter
Wohl erscheinen "kochte, dauerte jedoch nur wenige Jahre. In dem großen
Nationalkriege haben, gleich den andern Süddeutschen, auch die Krieger aus
Hessen die Blutbriiderschaft mit den Söhnen Alldeutschlands besiegelt, und eine
solche Verbrüderung hält fest. Hessen gehört zum neuen Reiche und wird
niemals wieder davon getrennt werden.

Die vier Staaten, zu denen sich das ehemalige Ländergewirr in Süddentsch-
land zusanimengeschlossen hat, haben alle in den Zeiten des Rheinbundes, in
deu Zeiten der Franzosciischmach ihre Gebietsentwicklung, die für sie eine un-
geheure Vergrößerung war, durchgemacht und im wesentlichen abgeschlossen.
Daher läßt es sich begreifen, wenn anch keineswegs entschuldigen oder gar
rechtfertigen, daß noch weit länger als ein Menschenalter unter deu regierenden
Kreisen Rheinbuiidsgelüste und uuter breiten Schichten der Pevölkernngen


müssen. Die zu zahlende Kriegsentschädigung betrug allerdings mir 3 Millionen
Gulden; aber es mußten an Preußen abgetreten werden: die eben gewonnene
Landgrafschaft Hessen-Homburg mit Meisenheim, die Kreise Biedenkrvpf lind
Bost, der nordwestliche Teil des Kreises Gießen, der Ortsbezirk Rödelheim und
ein Teil von Niederursel. Dafür wurden als eine Art von Ersatz an Hessen
zur bessern Abrundung seines Gebiets gegeben: die früher kurhessischen Orte
lind Bezirke Katzenberg, Maiheim, Tonis an der Lnmbda, Muffenheim, die früher
uassauischen Orte Reichenheim und Harheim und die frankfurtischeu Dvrtweil
und Nieder-Erlenbach. Die Abtretungen an Preußen betrugen nahezu 20
(19,9) Quadratmeilen, wofür 1,25 Quadratmeilen zurückgegeben wurde«. Die
jetzige Große des ganzes Staates berechnet man ans 139,4 Quadratmeilen mit
annähernd 900 (XX) Einwohnern. Diese gehören zum überwiegend größten
Teile dem rheinfränkischeil Stamme an; in Wimpfen und seinem Gebiete wohnen
Schwaben; als Abkömmlinge der alten Hessen können die Bewohner der Provinz
Oberhessen angesehen werden, aber auch nur teilweise. Im alten Reiche hörten
die Landesteile, die jetzt das Grvßherzogtum bilden, teils zum oberrheinischen
Kreise, teils zum Knrkreise, teils zum fränkischen.

Durch die Stiftung des norddeutschen Bundes wurde Hessen in ein ganz
eigentümliches, man könnte fast sagen widernatürliches Verhältnis gebracht.
Wegen der allgemeinen politischen Lage, die ja bekannt ist, durfte damals Preußen
seinen Machtbereich nicht geradezu und offen bis über den Main hinaus aus¬
dehnen. Innerhalb der Grenzen des wohlgefügten und in Bezug ans das
Gebiet in sich wohl abgeschlossenen Bundes konnte kein Landstrich liegen
bleiben, der nicht dazu gehörte. So traf man denn den Ausweg, daß der
Großherzog von Hessen mit seinen nordwärts vom Main gelegenen Besitzungen
dein neuen Blinde beitreten mußte, während der südliche Teil seines Landes
davon ausgeschlossen blieb. Dieses wunderliche Verhältnis, das übrigens in
Wirklichkeit — man denke nur an die Schutz- und Trutzbündnisse mit den Süd¬
staaten — nicht so widersinnig war, wie es einem oberslüchlichen Beobachter
Wohl erscheinen «kochte, dauerte jedoch nur wenige Jahre. In dem großen
Nationalkriege haben, gleich den andern Süddeutschen, auch die Krieger aus
Hessen die Blutbriiderschaft mit den Söhnen Alldeutschlands besiegelt, und eine
solche Verbrüderung hält fest. Hessen gehört zum neuen Reiche und wird
niemals wieder davon getrennt werden.

Die vier Staaten, zu denen sich das ehemalige Ländergewirr in Süddentsch-
land zusanimengeschlossen hat, haben alle in den Zeiten des Rheinbundes, in
deu Zeiten der Franzosciischmach ihre Gebietsentwicklung, die für sie eine un-
geheure Vergrößerung war, durchgemacht und im wesentlichen abgeschlossen.
Daher läßt es sich begreifen, wenn anch keineswegs entschuldigen oder gar
rechtfertigen, daß noch weit länger als ein Menschenalter unter deu regierenden
Kreisen Rheinbuiidsgelüste und uuter breiten Schichten der Pevölkernngen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/271>, abgerufen am 26.06.2024.