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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die letzten Wahlen in Paris

Zehntausenden und aber Zehntausenden dein schillernden und vieldeutigen
Kandidaten zum Siege verhelfen zu miissen meinten.

Der Erfolg Boulangers in Paris ist also ebenso begreiflich wie schwer¬
wiegend, aber immerhin noch nicht so bedeutend für die Zukunft, als er vielen
erscheint. Zwar widerspricht der Trost, daß Paris nicht ganz Frankreich sei,
anscheinend der ganzen Geschichte dieses Landes. Der Einfluß, den die Haupt¬
stadt auf das Land ausübt, bericht auf dessen politischer Entwicklung und dessen
ganzer Staatseinrichtung, der straffen Zentralisation, kraft deren alle Fäden
der Verwaltung in Paris zusammenlaufen, und bisher hat dieses System seine
Wirkung noch niemals versagt. Der Nimbus, den der Mittelpunkt des Staates
auf die Provinzen ausübte, seine Anziehungskraft, war bisher auch nnter der
Republik vielfach bestimmend und wird auch jetzt sich unzweifelhaft geltend
machen. Aber erstens hält die von dein Agitator bedrohte Partei jetzt noch
jene Faden in der Hand, und eine Energie, die sich nicht an die Doktrin kehrt,
wenn sie das Staatswohl gefährdet, könnte damit viel erreichen. Sodann haben
sich die Zeiten und mit ihnen die Menschen gegenüber frühern Erfahrungen
doch einigermaßen geändert. Aufmerksame und scharfblickende Beobachter be-
haupten, daß die französischen Provinzen jetzt nicht mehr so geneigt seien wie
früher, in allen Stücken das nachzuthun, was sich den Boulevards und Fan-
bvnrgs der Sciuestadt als das Nichtige empfohlen hat. Der Ausfall eines
allgemeinen Plebiszits ist somit noch nicht mit Sicherheit voraus zu sagen.
In dem Falle Napoleons III. hatte die Berufung nu das Volk, deren Ergebnis
ihm iiiibeschränkte Gewalt verlieh oder vielmehr ihn in der großen Gewalt,
die er bereits an sich gerissen hatte, bestätigte und befestigte, uicht die Wirkung,
daß die Provinzen der Führung der Hauptstadt folgten; denn diese hatte über¬
haupt keinen Willen, sie war gefesselt und geknebelt, die Provinzen aber wurden
von oben herab durch allerlei Glanz verblendet und mit Versprechungen bethört
und in günstige Stimmung für den Prätendenten hineingeschmeichelt. Heut¬
zutage füldct sich, wie man sagt, ein hinreichend großes Maß politischer Klug¬
heit nnter den Bewohnern der Provinzen, einer Klugheit, erwachsen und gereift
nnter bittern Erfahrungen, unter den Eindrücken der Despotie Napoleons, des
von ihm und den Parisern heraufbeschworenen Krimkrieges und der Greuel
der Kommune, lauter Erinnerungen, die es wo nicht lvahrscheinlich, doch sehr
möglich erscheinen lassen, daß eine Verufnug an die gesamte Nation ein wesent¬
lich andres Ergebnis liefern würde als das Verdikt von Paris, ja das Gegen¬
teil des dortigen Wahlergebnisses. Immerhin aber bleiben die unmittelbaren
Folgen dieses Verdikts schwer und in hohem Grade bedenklich. Boulanger
tritt wieder in die Nationalversammlung als der Gewählte der Hauptstadt. Er
spricht von jetzt an als ihr Wortführer, mit all dem Ansehen, welches ihm die
unbestrittene Thatsache verleiht, daß die vornehmste Stadt Frankreichs ihm wohl¬
überlegt und in keiner Weise mit Gewaltmitteln beeinflußt ihre Vertretung über-


Die letzten Wahlen in Paris

Zehntausenden und aber Zehntausenden dein schillernden und vieldeutigen
Kandidaten zum Siege verhelfen zu miissen meinten.

Der Erfolg Boulangers in Paris ist also ebenso begreiflich wie schwer¬
wiegend, aber immerhin noch nicht so bedeutend für die Zukunft, als er vielen
erscheint. Zwar widerspricht der Trost, daß Paris nicht ganz Frankreich sei,
anscheinend der ganzen Geschichte dieses Landes. Der Einfluß, den die Haupt¬
stadt auf das Land ausübt, bericht auf dessen politischer Entwicklung und dessen
ganzer Staatseinrichtung, der straffen Zentralisation, kraft deren alle Fäden
der Verwaltung in Paris zusammenlaufen, und bisher hat dieses System seine
Wirkung noch niemals versagt. Der Nimbus, den der Mittelpunkt des Staates
auf die Provinzen ausübte, seine Anziehungskraft, war bisher auch nnter der
Republik vielfach bestimmend und wird auch jetzt sich unzweifelhaft geltend
machen. Aber erstens hält die von dein Agitator bedrohte Partei jetzt noch
jene Faden in der Hand, und eine Energie, die sich nicht an die Doktrin kehrt,
wenn sie das Staatswohl gefährdet, könnte damit viel erreichen. Sodann haben
sich die Zeiten und mit ihnen die Menschen gegenüber frühern Erfahrungen
doch einigermaßen geändert. Aufmerksame und scharfblickende Beobachter be-
haupten, daß die französischen Provinzen jetzt nicht mehr so geneigt seien wie
früher, in allen Stücken das nachzuthun, was sich den Boulevards und Fan-
bvnrgs der Sciuestadt als das Nichtige empfohlen hat. Der Ausfall eines
allgemeinen Plebiszits ist somit noch nicht mit Sicherheit voraus zu sagen.
In dem Falle Napoleons III. hatte die Berufung nu das Volk, deren Ergebnis
ihm iiiibeschränkte Gewalt verlieh oder vielmehr ihn in der großen Gewalt,
die er bereits an sich gerissen hatte, bestätigte und befestigte, uicht die Wirkung,
daß die Provinzen der Führung der Hauptstadt folgten; denn diese hatte über¬
haupt keinen Willen, sie war gefesselt und geknebelt, die Provinzen aber wurden
von oben herab durch allerlei Glanz verblendet und mit Versprechungen bethört
und in günstige Stimmung für den Prätendenten hineingeschmeichelt. Heut¬
zutage füldct sich, wie man sagt, ein hinreichend großes Maß politischer Klug¬
heit nnter den Bewohnern der Provinzen, einer Klugheit, erwachsen und gereift
nnter bittern Erfahrungen, unter den Eindrücken der Despotie Napoleons, des
von ihm und den Parisern heraufbeschworenen Krimkrieges und der Greuel
der Kommune, lauter Erinnerungen, die es wo nicht lvahrscheinlich, doch sehr
möglich erscheinen lassen, daß eine Verufnug an die gesamte Nation ein wesent¬
lich andres Ergebnis liefern würde als das Verdikt von Paris, ja das Gegen¬
teil des dortigen Wahlergebnisses. Immerhin aber bleiben die unmittelbaren
Folgen dieses Verdikts schwer und in hohem Grade bedenklich. Boulanger
tritt wieder in die Nationalversammlung als der Gewählte der Hauptstadt. Er
spricht von jetzt an als ihr Wortführer, mit all dem Ansehen, welches ihm die
unbestrittene Thatsache verleiht, daß die vornehmste Stadt Frankreichs ihm wohl¬
überlegt und in keiner Weise mit Gewaltmitteln beeinflußt ihre Vertretung über-


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[0262] Die letzten Wahlen in Paris Zehntausenden und aber Zehntausenden dein schillernden und vieldeutigen Kandidaten zum Siege verhelfen zu miissen meinten. Der Erfolg Boulangers in Paris ist also ebenso begreiflich wie schwer¬ wiegend, aber immerhin noch nicht so bedeutend für die Zukunft, als er vielen erscheint. Zwar widerspricht der Trost, daß Paris nicht ganz Frankreich sei, anscheinend der ganzen Geschichte dieses Landes. Der Einfluß, den die Haupt¬ stadt auf das Land ausübt, bericht auf dessen politischer Entwicklung und dessen ganzer Staatseinrichtung, der straffen Zentralisation, kraft deren alle Fäden der Verwaltung in Paris zusammenlaufen, und bisher hat dieses System seine Wirkung noch niemals versagt. Der Nimbus, den der Mittelpunkt des Staates auf die Provinzen ausübte, seine Anziehungskraft, war bisher auch nnter der Republik vielfach bestimmend und wird auch jetzt sich unzweifelhaft geltend machen. Aber erstens hält die von dein Agitator bedrohte Partei jetzt noch jene Faden in der Hand, und eine Energie, die sich nicht an die Doktrin kehrt, wenn sie das Staatswohl gefährdet, könnte damit viel erreichen. Sodann haben sich die Zeiten und mit ihnen die Menschen gegenüber frühern Erfahrungen doch einigermaßen geändert. Aufmerksame und scharfblickende Beobachter be- haupten, daß die französischen Provinzen jetzt nicht mehr so geneigt seien wie früher, in allen Stücken das nachzuthun, was sich den Boulevards und Fan- bvnrgs der Sciuestadt als das Nichtige empfohlen hat. Der Ausfall eines allgemeinen Plebiszits ist somit noch nicht mit Sicherheit voraus zu sagen. In dem Falle Napoleons III. hatte die Berufung nu das Volk, deren Ergebnis ihm iiiibeschränkte Gewalt verlieh oder vielmehr ihn in der großen Gewalt, die er bereits an sich gerissen hatte, bestätigte und befestigte, uicht die Wirkung, daß die Provinzen der Führung der Hauptstadt folgten; denn diese hatte über¬ haupt keinen Willen, sie war gefesselt und geknebelt, die Provinzen aber wurden von oben herab durch allerlei Glanz verblendet und mit Versprechungen bethört und in günstige Stimmung für den Prätendenten hineingeschmeichelt. Heut¬ zutage füldct sich, wie man sagt, ein hinreichend großes Maß politischer Klug¬ heit nnter den Bewohnern der Provinzen, einer Klugheit, erwachsen und gereift nnter bittern Erfahrungen, unter den Eindrücken der Despotie Napoleons, des von ihm und den Parisern heraufbeschworenen Krimkrieges und der Greuel der Kommune, lauter Erinnerungen, die es wo nicht lvahrscheinlich, doch sehr möglich erscheinen lassen, daß eine Verufnug an die gesamte Nation ein wesent¬ lich andres Ergebnis liefern würde als das Verdikt von Paris, ja das Gegen¬ teil des dortigen Wahlergebnisses. Immerhin aber bleiben die unmittelbaren Folgen dieses Verdikts schwer und in hohem Grade bedenklich. Boulanger tritt wieder in die Nationalversammlung als der Gewählte der Hauptstadt. Er spricht von jetzt an als ihr Wortführer, mit all dem Ansehen, welches ihm die unbestrittene Thatsache verleiht, daß die vornehmste Stadt Frankreichs ihm wohl¬ überlegt und in keiner Weise mit Gewaltmitteln beeinflußt ihre Vertretung über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/262>, abgerufen am 26.06.2024.