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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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von der gewöhnlich nicht viel die Rede ist, obwohl sie überall mindestens
ebenso viel Anspruch darauf hat, als das Volk zu gelten, als die politischen
Handwerker der Parteien, die allein als Volk angesehen sein möchten. Diese
stillen, für gewöhnlich gegen politische Fragen gleichgiltigen Schichten der Ge¬
sellschaft, die sich zu keinem Programm bekennen, keiner Fahne folgen, sich
uicht an dem Getümmel und Gezänk der Parteien beteiligen, sondern ruhig
ihrer Arbeit nachgehen, schaffen und erwerben, kommen nur bei besondern Ge¬
legenheiten an die Wahlurne, geben aber dann, da sie die Mehrheit bilden, in
der Regel die Entscheidung. Was ist es nun, das so viele von diesen ruhigen
Wählern bewog, ihre Stimme einem Manne zu geben, dessen Denkart so ver¬
schieden von der ihrigen ist, einem ganz besonder? unruhigem Geiste, dem man
allerlei abenteuerliche Gelüste zuschreibt? Aller Wahrscheinlichkeit nach zunächst
die Stellung, die Frankreich in Bezug ans die fremden Mächte einnimmt.
Wie entschieden und aufrichtig mich diese Klasse der Franzosen den Gedanken
eines Nachekricges von der Hand weisen mag, sind doch alle mehr oder minder
von dein Wunsche erfüllt, ihr Vaterland von den Nachbarvölkern wenigstens
geachtet, noch lieber aber bewundert zu sehen. Die jetzige Republik mag nun
stark sein und wohl im Stande, Frankreichs Ehre und Interesse bei Bedrohung
mit Erfolg zu schützen; aber der Dirrchschnittsfranzose ist damit nicht zufrieden,
bescheidenes Beiseitestehen bei den Welthändeln ist nicht nach seinem Geschmack,
er empfindet nur laues Wohlgefallen selbst an der besten herrischen Regierung,
wenn sie nach außen hin einflußlos und fast ohnmächtig ist, wie die jetzige
Parlamentarische Regierung seines Staates. So erklärt sich zum Teil der
Zauber, den der rührige, strebsame und dreiste General mit seinen großen
Worten selbst ans friedlich gesinnte Wähler ausübt. Er verspricht etwas,
und er scheint nach seineu bisherigen Erfolgen den Leuten auch etwas
halten zu können. Daß er bisher nnr schwachen Gegnern gegenüber etwas
vermochte, bleibt unbeachtet; er wird es schon fertig bringen, daß der Name
Frankreichs wieder in Brillantfeuer strahlt. Daneben erfrent er sich unter der
großen Masse aller Beliebtheit eines Agitators mit einem Programm voll
unbestimmter Verheißungen und hochtönender Redensarten, die sich ans zehn¬
fache Weise deuten lassen. Den Republikanern ist er darnach der Wortführer
und Vorkämpfer der echten und unverfälschten Republik, deuen, die eiuen Wechsel
der Staatsform ersehnen und erstreben, ein geschworner Widersacher der Mängel
der gegenwärtige" Regierungsweise, den Chauvinisten der Patriotenliga die
Verkörperung alles dessen, was ihren Bestrebungen beim persönlichen Regiment
am meisten frommen könnte. Fügen wir hinzu, daß keine der bisherigen
Parteiregiernngen, weder die opportunistische noch die radikale, sich bei der
Masse Achtung und Liebe zu erwerben verstanden hat, so darf man sich
kaum wundern, daß neben den Wählern, die außerhalb des Parteigetriebes
standen, auch solche, welche sich daran zu beteiligen gewohnt sind, zu


von der gewöhnlich nicht viel die Rede ist, obwohl sie überall mindestens
ebenso viel Anspruch darauf hat, als das Volk zu gelten, als die politischen
Handwerker der Parteien, die allein als Volk angesehen sein möchten. Diese
stillen, für gewöhnlich gegen politische Fragen gleichgiltigen Schichten der Ge¬
sellschaft, die sich zu keinem Programm bekennen, keiner Fahne folgen, sich
uicht an dem Getümmel und Gezänk der Parteien beteiligen, sondern ruhig
ihrer Arbeit nachgehen, schaffen und erwerben, kommen nur bei besondern Ge¬
legenheiten an die Wahlurne, geben aber dann, da sie die Mehrheit bilden, in
der Regel die Entscheidung. Was ist es nun, das so viele von diesen ruhigen
Wählern bewog, ihre Stimme einem Manne zu geben, dessen Denkart so ver¬
schieden von der ihrigen ist, einem ganz besonder? unruhigem Geiste, dem man
allerlei abenteuerliche Gelüste zuschreibt? Aller Wahrscheinlichkeit nach zunächst
die Stellung, die Frankreich in Bezug ans die fremden Mächte einnimmt.
Wie entschieden und aufrichtig mich diese Klasse der Franzosen den Gedanken
eines Nachekricges von der Hand weisen mag, sind doch alle mehr oder minder
von dein Wunsche erfüllt, ihr Vaterland von den Nachbarvölkern wenigstens
geachtet, noch lieber aber bewundert zu sehen. Die jetzige Republik mag nun
stark sein und wohl im Stande, Frankreichs Ehre und Interesse bei Bedrohung
mit Erfolg zu schützen; aber der Dirrchschnittsfranzose ist damit nicht zufrieden,
bescheidenes Beiseitestehen bei den Welthändeln ist nicht nach seinem Geschmack,
er empfindet nur laues Wohlgefallen selbst an der besten herrischen Regierung,
wenn sie nach außen hin einflußlos und fast ohnmächtig ist, wie die jetzige
Parlamentarische Regierung seines Staates. So erklärt sich zum Teil der
Zauber, den der rührige, strebsame und dreiste General mit seinen großen
Worten selbst ans friedlich gesinnte Wähler ausübt. Er verspricht etwas,
und er scheint nach seineu bisherigen Erfolgen den Leuten auch etwas
halten zu können. Daß er bisher nnr schwachen Gegnern gegenüber etwas
vermochte, bleibt unbeachtet; er wird es schon fertig bringen, daß der Name
Frankreichs wieder in Brillantfeuer strahlt. Daneben erfrent er sich unter der
großen Masse aller Beliebtheit eines Agitators mit einem Programm voll
unbestimmter Verheißungen und hochtönender Redensarten, die sich ans zehn¬
fache Weise deuten lassen. Den Republikanern ist er darnach der Wortführer
und Vorkämpfer der echten und unverfälschten Republik, deuen, die eiuen Wechsel
der Staatsform ersehnen und erstreben, ein geschworner Widersacher der Mängel
der gegenwärtige» Regierungsweise, den Chauvinisten der Patriotenliga die
Verkörperung alles dessen, was ihren Bestrebungen beim persönlichen Regiment
am meisten frommen könnte. Fügen wir hinzu, daß keine der bisherigen
Parteiregiernngen, weder die opportunistische noch die radikale, sich bei der
Masse Achtung und Liebe zu erwerben verstanden hat, so darf man sich
kaum wundern, daß neben den Wählern, die außerhalb des Parteigetriebes
standen, auch solche, welche sich daran zu beteiligen gewohnt sind, zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/261>, abgerufen am 26.06.2024.