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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Do letzton lvcchlen ni Paris

stieß er, damals Kriegsminister, den Prinzen ans der Armee und zeterte gegen
die Tücke der monarchischen Verschwörer, die der Republik nach dem Leben
trachteten. Jeder dieser Farbenwechsel hatte seinen Lohn in Beförderung ge¬
funden, und der Streber war damit an die Spitze des Heeres gelangt. Endlich
wurde sein wahres Wesen und Ziel erkannt, indem er es durch unvorsichtige
Dreistigkeit enthüllt hatte, und er that einen tiefen Fall. Doch solche Katzen-
natnre" wie die seine leiden auch bei gefährlichem Sturz selten dauernden
Schaden, und so kam er bald wieder auf die Beine. Rasch fand er sich in
die neuen Verhältnisse, gewandt schlüpfte er in die Stellung, in der er sich
wieder emporhelfen konnte, in die eines Abgeordneten, der die Wünsche aller
mit der Verfassung und dem Parlament unzufriedenen vertrat. Er hatte dabei
wieder einer Partei abtrünnig zu werden und in Clemeneean einen letzten Freund
und Gönner zu verleugnen, aber er steht jetzt als Mundstück der Wechsclsucht,
die in Frankreich nach allen Ereignissen, welche sie befriedigen, immer nieder
erwacht, wächst und aller zwei Jahrzehnte, zuweilen auch früher, eine Regierung,
gleichviel ob monarchisch oder republikanisch, als Opfer verschlingt, als an¬
erkannter Führer aller Unbefriedigter in Frankreich und damit als stärkster
Gegner des französischen Parlamentarismus vor der Welt, der ihn zu bekämpfen
wenigstens kein moralisches Recht hat, da er, genau besehen, in seinen Parteien
kaum weniger von Selbstsucht getrieben wird und kaum weniger in Schein
und Phrase lebt und arbeitet, als die Opposition Boulangers gegen ihn.

Die Wahl, die Boulanger zum Abgeordneten für Paris gemacht hat, ist
ein Ereignis von Bedeutung, das als halbes Plebiszit des gauzen Laudes
bezeichnet werden kann. Sie hat in aller Ruhe und Ordnung stattgefunden,
und ihr Ergebnis läßt keinen Zweifel und keine verschiedenen Deutungen zu,
es ist vielmehr ein entschiedener Sieg des Generals und eine ebenso entschiedene
Niederlage der Regiernngspartei. Eine Wählerschaft von mehr als viermal-
hnuderttnusend Stimmen gab 244070 für Boulanger und nur 102 520 für
Jacques, den ministeriellen Gegenkandidaten ab, eine überwältigende, in Paris
"och nie dagewesene Mehrheit bei ebenso unerhörter Beteiligung. Zu diesem
Ausgange der Wahlschlacht haben die Mißgriffe der Republikaner so viel bei¬
getragen, als die schlaue Taktik des Kandidaten ihrer Gegner. Die Republi¬
kaner durften keinen Radikalen wie Jacques aufstellen. Allerdings war dies
ein Zugeständnis an die äußerste Linke, die dadurch für die Sache des Mini¬
steriums gewonnen werden sollte, ein Zugeständnis, ohne welches Abfall oder
Stimmenenthaltung dieser Parteigruppe zu befürchten war. Wenn man aber
sub, daß der Name Boulanger mit Befürchtungen für die innere und äußere
Sicherheit des Laudes verknüpft war, mußte man ans den Wahlprvgrammen
und Glaubensbekenntnissen seines Gegners deutlich nussprecheu und hervor¬
heben, daß seine Wahl diese Sicherheit nicht gefährden würde, daß sie vielmehr
diese Sicherheit, die von vielen Parisern der Ausstellung wegen hochgehalten


Do letzton lvcchlen ni Paris

stieß er, damals Kriegsminister, den Prinzen ans der Armee und zeterte gegen
die Tücke der monarchischen Verschwörer, die der Republik nach dem Leben
trachteten. Jeder dieser Farbenwechsel hatte seinen Lohn in Beförderung ge¬
funden, und der Streber war damit an die Spitze des Heeres gelangt. Endlich
wurde sein wahres Wesen und Ziel erkannt, indem er es durch unvorsichtige
Dreistigkeit enthüllt hatte, und er that einen tiefen Fall. Doch solche Katzen-
natnre» wie die seine leiden auch bei gefährlichem Sturz selten dauernden
Schaden, und so kam er bald wieder auf die Beine. Rasch fand er sich in
die neuen Verhältnisse, gewandt schlüpfte er in die Stellung, in der er sich
wieder emporhelfen konnte, in die eines Abgeordneten, der die Wünsche aller
mit der Verfassung und dem Parlament unzufriedenen vertrat. Er hatte dabei
wieder einer Partei abtrünnig zu werden und in Clemeneean einen letzten Freund
und Gönner zu verleugnen, aber er steht jetzt als Mundstück der Wechsclsucht,
die in Frankreich nach allen Ereignissen, welche sie befriedigen, immer nieder
erwacht, wächst und aller zwei Jahrzehnte, zuweilen auch früher, eine Regierung,
gleichviel ob monarchisch oder republikanisch, als Opfer verschlingt, als an¬
erkannter Führer aller Unbefriedigter in Frankreich und damit als stärkster
Gegner des französischen Parlamentarismus vor der Welt, der ihn zu bekämpfen
wenigstens kein moralisches Recht hat, da er, genau besehen, in seinen Parteien
kaum weniger von Selbstsucht getrieben wird und kaum weniger in Schein
und Phrase lebt und arbeitet, als die Opposition Boulangers gegen ihn.

Die Wahl, die Boulanger zum Abgeordneten für Paris gemacht hat, ist
ein Ereignis von Bedeutung, das als halbes Plebiszit des gauzen Laudes
bezeichnet werden kann. Sie hat in aller Ruhe und Ordnung stattgefunden,
und ihr Ergebnis läßt keinen Zweifel und keine verschiedenen Deutungen zu,
es ist vielmehr ein entschiedener Sieg des Generals und eine ebenso entschiedene
Niederlage der Regiernngspartei. Eine Wählerschaft von mehr als viermal-
hnuderttnusend Stimmen gab 244070 für Boulanger und nur 102 520 für
Jacques, den ministeriellen Gegenkandidaten ab, eine überwältigende, in Paris
»och nie dagewesene Mehrheit bei ebenso unerhörter Beteiligung. Zu diesem
Ausgange der Wahlschlacht haben die Mißgriffe der Republikaner so viel bei¬
getragen, als die schlaue Taktik des Kandidaten ihrer Gegner. Die Republi¬
kaner durften keinen Radikalen wie Jacques aufstellen. Allerdings war dies
ein Zugeständnis an die äußerste Linke, die dadurch für die Sache des Mini¬
steriums gewonnen werden sollte, ein Zugeständnis, ohne welches Abfall oder
Stimmenenthaltung dieser Parteigruppe zu befürchten war. Wenn man aber
sub, daß der Name Boulanger mit Befürchtungen für die innere und äußere
Sicherheit des Laudes verknüpft war, mußte man ans den Wahlprvgrammen
und Glaubensbekenntnissen seines Gegners deutlich nussprecheu und hervor¬
heben, daß seine Wahl diese Sicherheit nicht gefährden würde, daß sie vielmehr
diese Sicherheit, die von vielen Parisern der Ausstellung wegen hochgehalten


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[0259] Do letzton lvcchlen ni Paris stieß er, damals Kriegsminister, den Prinzen ans der Armee und zeterte gegen die Tücke der monarchischen Verschwörer, die der Republik nach dem Leben trachteten. Jeder dieser Farbenwechsel hatte seinen Lohn in Beförderung ge¬ funden, und der Streber war damit an die Spitze des Heeres gelangt. Endlich wurde sein wahres Wesen und Ziel erkannt, indem er es durch unvorsichtige Dreistigkeit enthüllt hatte, und er that einen tiefen Fall. Doch solche Katzen- natnre» wie die seine leiden auch bei gefährlichem Sturz selten dauernden Schaden, und so kam er bald wieder auf die Beine. Rasch fand er sich in die neuen Verhältnisse, gewandt schlüpfte er in die Stellung, in der er sich wieder emporhelfen konnte, in die eines Abgeordneten, der die Wünsche aller mit der Verfassung und dem Parlament unzufriedenen vertrat. Er hatte dabei wieder einer Partei abtrünnig zu werden und in Clemeneean einen letzten Freund und Gönner zu verleugnen, aber er steht jetzt als Mundstück der Wechsclsucht, die in Frankreich nach allen Ereignissen, welche sie befriedigen, immer nieder erwacht, wächst und aller zwei Jahrzehnte, zuweilen auch früher, eine Regierung, gleichviel ob monarchisch oder republikanisch, als Opfer verschlingt, als an¬ erkannter Führer aller Unbefriedigter in Frankreich und damit als stärkster Gegner des französischen Parlamentarismus vor der Welt, der ihn zu bekämpfen wenigstens kein moralisches Recht hat, da er, genau besehen, in seinen Parteien kaum weniger von Selbstsucht getrieben wird und kaum weniger in Schein und Phrase lebt und arbeitet, als die Opposition Boulangers gegen ihn. Die Wahl, die Boulanger zum Abgeordneten für Paris gemacht hat, ist ein Ereignis von Bedeutung, das als halbes Plebiszit des gauzen Laudes bezeichnet werden kann. Sie hat in aller Ruhe und Ordnung stattgefunden, und ihr Ergebnis läßt keinen Zweifel und keine verschiedenen Deutungen zu, es ist vielmehr ein entschiedener Sieg des Generals und eine ebenso entschiedene Niederlage der Regiernngspartei. Eine Wählerschaft von mehr als viermal- hnuderttnusend Stimmen gab 244070 für Boulanger und nur 102 520 für Jacques, den ministeriellen Gegenkandidaten ab, eine überwältigende, in Paris »och nie dagewesene Mehrheit bei ebenso unerhörter Beteiligung. Zu diesem Ausgange der Wahlschlacht haben die Mißgriffe der Republikaner so viel bei¬ getragen, als die schlaue Taktik des Kandidaten ihrer Gegner. Die Republi¬ kaner durften keinen Radikalen wie Jacques aufstellen. Allerdings war dies ein Zugeständnis an die äußerste Linke, die dadurch für die Sache des Mini¬ steriums gewonnen werden sollte, ein Zugeständnis, ohne welches Abfall oder Stimmenenthaltung dieser Parteigruppe zu befürchten war. Wenn man aber sub, daß der Name Boulanger mit Befürchtungen für die innere und äußere Sicherheit des Laudes verknüpft war, mußte man ans den Wahlprvgrammen und Glaubensbekenntnissen seines Gegners deutlich nussprecheu und hervor¬ heben, daß seine Wahl diese Sicherheit nicht gefährden würde, daß sie vielmehr diese Sicherheit, die von vielen Parisern der Ausstellung wegen hochgehalten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/259>, abgerufen am 26.06.2024.