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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die letzten Uicchlen in jXiris

irgend ein andres Volk, aber die Stärke des Agitators liegt doch in der
Hauptsache darin, daß er die parlamentarische Regierung bekämpft, und daß
er dem Volke Gründe für seine Feindschaft anführen kann, die es als Wahr¬
heiten anerkennen muß. Daß auch die Lust am Wechsel, die die französische
Nation in politischen Dingen charakterisirt, den Bestrelmugen Boulangers zu
gute kommt, unterliegt keinem Zweifel, Auch stimmten bei seiner letzten wie bei
seinen frühern Wahlen sicherlich Anhänger der Monarchie, Bonapartisten und
Orleanisten, also Gegner der Republik- überhaupt, für ihn. Aber ebenso un¬
zweifelhaft ist es, daß die Mehrzahl seiner Wähler mit ihrem Votum aus¬
drücken wollten, nnr die Republik in ihrer jetzigen Gestalt, die Parlaments¬
herrschaft mit ihrer Ohnmacht, ihrer Unfruchtbarkeit, ihrer häßlichen Selbstsucht,
die Regierung strebsamer und streitsüchtiger Advokaten und ans weitere Aus¬
beutung des Staates zur Füllung ihrer stets hungrigen Kasse bedachter Financiers
müsse endlich beseitigt und durch eine ehrlichere und kräftigere Negierung er¬
setzt werden. Wie das zu bewerkstelligen sei, kümmerte die für Boulanger
stimmenden zunächst "venig oder gar uicht. Ihr Stimmzettel enthielt in dein
Namen Boulanger nur Negation, Abkehr von der Verfassung und unbestimmte
Hoffnung ans Besserwerden durch irgend eine andre innerhalb der republikanischen
Staatsidee, zu der sich ja auch ihr Kandidat bekannte. Daß dieser ihr auf¬
richtig ergeben sei, kann niemand annehmen, dem sein Lebensgang anch nur
einigermaßen gegenwärtig ist. Jeder, dem er vor Augen steht, muß vielmehr
wissen, daß Boulanger niemand ergeben ist als sich selbst, daß er das Streber¬
tum in seiner gröbsten Bedeutung darstellt, daß er nur ein Nänkespinner ohne
Grundsätze, wen" auch ein ungewöhnlich geschickter Nänkespinner ist. Durch¬
aus gesinnungslos, war er allezeit bereit, wenn es ihm Vorteil bringen konnte,
in politischen Dingen den Rock zu wechseln, um Karriere zu machen, wandte
er sich wohl ein halb Dutzend mal nach einander bald der, bald jener Partei zu,
je nachdem sie bessere Forderung seiner Interessen zu verheißen schien. Die Ver¬
kündigung der Republik machte aus ihm einen eifrigen Republikaner, der der
Nationalversammlung an der Spitze seines Regiments seine Ergebenheit für
Leben nud Tod in einer phrasenreichen Adresse aussprach. Aber nicht lange,
so wechselte das Chauräleou abermals seine Farbe. Die Monarchisten ge¬
wannen Aussicht, sich zur Negierung verhelfen zu können, und siehe da, unter
den ersten höhern Militärs, die ihnen Untiefen, war Ernest Volllanger, von jetzt
an der gehorsamste Diener des Herzogs von Anmale. Doch aber über ein
kleines, so wendete sich das Blatt oben von neuem, und mit ihm natürlich der
Gernegroß unten, der jetzt schon gewohnheitsmäßig rückfällige Renegat Boulanger.
Die Radikalen drängten sich empor und schienen Oberwasser zu bekommen,
lind sofort sah man den General Proteus sich in ihre Gefolgschaft mischen.
Er schuldete dem Herzog von Anmale Dank für Gönnerschaft. Aber wozu
Dank für vergangenes, wo besseres für die Zukunft winkte? und stracks vor-


Die letzten Uicchlen in jXiris

irgend ein andres Volk, aber die Stärke des Agitators liegt doch in der
Hauptsache darin, daß er die parlamentarische Regierung bekämpft, und daß
er dem Volke Gründe für seine Feindschaft anführen kann, die es als Wahr¬
heiten anerkennen muß. Daß auch die Lust am Wechsel, die die französische
Nation in politischen Dingen charakterisirt, den Bestrelmugen Boulangers zu
gute kommt, unterliegt keinem Zweifel, Auch stimmten bei seiner letzten wie bei
seinen frühern Wahlen sicherlich Anhänger der Monarchie, Bonapartisten und
Orleanisten, also Gegner der Republik- überhaupt, für ihn. Aber ebenso un¬
zweifelhaft ist es, daß die Mehrzahl seiner Wähler mit ihrem Votum aus¬
drücken wollten, nnr die Republik in ihrer jetzigen Gestalt, die Parlaments¬
herrschaft mit ihrer Ohnmacht, ihrer Unfruchtbarkeit, ihrer häßlichen Selbstsucht,
die Regierung strebsamer und streitsüchtiger Advokaten und ans weitere Aus¬
beutung des Staates zur Füllung ihrer stets hungrigen Kasse bedachter Financiers
müsse endlich beseitigt und durch eine ehrlichere und kräftigere Negierung er¬
setzt werden. Wie das zu bewerkstelligen sei, kümmerte die für Boulanger
stimmenden zunächst »venig oder gar uicht. Ihr Stimmzettel enthielt in dein
Namen Boulanger nur Negation, Abkehr von der Verfassung und unbestimmte
Hoffnung ans Besserwerden durch irgend eine andre innerhalb der republikanischen
Staatsidee, zu der sich ja auch ihr Kandidat bekannte. Daß dieser ihr auf¬
richtig ergeben sei, kann niemand annehmen, dem sein Lebensgang anch nur
einigermaßen gegenwärtig ist. Jeder, dem er vor Augen steht, muß vielmehr
wissen, daß Boulanger niemand ergeben ist als sich selbst, daß er das Streber¬
tum in seiner gröbsten Bedeutung darstellt, daß er nur ein Nänkespinner ohne
Grundsätze, wen» auch ein ungewöhnlich geschickter Nänkespinner ist. Durch¬
aus gesinnungslos, war er allezeit bereit, wenn es ihm Vorteil bringen konnte,
in politischen Dingen den Rock zu wechseln, um Karriere zu machen, wandte
er sich wohl ein halb Dutzend mal nach einander bald der, bald jener Partei zu,
je nachdem sie bessere Forderung seiner Interessen zu verheißen schien. Die Ver¬
kündigung der Republik machte aus ihm einen eifrigen Republikaner, der der
Nationalversammlung an der Spitze seines Regiments seine Ergebenheit für
Leben nud Tod in einer phrasenreichen Adresse aussprach. Aber nicht lange,
so wechselte das Chauräleou abermals seine Farbe. Die Monarchisten ge¬
wannen Aussicht, sich zur Negierung verhelfen zu können, und siehe da, unter
den ersten höhern Militärs, die ihnen Untiefen, war Ernest Volllanger, von jetzt
an der gehorsamste Diener des Herzogs von Anmale. Doch aber über ein
kleines, so wendete sich das Blatt oben von neuem, und mit ihm natürlich der
Gernegroß unten, der jetzt schon gewohnheitsmäßig rückfällige Renegat Boulanger.
Die Radikalen drängten sich empor und schienen Oberwasser zu bekommen,
lind sofort sah man den General Proteus sich in ihre Gefolgschaft mischen.
Er schuldete dem Herzog von Anmale Dank für Gönnerschaft. Aber wozu
Dank für vergangenes, wo besseres für die Zukunft winkte? und stracks vor-


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[0258] Die letzten Uicchlen in jXiris irgend ein andres Volk, aber die Stärke des Agitators liegt doch in der Hauptsache darin, daß er die parlamentarische Regierung bekämpft, und daß er dem Volke Gründe für seine Feindschaft anführen kann, die es als Wahr¬ heiten anerkennen muß. Daß auch die Lust am Wechsel, die die französische Nation in politischen Dingen charakterisirt, den Bestrelmugen Boulangers zu gute kommt, unterliegt keinem Zweifel, Auch stimmten bei seiner letzten wie bei seinen frühern Wahlen sicherlich Anhänger der Monarchie, Bonapartisten und Orleanisten, also Gegner der Republik- überhaupt, für ihn. Aber ebenso un¬ zweifelhaft ist es, daß die Mehrzahl seiner Wähler mit ihrem Votum aus¬ drücken wollten, nnr die Republik in ihrer jetzigen Gestalt, die Parlaments¬ herrschaft mit ihrer Ohnmacht, ihrer Unfruchtbarkeit, ihrer häßlichen Selbstsucht, die Regierung strebsamer und streitsüchtiger Advokaten und ans weitere Aus¬ beutung des Staates zur Füllung ihrer stets hungrigen Kasse bedachter Financiers müsse endlich beseitigt und durch eine ehrlichere und kräftigere Negierung er¬ setzt werden. Wie das zu bewerkstelligen sei, kümmerte die für Boulanger stimmenden zunächst »venig oder gar uicht. Ihr Stimmzettel enthielt in dein Namen Boulanger nur Negation, Abkehr von der Verfassung und unbestimmte Hoffnung ans Besserwerden durch irgend eine andre innerhalb der republikanischen Staatsidee, zu der sich ja auch ihr Kandidat bekannte. Daß dieser ihr auf¬ richtig ergeben sei, kann niemand annehmen, dem sein Lebensgang anch nur einigermaßen gegenwärtig ist. Jeder, dem er vor Augen steht, muß vielmehr wissen, daß Boulanger niemand ergeben ist als sich selbst, daß er das Streber¬ tum in seiner gröbsten Bedeutung darstellt, daß er nur ein Nänkespinner ohne Grundsätze, wen» auch ein ungewöhnlich geschickter Nänkespinner ist. Durch¬ aus gesinnungslos, war er allezeit bereit, wenn es ihm Vorteil bringen konnte, in politischen Dingen den Rock zu wechseln, um Karriere zu machen, wandte er sich wohl ein halb Dutzend mal nach einander bald der, bald jener Partei zu, je nachdem sie bessere Forderung seiner Interessen zu verheißen schien. Die Ver¬ kündigung der Republik machte aus ihm einen eifrigen Republikaner, der der Nationalversammlung an der Spitze seines Regiments seine Ergebenheit für Leben nud Tod in einer phrasenreichen Adresse aussprach. Aber nicht lange, so wechselte das Chauräleou abermals seine Farbe. Die Monarchisten ge¬ wannen Aussicht, sich zur Negierung verhelfen zu können, und siehe da, unter den ersten höhern Militärs, die ihnen Untiefen, war Ernest Volllanger, von jetzt an der gehorsamste Diener des Herzogs von Anmale. Doch aber über ein kleines, so wendete sich das Blatt oben von neuem, und mit ihm natürlich der Gernegroß unten, der jetzt schon gewohnheitsmäßig rückfällige Renegat Boulanger. Die Radikalen drängten sich empor und schienen Oberwasser zu bekommen, lind sofort sah man den General Proteus sich in ihre Gefolgschaft mischen. Er schuldete dem Herzog von Anmale Dank für Gönnerschaft. Aber wozu Dank für vergangenes, wo besseres für die Zukunft winkte? und stracks vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/258>, abgerufen am 26.06.2024.