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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

Prozeß, Phryne wurde freigesprochen, denn ätherische Richter konnten nicht annehmen,
daß ein so schönes Geschöpf die Götter habe beleidigen wollen. Diese Rede zur Ver¬
theidigung Phrynes ist nun freilich nicht gefunden worden, wohl aber eine andre,
nicht minder interessante, nämlich die Rede gegen Athcnvgenes, der in den damaligen
erregten Zeiten eine ziemlich bedeutende politische Rolle spielte. Der zweite Kon¬
servator am Louvre-Museum, Herr Nevillont, hat sie ans einem Papyrus in Ober¬
ägypten gefunden und für das Museum erworben."

Hiervon ist hoffentlich wenigstens das wahr, daß sich Bruchstücke der Reden
(denn es sind zwei) gegen Athenogenes gefunden haben; fast alles andre aber ist
einfach Unsinn: erstens, daß wir nichts von Hyperidcs besäßen, dessen neueste Aus¬
gabe sich die gelehrten Herren Zeitungsschreiber für uoch nicht anderthalbe Mark
in der Teubnerschen Textausgabe kaufen können, und zweitens daß Mathias
Corvinus einen vollständigen Hyperidcs, oder, wie es in dem klassischen Zeitungsstil
heißt, die "bekannten Exemplare" seiner Reden besessen habe.


Erwiderung.

In der mir erst jetzt zugehenden Ur. S2 der vorjährigen
Grenzboten lese ich eine Entgegnung des Herrn Bcttclheim auf meine Anzeige über
sein Schriftchen "Volkstheater :c." Ohne hier den Anstoß zu einer langen Polemik
geben zu wollen, bemerke ich, daß von meiner Seite kein Grund geboten worden
ist, Raimund in die Entgegnung hereinzuziehen. Wenn Herr Bettelheim für
Johann Strauß die Autoritäten von N. Wagner und Joh. Brahms anführt, scheint
er mir eine notwendige Unterscheidung zu vergessen. Für Strauß den Walzcr-
komponistcn bin ich eingenommen wie irgend einer; wenn ich aber den Opcretten-
und Opcrnkvmponisten Strauß zurückweise, so glaube ich dies nicht trotz sondern
,---r mit Wagner und Brahms zu thun.




Litteratur
Jüdische Geschichte r,vn 0. Eduard Krähe. Erster Teil: Von ihren Anfängen bis zu
dem Untergange des Reiches Juda. Berlin, 1888, Oehmigkes Verlag

Der Verfasser kennt die Ergebnisse der neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen
seines Gegenstandes, wie es scheint, nur zum Teil, wenigstens benutzt er ste bei
seiner Darstellung nicht in hinreichendem Maße, und so folgt sein Buch vielfach
veralteten Anschauungen und erzählt eine große Anzahl von Dingen, die offenbar
mythischen Charakter haben, als Geschichte, was oft fo unbefangen und mit solcher
Sicherheit geschieht, daß man meinen könnte, er berichte von Personen, Zuständen
und Vorgängen der jüngsten Jahrzehnte, nicht von denen einer grauen, in ihrer
Ueberlieferung wiederholt bewußt und unbewußt umgebildeten und dem Stande
des damaligen Wissens und Bedürfens angepaßten Vorzeit.


Litteratur

Prozeß, Phryne wurde freigesprochen, denn ätherische Richter konnten nicht annehmen,
daß ein so schönes Geschöpf die Götter habe beleidigen wollen. Diese Rede zur Ver¬
theidigung Phrynes ist nun freilich nicht gefunden worden, wohl aber eine andre,
nicht minder interessante, nämlich die Rede gegen Athcnvgenes, der in den damaligen
erregten Zeiten eine ziemlich bedeutende politische Rolle spielte. Der zweite Kon¬
servator am Louvre-Museum, Herr Nevillont, hat sie ans einem Papyrus in Ober¬
ägypten gefunden und für das Museum erworben."

Hiervon ist hoffentlich wenigstens das wahr, daß sich Bruchstücke der Reden
(denn es sind zwei) gegen Athenogenes gefunden haben; fast alles andre aber ist
einfach Unsinn: erstens, daß wir nichts von Hyperidcs besäßen, dessen neueste Aus¬
gabe sich die gelehrten Herren Zeitungsschreiber für uoch nicht anderthalbe Mark
in der Teubnerschen Textausgabe kaufen können, und zweitens daß Mathias
Corvinus einen vollständigen Hyperidcs, oder, wie es in dem klassischen Zeitungsstil
heißt, die „bekannten Exemplare" seiner Reden besessen habe.


Erwiderung.

In der mir erst jetzt zugehenden Ur. S2 der vorjährigen
Grenzboten lese ich eine Entgegnung des Herrn Bcttclheim auf meine Anzeige über
sein Schriftchen „Volkstheater :c." Ohne hier den Anstoß zu einer langen Polemik
geben zu wollen, bemerke ich, daß von meiner Seite kein Grund geboten worden
ist, Raimund in die Entgegnung hereinzuziehen. Wenn Herr Bettelheim für
Johann Strauß die Autoritäten von N. Wagner und Joh. Brahms anführt, scheint
er mir eine notwendige Unterscheidung zu vergessen. Für Strauß den Walzcr-
komponistcn bin ich eingenommen wie irgend einer; wenn ich aber den Opcretten-
und Opcrnkvmponisten Strauß zurückweise, so glaube ich dies nicht trotz sondern
,—-r mit Wagner und Brahms zu thun.




Litteratur
Jüdische Geschichte r,vn 0. Eduard Krähe. Erster Teil: Von ihren Anfängen bis zu
dem Untergange des Reiches Juda. Berlin, 1888, Oehmigkes Verlag

Der Verfasser kennt die Ergebnisse der neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen
seines Gegenstandes, wie es scheint, nur zum Teil, wenigstens benutzt er ste bei
seiner Darstellung nicht in hinreichendem Maße, und so folgt sein Buch vielfach
veralteten Anschauungen und erzählt eine große Anzahl von Dingen, die offenbar
mythischen Charakter haben, als Geschichte, was oft fo unbefangen und mit solcher
Sicherheit geschieht, daß man meinen könnte, er berichte von Personen, Zuständen
und Vorgängen der jüngsten Jahrzehnte, nicht von denen einer grauen, in ihrer
Ueberlieferung wiederholt bewußt und unbewußt umgebildeten und dem Stande
des damaligen Wissens und Bedürfens angepaßten Vorzeit.


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[0252] Litteratur Prozeß, Phryne wurde freigesprochen, denn ätherische Richter konnten nicht annehmen, daß ein so schönes Geschöpf die Götter habe beleidigen wollen. Diese Rede zur Ver¬ theidigung Phrynes ist nun freilich nicht gefunden worden, wohl aber eine andre, nicht minder interessante, nämlich die Rede gegen Athcnvgenes, der in den damaligen erregten Zeiten eine ziemlich bedeutende politische Rolle spielte. Der zweite Kon¬ servator am Louvre-Museum, Herr Nevillont, hat sie ans einem Papyrus in Ober¬ ägypten gefunden und für das Museum erworben." Hiervon ist hoffentlich wenigstens das wahr, daß sich Bruchstücke der Reden (denn es sind zwei) gegen Athenogenes gefunden haben; fast alles andre aber ist einfach Unsinn: erstens, daß wir nichts von Hyperidcs besäßen, dessen neueste Aus¬ gabe sich die gelehrten Herren Zeitungsschreiber für uoch nicht anderthalbe Mark in der Teubnerschen Textausgabe kaufen können, und zweitens daß Mathias Corvinus einen vollständigen Hyperidcs, oder, wie es in dem klassischen Zeitungsstil heißt, die „bekannten Exemplare" seiner Reden besessen habe. Erwiderung. In der mir erst jetzt zugehenden Ur. S2 der vorjährigen Grenzboten lese ich eine Entgegnung des Herrn Bcttclheim auf meine Anzeige über sein Schriftchen „Volkstheater :c." Ohne hier den Anstoß zu einer langen Polemik geben zu wollen, bemerke ich, daß von meiner Seite kein Grund geboten worden ist, Raimund in die Entgegnung hereinzuziehen. Wenn Herr Bettelheim für Johann Strauß die Autoritäten von N. Wagner und Joh. Brahms anführt, scheint er mir eine notwendige Unterscheidung zu vergessen. Für Strauß den Walzcr- komponistcn bin ich eingenommen wie irgend einer; wenn ich aber den Opcretten- und Opcrnkvmponisten Strauß zurückweise, so glaube ich dies nicht trotz sondern ,—-r mit Wagner und Brahms zu thun. Litteratur Jüdische Geschichte r,vn 0. Eduard Krähe. Erster Teil: Von ihren Anfängen bis zu dem Untergange des Reiches Juda. Berlin, 1888, Oehmigkes Verlag Der Verfasser kennt die Ergebnisse der neuesten wissenschaftlichen Untersuchungen seines Gegenstandes, wie es scheint, nur zum Teil, wenigstens benutzt er ste bei seiner Darstellung nicht in hinreichendem Maße, und so folgt sein Buch vielfach veralteten Anschauungen und erzählt eine große Anzahl von Dingen, die offenbar mythischen Charakter haben, als Geschichte, was oft fo unbefangen und mit solcher Sicherheit geschieht, daß man meinen könnte, er berichte von Personen, Zuständen und Vorgängen der jüngsten Jahrzehnte, nicht von denen einer grauen, in ihrer Ueberlieferung wiederholt bewußt und unbewußt umgebildeten und dem Stande des damaligen Wissens und Bedürfens angepaßten Vorzeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/252>, abgerufen am 26.06.2024.