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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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dermaßen um sich gegriffen haben, das; nur noch das kleine Häuflein frei¬
sinniger Parlamentarier und Zeitungsschreiber mutig geblieben wäre? Doch
giebt es einen Punkt, ans dem auch Herrn Bambergers Stolz wieder lebendig
wird, die Erinnerung daran, daß er zur Schadenfreude aller Feinde und Neider
Deutschlands in der Samoafrage einen Erfolg errungen hat. Man könnte
wirklich glauben, die Regierung mute Herrn Vamberger zu, bewehrt wie der¬
einst nach Kirchheim-Bvlauden, jetzt nach Samoa oder nach Afrika zu ziehen,
mit solcher Nervosität erfüllen ihn die Kvlonialangelegenheiten. Und er braucht
sich doch wahrlich uicht zu beunruhigen; wenn wirklich unternehmende Deutsche,
die unter deu früheren Verhältnissen Pionierarbeit für Engländer und Ameri
lauer verrichtet oder gar Dienste in Algier genommen haben würden, sich jetzt
den deutschen Schutzgebieten zuwenden, es werden immer noch genug übrig
bleiben, daß weder die Börse noch die Zeitungsredaktionen über Mangel an
Kräften zu klagen haben.

Herr Nickert, der in unbewachten Augenblicken sich dann und wann seiner
besseren Zeiten erinnert, sprach im vergangenen Sommer irgendwo aus, die
freisinnigen müßten anders werden, dann würde ihnen die Jugend auch wieder
zufallen (man darf die Kinder nie ohne Aufsicht lassen! soll Herr Richter, als
er das las, ausgerufen haben). Ja wohl, ganz anders. Kann die Jugend
Achtung gewinnen vor einer Partei, deren Organe ihre ganze Aufgabe darin
erblicken, zu stärkern, aus dem Hause zu tratschen, mit pfiffigem Augenzwinkern
und halben Worten anzudeuten, daß sie um finstere Geheimnisse wissen, und
die, wenn eine feste Hand sie am Kragen packt, plötzlich finden, die Sache sei
genugsam erörtert, man möge sie ruhe" lasse" und Frieden halten? Grant
denn Herr" Nickert uicht selbst vor solcher Gesellschaft? Möge er nur das
seinige thun, um seine Partei zu der Einsicht zu bringen, daß Umkehr not
thue. Es würde auch der deutscheu Sprache zugute kommen, die in Gefahr ist,
die Wörter Demokrat, Liberalismus, Fortschritt, Freisinn und deren Familien
gänzlich zu verlieren, da niemand mehr Lust hat, sich freisinnig u. s. w. zu
nennen, weil er dadurch in den Verdacht kommen konnte, zur Richterscheu
Nnuuerschaft z" gehören. Wenn schließlich Herr Richter allein übrig bleiben
sollte, so würde er ja mit um so größeren? Stolze auf die Einigkeit in seiner
Partei hinweisen können.




dermaßen um sich gegriffen haben, das; nur noch das kleine Häuflein frei¬
sinniger Parlamentarier und Zeitungsschreiber mutig geblieben wäre? Doch
giebt es einen Punkt, ans dem auch Herrn Bambergers Stolz wieder lebendig
wird, die Erinnerung daran, daß er zur Schadenfreude aller Feinde und Neider
Deutschlands in der Samoafrage einen Erfolg errungen hat. Man könnte
wirklich glauben, die Regierung mute Herrn Vamberger zu, bewehrt wie der¬
einst nach Kirchheim-Bvlauden, jetzt nach Samoa oder nach Afrika zu ziehen,
mit solcher Nervosität erfüllen ihn die Kvlonialangelegenheiten. Und er braucht
sich doch wahrlich uicht zu beunruhigen; wenn wirklich unternehmende Deutsche,
die unter deu früheren Verhältnissen Pionierarbeit für Engländer und Ameri
lauer verrichtet oder gar Dienste in Algier genommen haben würden, sich jetzt
den deutschen Schutzgebieten zuwenden, es werden immer noch genug übrig
bleiben, daß weder die Börse noch die Zeitungsredaktionen über Mangel an
Kräften zu klagen haben.

Herr Nickert, der in unbewachten Augenblicken sich dann und wann seiner
besseren Zeiten erinnert, sprach im vergangenen Sommer irgendwo aus, die
freisinnigen müßten anders werden, dann würde ihnen die Jugend auch wieder
zufallen (man darf die Kinder nie ohne Aufsicht lassen! soll Herr Richter, als
er das las, ausgerufen haben). Ja wohl, ganz anders. Kann die Jugend
Achtung gewinnen vor einer Partei, deren Organe ihre ganze Aufgabe darin
erblicken, zu stärkern, aus dem Hause zu tratschen, mit pfiffigem Augenzwinkern
und halben Worten anzudeuten, daß sie um finstere Geheimnisse wissen, und
die, wenn eine feste Hand sie am Kragen packt, plötzlich finden, die Sache sei
genugsam erörtert, man möge sie ruhe» lasse» und Frieden halten? Grant
denn Herr» Nickert uicht selbst vor solcher Gesellschaft? Möge er nur das
seinige thun, um seine Partei zu der Einsicht zu bringen, daß Umkehr not
thue. Es würde auch der deutscheu Sprache zugute kommen, die in Gefahr ist,
die Wörter Demokrat, Liberalismus, Fortschritt, Freisinn und deren Familien
gänzlich zu verlieren, da niemand mehr Lust hat, sich freisinnig u. s. w. zu
nennen, weil er dadurch in den Verdacht kommen konnte, zur Richterscheu
Nnuuerschaft z» gehören. Wenn schließlich Herr Richter allein übrig bleiben
sollte, so würde er ja mit um so größeren? Stolze auf die Einigkeit in seiner
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[0195] dermaßen um sich gegriffen haben, das; nur noch das kleine Häuflein frei¬ sinniger Parlamentarier und Zeitungsschreiber mutig geblieben wäre? Doch giebt es einen Punkt, ans dem auch Herrn Bambergers Stolz wieder lebendig wird, die Erinnerung daran, daß er zur Schadenfreude aller Feinde und Neider Deutschlands in der Samoafrage einen Erfolg errungen hat. Man könnte wirklich glauben, die Regierung mute Herrn Vamberger zu, bewehrt wie der¬ einst nach Kirchheim-Bvlauden, jetzt nach Samoa oder nach Afrika zu ziehen, mit solcher Nervosität erfüllen ihn die Kvlonialangelegenheiten. Und er braucht sich doch wahrlich uicht zu beunruhigen; wenn wirklich unternehmende Deutsche, die unter deu früheren Verhältnissen Pionierarbeit für Engländer und Ameri lauer verrichtet oder gar Dienste in Algier genommen haben würden, sich jetzt den deutschen Schutzgebieten zuwenden, es werden immer noch genug übrig bleiben, daß weder die Börse noch die Zeitungsredaktionen über Mangel an Kräften zu klagen haben. Herr Nickert, der in unbewachten Augenblicken sich dann und wann seiner besseren Zeiten erinnert, sprach im vergangenen Sommer irgendwo aus, die freisinnigen müßten anders werden, dann würde ihnen die Jugend auch wieder zufallen (man darf die Kinder nie ohne Aufsicht lassen! soll Herr Richter, als er das las, ausgerufen haben). Ja wohl, ganz anders. Kann die Jugend Achtung gewinnen vor einer Partei, deren Organe ihre ganze Aufgabe darin erblicken, zu stärkern, aus dem Hause zu tratschen, mit pfiffigem Augenzwinkern und halben Worten anzudeuten, daß sie um finstere Geheimnisse wissen, und die, wenn eine feste Hand sie am Kragen packt, plötzlich finden, die Sache sei genugsam erörtert, man möge sie ruhe» lasse» und Frieden halten? Grant denn Herr» Nickert uicht selbst vor solcher Gesellschaft? Möge er nur das seinige thun, um seine Partei zu der Einsicht zu bringen, daß Umkehr not thue. Es würde auch der deutscheu Sprache zugute kommen, die in Gefahr ist, die Wörter Demokrat, Liberalismus, Fortschritt, Freisinn und deren Familien gänzlich zu verlieren, da niemand mehr Lust hat, sich freisinnig u. s. w. zu nennen, weil er dadurch in den Verdacht kommen konnte, zur Richterscheu Nnuuerschaft z» gehören. Wenn schließlich Herr Richter allein übrig bleiben sollte, so würde er ja mit um so größeren? Stolze auf die Einigkeit in seiner Partei hinweisen können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/195>, abgerufen am 28.09.2024.