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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die gemißhandelten Unabhängigst

Ja freilich, unabhängig wie gewisse italienische Blätter, die ans Kosten
ihrer Regierung Frankreich verherrlichen, ""abhängig von dem, was man
Nationalgefühl nennt. Wie berechtigt ist der Stolz aus diese Presse, die un-
wandelbar ans der Seite des Auslandes stand, wo dieses thatsächlich oder
scheinbar Deutschland entgegentrat, die immer bereit war, die Ausspruche des
eignen Landes als unberechtigt, die eigne Negierung als im Gegensatz zur
öffentlichen Meinung und zum Interesse des Reiches darzustellen, immer bereit,
dieser Regierung Hindernisse anzudichten oder doch wenigstens den leitende"
Staatsmann zu kränke", zu ärgern, zu verdächtigen. So oft der Reichskanzler
ins Spiel komme, werde der Ton der Verhandlungen "gehässig," sagt Herr
Richter. Leider nur zu wahr! Denn so wie die Herren sich an den Schreib¬
tisch setzen oder sich zum Reden erhebe", erscheint vor ihrem "geistigen" Ange
der verhaßte Kanzler, und da wird "ntürlich der Ton "gehässig." Der Mann
steht ihnen anch überall im Wege. Wie berechtigt erscheint Herrn Richters
Stolz, wenn man sich nur der Daten des letzten Jahres erinnert! Mackenzie,
Ballenberg, Tagebuch, Sansibar, Morier welche Blätter im Nuhmestrnnze
der "freisinnigen" Presse! lind wenn auch jede Kampagne jammervoll ausging,
wenn die medizinische Wissenschaft der ganzen Welt, England "ut Frankreich
nicht ausgenommen, deu angebeteten Chirurgen als das kennzeichnet, was er
ist! durch brutale Thatsachen läßt sich die Überzeugung nicht erschüttern. Stolz
darf der Hauptmann sein ans eine solche Truppe, nur werden nicht so leicht
ihresgleichen sehen.

Und, sagt Herr Richter, wenn es nicht mehr gestattet sein soll, der
Regierung Steine in den Weg zu werfen, Mißtrauen gegen sie zu säen im
Inland und im Auslande, das Vertrauen auf die Macht und die Einigkeit
des Reiches zu erschüttern, dann verliert der ganze Parlamentarismus seinen
Wert. Den Parlamentarismus müssen wir haben, er ist Selbstzweck, was
nützt uns das Reich, wenn es nicht parlamentarisch gerollt ist? Nur schade,
daß die Verblendung immer weiter um sich greift. In Frankreich haben es
die dortigen Freisinnige" beinahe scho" zum Ideal des Parlamentarismus ge¬
bracht; nach jeder Abstimmung el" neues Regiment vom Staatsoberhaupt bis
zum Flurschützen, und um vor diesem idealen Zustande bewahrt zu werdeu,
ist die Bevölkerung drauf und dran, sich einem Boulanger in die Arme zu
werfen. Es sind schlechte Zeiten.

Darum ist auch Herr Bamberger, dem Karl Marx einmal den Titel
"Stern Gescheitetes" kostenfrei verliehen hat, nicht mehr so stolz wie sein
c-iMrno, sondern elegisch. Wir sind eine kleine geuußhandelte Partei. Aber
Herr Bamberger! Sind denn die Freisinnigen nicht die Nation, das Volk,
oder wenigstens "das wahre Volk?" Eine kleine Partei, diese Bezeichnung dürfte
bisher doch nur ans die angewandt werden, die sich gegen das Evangelium
von Manchester verstockt zeigen. Oder sollte die Richtersche Angst wirklich


Die gemißhandelten Unabhängigst

Ja freilich, unabhängig wie gewisse italienische Blätter, die ans Kosten
ihrer Regierung Frankreich verherrlichen, »»abhängig von dem, was man
Nationalgefühl nennt. Wie berechtigt ist der Stolz aus diese Presse, die un-
wandelbar ans der Seite des Auslandes stand, wo dieses thatsächlich oder
scheinbar Deutschland entgegentrat, die immer bereit war, die Ausspruche des
eignen Landes als unberechtigt, die eigne Negierung als im Gegensatz zur
öffentlichen Meinung und zum Interesse des Reiches darzustellen, immer bereit,
dieser Regierung Hindernisse anzudichten oder doch wenigstens den leitende»
Staatsmann zu kränke», zu ärgern, zu verdächtigen. So oft der Reichskanzler
ins Spiel komme, werde der Ton der Verhandlungen „gehässig," sagt Herr
Richter. Leider nur zu wahr! Denn so wie die Herren sich an den Schreib¬
tisch setzen oder sich zum Reden erhebe», erscheint vor ihrem „geistigen" Ange
der verhaßte Kanzler, und da wird »ntürlich der Ton „gehässig." Der Mann
steht ihnen anch überall im Wege. Wie berechtigt erscheint Herrn Richters
Stolz, wenn man sich nur der Daten des letzten Jahres erinnert! Mackenzie,
Ballenberg, Tagebuch, Sansibar, Morier welche Blätter im Nuhmestrnnze
der „freisinnigen" Presse! lind wenn auch jede Kampagne jammervoll ausging,
wenn die medizinische Wissenschaft der ganzen Welt, England »ut Frankreich
nicht ausgenommen, deu angebeteten Chirurgen als das kennzeichnet, was er
ist! durch brutale Thatsachen läßt sich die Überzeugung nicht erschüttern. Stolz
darf der Hauptmann sein ans eine solche Truppe, nur werden nicht so leicht
ihresgleichen sehen.

Und, sagt Herr Richter, wenn es nicht mehr gestattet sein soll, der
Regierung Steine in den Weg zu werfen, Mißtrauen gegen sie zu säen im
Inland und im Auslande, das Vertrauen auf die Macht und die Einigkeit
des Reiches zu erschüttern, dann verliert der ganze Parlamentarismus seinen
Wert. Den Parlamentarismus müssen wir haben, er ist Selbstzweck, was
nützt uns das Reich, wenn es nicht parlamentarisch gerollt ist? Nur schade,
daß die Verblendung immer weiter um sich greift. In Frankreich haben es
die dortigen Freisinnige» beinahe scho» zum Ideal des Parlamentarismus ge¬
bracht; nach jeder Abstimmung el» neues Regiment vom Staatsoberhaupt bis
zum Flurschützen, und um vor diesem idealen Zustande bewahrt zu werdeu,
ist die Bevölkerung drauf und dran, sich einem Boulanger in die Arme zu
werfen. Es sind schlechte Zeiten.

Darum ist auch Herr Bamberger, dem Karl Marx einmal den Titel
„Stern Gescheitetes" kostenfrei verliehen hat, nicht mehr so stolz wie sein
c-iMrno, sondern elegisch. Wir sind eine kleine geuußhandelte Partei. Aber
Herr Bamberger! Sind denn die Freisinnigen nicht die Nation, das Volk,
oder wenigstens „das wahre Volk?" Eine kleine Partei, diese Bezeichnung dürfte
bisher doch nur ans die angewandt werden, die sich gegen das Evangelium
von Manchester verstockt zeigen. Oder sollte die Richtersche Angst wirklich


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[0194] Die gemißhandelten Unabhängigst Ja freilich, unabhängig wie gewisse italienische Blätter, die ans Kosten ihrer Regierung Frankreich verherrlichen, »»abhängig von dem, was man Nationalgefühl nennt. Wie berechtigt ist der Stolz aus diese Presse, die un- wandelbar ans der Seite des Auslandes stand, wo dieses thatsächlich oder scheinbar Deutschland entgegentrat, die immer bereit war, die Ausspruche des eignen Landes als unberechtigt, die eigne Negierung als im Gegensatz zur öffentlichen Meinung und zum Interesse des Reiches darzustellen, immer bereit, dieser Regierung Hindernisse anzudichten oder doch wenigstens den leitende» Staatsmann zu kränke», zu ärgern, zu verdächtigen. So oft der Reichskanzler ins Spiel komme, werde der Ton der Verhandlungen „gehässig," sagt Herr Richter. Leider nur zu wahr! Denn so wie die Herren sich an den Schreib¬ tisch setzen oder sich zum Reden erhebe», erscheint vor ihrem „geistigen" Ange der verhaßte Kanzler, und da wird »ntürlich der Ton „gehässig." Der Mann steht ihnen anch überall im Wege. Wie berechtigt erscheint Herrn Richters Stolz, wenn man sich nur der Daten des letzten Jahres erinnert! Mackenzie, Ballenberg, Tagebuch, Sansibar, Morier welche Blätter im Nuhmestrnnze der „freisinnigen" Presse! lind wenn auch jede Kampagne jammervoll ausging, wenn die medizinische Wissenschaft der ganzen Welt, England »ut Frankreich nicht ausgenommen, deu angebeteten Chirurgen als das kennzeichnet, was er ist! durch brutale Thatsachen läßt sich die Überzeugung nicht erschüttern. Stolz darf der Hauptmann sein ans eine solche Truppe, nur werden nicht so leicht ihresgleichen sehen. Und, sagt Herr Richter, wenn es nicht mehr gestattet sein soll, der Regierung Steine in den Weg zu werfen, Mißtrauen gegen sie zu säen im Inland und im Auslande, das Vertrauen auf die Macht und die Einigkeit des Reiches zu erschüttern, dann verliert der ganze Parlamentarismus seinen Wert. Den Parlamentarismus müssen wir haben, er ist Selbstzweck, was nützt uns das Reich, wenn es nicht parlamentarisch gerollt ist? Nur schade, daß die Verblendung immer weiter um sich greift. In Frankreich haben es die dortigen Freisinnige» beinahe scho» zum Ideal des Parlamentarismus ge¬ bracht; nach jeder Abstimmung el» neues Regiment vom Staatsoberhaupt bis zum Flurschützen, und um vor diesem idealen Zustande bewahrt zu werdeu, ist die Bevölkerung drauf und dran, sich einem Boulanger in die Arme zu werfen. Es sind schlechte Zeiten. Darum ist auch Herr Bamberger, dem Karl Marx einmal den Titel „Stern Gescheitetes" kostenfrei verliehen hat, nicht mehr so stolz wie sein c-iMrno, sondern elegisch. Wir sind eine kleine geuußhandelte Partei. Aber Herr Bamberger! Sind denn die Freisinnigen nicht die Nation, das Volk, oder wenigstens „das wahre Volk?" Eine kleine Partei, diese Bezeichnung dürfte bisher doch nur ans die angewandt werden, die sich gegen das Evangelium von Manchester verstockt zeigen. Oder sollte die Richtersche Angst wirklich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/194>, abgerufen am 29.06.2024.