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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Ztreifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

logischen Grundbedingung".',! des schöpferischen Geistes. Es blieb zur. Er¬
klärung und Würdigung eiues Schriftstellers also nur noch ein Ausgangspunkt
übrig, nämlich der vom Beurteiler selbst.

In der That ist auch dieser kritische Versuch neuerdings gemacht worden.
Paul Bourget ist der Begründer der eritiano exotiste; in seinen VWiüs as
nsyonolo^is sonteinnorains geht er von sich selbst ans und findet in seinem
eignen Wesen eine Reihe das ganze gegenwärtige Zeitalter charnkterisirender
Ideen, Seelenzustände und Bestrebungen. Er sucht die durcheinander ge¬
schlungenen Fäden des psychologischen Gewebes in seinem Mikrokosmos zu
entwirren, die Hauptrichtungen, ob gesunder oder krankhafter Natur, bloß zu legen,
und so, von einer subjektivelt Kritik ausgehend, die psychologischen und patho¬
logischen Rätsel der modernen Kulturwelt zu. lösen.

Durch eine derartige Analyse findet Bourget als ein hervorragendes
Merkmal der Aras mvövrns den unverkennbaren Hang zum Mystizismus, ver¬
bunden mit einer künstlich gesteigerten, ungesunden Sinnlichkeit, und als Ur¬
sache für diese Erscheinung die stetig wachsende Nervosität und die Abnahme
der reinen Lebenssäfte. Es ist ein Verzweifluugskntnpf zwischen dem. mora¬
lischen Bewußtsein und einer vom gesteigerten Nervenkitzel verfolgten Phantasie,
eine Entrüstungsgnal unersättlicher Wollust über die Impotenz der erschlafften
Kulturmuskeln, jene sinnliche Ruhelosigkeit, von der Beaumarchais sagt:


ZZll Üosü'-Alt ,s"z ssns HNS ^ouis,
Dir soulss-rrrt ^'s sous <^u.o ^jo clösirv!

oder um mit Faust zu reden:


So kannt' ich von Begierde zu Genuß,
Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde.

Paul Bourget bezeichnet als Hauptvertreter dieser mystisch-sinnlichen Richtung
Baudelaire, den Dichter der NaI aux üonrs, und Dumas Ms.

Eiti andres zersetzendes Element in dem geistigen und sittlichen Leben der
Gegenwart ist der bildungssüchtige Dilettantismus, estts äisvosition ä'ö8xriti,
trss intslligents Ä ick. toi8 se trss volnxtnsuss qui nous invlins körr tour
vör8 iss kormss cUvsrsss als ig. vis se nous eonäuit 5. non8 xrstsr A toutss
<ZSS tormss SMS nous Sonnsr ü> anonvo. In diesem ruhelosen geistigen Umher¬
schweifen sieht Bourget die Erklärung für die melancholische Stimmung unsrer
Zeit, aber mich für die auffallende Aussonderung der Ari8toorg,dis intsllsotuslls,
Züge, die besonders deutlich bei Renan und den Goncourts hervortreten.

Zu dem hÄnäslg.iri8ins und rsimni8ins komiut noch das gefährliche, eine
nationale Kraftentfaltung verhindernde Weltbürgertum, dsMsins, das an aus¬
geprägtesten Stendhal (Henri Veyle) darstellt, und das in der Auslandssucht,
dem sxsti8mo eines Pierre Lodi, gegenwärtig seinen litterarischen Ausdruck
findet. Ebenso verwirrend und nachteilig sür eine gesunde Lebensgestnltnng


Ztreifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart

logischen Grundbedingung«.',! des schöpferischen Geistes. Es blieb zur. Er¬
klärung und Würdigung eiues Schriftstellers also nur noch ein Ausgangspunkt
übrig, nämlich der vom Beurteiler selbst.

In der That ist auch dieser kritische Versuch neuerdings gemacht worden.
Paul Bourget ist der Begründer der eritiano exotiste; in seinen VWiüs as
nsyonolo^is sonteinnorains geht er von sich selbst ans und findet in seinem
eignen Wesen eine Reihe das ganze gegenwärtige Zeitalter charnkterisirender
Ideen, Seelenzustände und Bestrebungen. Er sucht die durcheinander ge¬
schlungenen Fäden des psychologischen Gewebes in seinem Mikrokosmos zu
entwirren, die Hauptrichtungen, ob gesunder oder krankhafter Natur, bloß zu legen,
und so, von einer subjektivelt Kritik ausgehend, die psychologischen und patho¬
logischen Rätsel der modernen Kulturwelt zu. lösen.

Durch eine derartige Analyse findet Bourget als ein hervorragendes
Merkmal der Aras mvövrns den unverkennbaren Hang zum Mystizismus, ver¬
bunden mit einer künstlich gesteigerten, ungesunden Sinnlichkeit, und als Ur¬
sache für diese Erscheinung die stetig wachsende Nervosität und die Abnahme
der reinen Lebenssäfte. Es ist ein Verzweifluugskntnpf zwischen dem. mora¬
lischen Bewußtsein und einer vom gesteigerten Nervenkitzel verfolgten Phantasie,
eine Entrüstungsgnal unersättlicher Wollust über die Impotenz der erschlafften
Kulturmuskeln, jene sinnliche Ruhelosigkeit, von der Beaumarchais sagt:


ZZll Üosü'-Alt ,s«z ssns HNS ^ouis,
Dir soulss-rrrt ^'s sous <^u.o ^jo clösirv!

oder um mit Faust zu reden:


So kannt' ich von Begierde zu Genuß,
Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde.

Paul Bourget bezeichnet als Hauptvertreter dieser mystisch-sinnlichen Richtung
Baudelaire, den Dichter der NaI aux üonrs, und Dumas Ms.

Eiti andres zersetzendes Element in dem geistigen und sittlichen Leben der
Gegenwart ist der bildungssüchtige Dilettantismus, estts äisvosition ä'ö8xriti,
trss intslligents Ä ick. toi8 se trss volnxtnsuss qui nous invlins körr tour
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schweifen sieht Bourget die Erklärung für die melancholische Stimmung unsrer
Zeit, aber mich für die auffallende Aussonderung der Ari8toorg,dis intsllsotuslls,
Züge, die besonders deutlich bei Renan und den Goncourts hervortreten.

Zu dem hÄnäslg.iri8ins und rsimni8ins komiut noch das gefährliche, eine
nationale Kraftentfaltung verhindernde Weltbürgertum, dsMsins, das an aus¬
geprägtesten Stendhal (Henri Veyle) darstellt, und das in der Auslandssucht,
dem sxsti8mo eines Pierre Lodi, gegenwärtig seinen litterarischen Ausdruck
findet. Ebenso verwirrend und nachteilig sür eine gesunde Lebensgestnltnng


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[0190] Ztreifziige durch die französische Litteratur der Gegenwart logischen Grundbedingung«.',! des schöpferischen Geistes. Es blieb zur. Er¬ klärung und Würdigung eiues Schriftstellers also nur noch ein Ausgangspunkt übrig, nämlich der vom Beurteiler selbst. In der That ist auch dieser kritische Versuch neuerdings gemacht worden. Paul Bourget ist der Begründer der eritiano exotiste; in seinen VWiüs as nsyonolo^is sonteinnorains geht er von sich selbst ans und findet in seinem eignen Wesen eine Reihe das ganze gegenwärtige Zeitalter charnkterisirender Ideen, Seelenzustände und Bestrebungen. Er sucht die durcheinander ge¬ schlungenen Fäden des psychologischen Gewebes in seinem Mikrokosmos zu entwirren, die Hauptrichtungen, ob gesunder oder krankhafter Natur, bloß zu legen, und so, von einer subjektivelt Kritik ausgehend, die psychologischen und patho¬ logischen Rätsel der modernen Kulturwelt zu. lösen. Durch eine derartige Analyse findet Bourget als ein hervorragendes Merkmal der Aras mvövrns den unverkennbaren Hang zum Mystizismus, ver¬ bunden mit einer künstlich gesteigerten, ungesunden Sinnlichkeit, und als Ur¬ sache für diese Erscheinung die stetig wachsende Nervosität und die Abnahme der reinen Lebenssäfte. Es ist ein Verzweifluugskntnpf zwischen dem. mora¬ lischen Bewußtsein und einer vom gesteigerten Nervenkitzel verfolgten Phantasie, eine Entrüstungsgnal unersättlicher Wollust über die Impotenz der erschlafften Kulturmuskeln, jene sinnliche Ruhelosigkeit, von der Beaumarchais sagt: ZZll Üosü'-Alt ,s«z ssns HNS ^ouis, Dir soulss-rrrt ^'s sous <^u.o ^jo clösirv! oder um mit Faust zu reden: So kannt' ich von Begierde zu Genuß, Und im Genuß verschmacht' ich nach Begierde. Paul Bourget bezeichnet als Hauptvertreter dieser mystisch-sinnlichen Richtung Baudelaire, den Dichter der NaI aux üonrs, und Dumas Ms. Eiti andres zersetzendes Element in dem geistigen und sittlichen Leben der Gegenwart ist der bildungssüchtige Dilettantismus, estts äisvosition ä'ö8xriti, trss intslligents Ä ick. toi8 se trss volnxtnsuss qui nous invlins körr tour vör8 iss kormss cUvsrsss als ig. vis se nous eonäuit 5. non8 xrstsr A toutss <ZSS tormss SMS nous Sonnsr ü> anonvo. In diesem ruhelosen geistigen Umher¬ schweifen sieht Bourget die Erklärung für die melancholische Stimmung unsrer Zeit, aber mich für die auffallende Aussonderung der Ari8toorg,dis intsllsotuslls, Züge, die besonders deutlich bei Renan und den Goncourts hervortreten. Zu dem hÄnäslg.iri8ins und rsimni8ins komiut noch das gefährliche, eine nationale Kraftentfaltung verhindernde Weltbürgertum, dsMsins, das an aus¬ geprägtesten Stendhal (Henri Veyle) darstellt, und das in der Auslandssucht, dem sxsti8mo eines Pierre Lodi, gegenwärtig seinen litterarischen Ausdruck findet. Ebenso verwirrend und nachteilig sür eine gesunde Lebensgestnltnng

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/190>, abgerufen am 29.06.2024.