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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Zu Körners Toni und Zriny

ohne vorherige Losung der Baude geschehen kann -- seiner Retterin in die
Arme zu fliegen.

Nach einem gräßlich anschaulicher Rachekampfe lind dein Tode der beiden
endigt bei Kleist die düster eingeleitete Erzählung auch mit dein allein mög¬
lichen ernsten Schlüsse. Der fröhliche Ausgang Körners scheint wirklich ein
Vergehen an dem Wesen des Stoffes. Die Ehe der beiden Menschen, über
der keine hochzeitsegnenden Mächte gewaltet haben, muß, wie die Romeos und
Julias, ohne Segen für sie enden. Daß der Tod dieser beiden Menschen
durch das gleiche Schicksal des lebensmüden Kleist und der Henriette Vogel
noch ein ganz andres Licht erhält, daß auch Kleist, wie Gustav in der Novelle,
erst mit kältesten Blute die Geliebte durchs Herz schoß und dann sich selber,
wieder wie Gustav, die Kugel durch deu Mund in deu Kopf jagte: alles das
entging dem lebensfroheil Körner außerdem noch. Er fand in Kleists Ende
"nur das überspannt flache Wesen der Preußen, deutlich ausgedrückt"! So
nimmt sich Körners Schluß zur "Toni" etwa so aus wie Nicolais Parodie
auf "Werthers Leiden."

Von kleineren Feinheiten gar nicht zu reden. So mußte die echt-kleistische
romantische Badeszeue/') wie das blühende Mädchen vor dem Jüngling kniet,
ihm die Füße wäscht, und er dabei ihren ganzen jungfräulichen Liebreiz über¬
schaut, auf der Bühne fallen. So geht anch das schöne Spiel mit dem Brief,
deu Gustav an seine Genossen geschrieben und Toni der bösen Vgbekau ent¬
wendet hat, bei Körner verloren. Und wie geschichtlich wirksam "rächt sich
die Einleitung bei Kleist! Da steht die üppige Landschaft der Insel Se. Domingo,
der Groll der Ausässigeu gegen die Weißhnute, die Geschichte des Stlaven-
anfstandes leibhaftig vor unsern Augen. In der Körnerschen Exposition erkennt
man sie fast gar nicht oder muß sie sich erst allmählich zusammenstöppeln. ,

Diese kalte Zergliederuug war nötig, um auf der einen Seite deu meister¬
haften, naturgetreuen Prosaiker, auf der andern deu schniärinerischeu, anfangenden
Dramatiker zu kennzeichnen. Ich lasse Körner allen seinen Ruhm gerne, unter¬
schreibe gern, daß er "in der Leichtigkeit und dem Flusse der Jamben weiter
gekommen" ist, und daß man dem schönen Monologe der Heldin "die besondre
Mühe" wohl anmerkt. (Brief an die Eltern.) Aber er vergriff das Thema,
das bei Kleist lautete: Der Fluch des Mißtrauens, lind machte einen Sieg
der Liebe daraus. - ^

Entzieht sich das nächste Stück der Körnerschen Muse ans dem Wiener
Aufenthalt, die "Sühne," in ihrer Entstehungsart fast ganz unsern Blicken,
so können wir deu jungen Dichter um so mehr bei seinem nächsten und seinem
besten Drama überwache", bei seinem "Zriuh."



Auch die ursprüngliche Badeszene im "KSthchm von Heilbronn" holte Kleist aus ähn¬
liche" Bedenke" ändern müsse". '
Zu Körners Toni und Zriny

ohne vorherige Losung der Baude geschehen kann — seiner Retterin in die
Arme zu fliegen.

Nach einem gräßlich anschaulicher Rachekampfe lind dein Tode der beiden
endigt bei Kleist die düster eingeleitete Erzählung auch mit dein allein mög¬
lichen ernsten Schlüsse. Der fröhliche Ausgang Körners scheint wirklich ein
Vergehen an dem Wesen des Stoffes. Die Ehe der beiden Menschen, über
der keine hochzeitsegnenden Mächte gewaltet haben, muß, wie die Romeos und
Julias, ohne Segen für sie enden. Daß der Tod dieser beiden Menschen
durch das gleiche Schicksal des lebensmüden Kleist und der Henriette Vogel
noch ein ganz andres Licht erhält, daß auch Kleist, wie Gustav in der Novelle,
erst mit kältesten Blute die Geliebte durchs Herz schoß und dann sich selber,
wieder wie Gustav, die Kugel durch deu Mund in deu Kopf jagte: alles das
entging dem lebensfroheil Körner außerdem noch. Er fand in Kleists Ende
„nur das überspannt flache Wesen der Preußen, deutlich ausgedrückt"! So
nimmt sich Körners Schluß zur „Toni" etwa so aus wie Nicolais Parodie
auf „Werthers Leiden."

Von kleineren Feinheiten gar nicht zu reden. So mußte die echt-kleistische
romantische Badeszeue/') wie das blühende Mädchen vor dem Jüngling kniet,
ihm die Füße wäscht, und er dabei ihren ganzen jungfräulichen Liebreiz über¬
schaut, auf der Bühne fallen. So geht anch das schöne Spiel mit dem Brief,
deu Gustav an seine Genossen geschrieben und Toni der bösen Vgbekau ent¬
wendet hat, bei Körner verloren. Und wie geschichtlich wirksam »rächt sich
die Einleitung bei Kleist! Da steht die üppige Landschaft der Insel Se. Domingo,
der Groll der Ausässigeu gegen die Weißhnute, die Geschichte des Stlaven-
anfstandes leibhaftig vor unsern Augen. In der Körnerschen Exposition erkennt
man sie fast gar nicht oder muß sie sich erst allmählich zusammenstöppeln. ,

Diese kalte Zergliederuug war nötig, um auf der einen Seite deu meister¬
haften, naturgetreuen Prosaiker, auf der andern deu schniärinerischeu, anfangenden
Dramatiker zu kennzeichnen. Ich lasse Körner allen seinen Ruhm gerne, unter¬
schreibe gern, daß er „in der Leichtigkeit und dem Flusse der Jamben weiter
gekommen" ist, und daß man dem schönen Monologe der Heldin „die besondre
Mühe" wohl anmerkt. (Brief an die Eltern.) Aber er vergriff das Thema,
das bei Kleist lautete: Der Fluch des Mißtrauens, lind machte einen Sieg
der Liebe daraus. - ^

Entzieht sich das nächste Stück der Körnerschen Muse ans dem Wiener
Aufenthalt, die „Sühne," in ihrer Entstehungsart fast ganz unsern Blicken,
so können wir deu jungen Dichter um so mehr bei seinem nächsten und seinem
besten Drama überwache», bei seinem „Zriuh."



Auch die ursprüngliche Badeszene im „KSthchm von Heilbronn" holte Kleist aus ähn¬
liche» Bedenke» ändern müsse». '
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[0182] Zu Körners Toni und Zriny ohne vorherige Losung der Baude geschehen kann — seiner Retterin in die Arme zu fliegen. Nach einem gräßlich anschaulicher Rachekampfe lind dein Tode der beiden endigt bei Kleist die düster eingeleitete Erzählung auch mit dein allein mög¬ lichen ernsten Schlüsse. Der fröhliche Ausgang Körners scheint wirklich ein Vergehen an dem Wesen des Stoffes. Die Ehe der beiden Menschen, über der keine hochzeitsegnenden Mächte gewaltet haben, muß, wie die Romeos und Julias, ohne Segen für sie enden. Daß der Tod dieser beiden Menschen durch das gleiche Schicksal des lebensmüden Kleist und der Henriette Vogel noch ein ganz andres Licht erhält, daß auch Kleist, wie Gustav in der Novelle, erst mit kältesten Blute die Geliebte durchs Herz schoß und dann sich selber, wieder wie Gustav, die Kugel durch deu Mund in deu Kopf jagte: alles das entging dem lebensfroheil Körner außerdem noch. Er fand in Kleists Ende „nur das überspannt flache Wesen der Preußen, deutlich ausgedrückt"! So nimmt sich Körners Schluß zur „Toni" etwa so aus wie Nicolais Parodie auf „Werthers Leiden." Von kleineren Feinheiten gar nicht zu reden. So mußte die echt-kleistische romantische Badeszeue/') wie das blühende Mädchen vor dem Jüngling kniet, ihm die Füße wäscht, und er dabei ihren ganzen jungfräulichen Liebreiz über¬ schaut, auf der Bühne fallen. So geht anch das schöne Spiel mit dem Brief, deu Gustav an seine Genossen geschrieben und Toni der bösen Vgbekau ent¬ wendet hat, bei Körner verloren. Und wie geschichtlich wirksam »rächt sich die Einleitung bei Kleist! Da steht die üppige Landschaft der Insel Se. Domingo, der Groll der Ausässigeu gegen die Weißhnute, die Geschichte des Stlaven- anfstandes leibhaftig vor unsern Augen. In der Körnerschen Exposition erkennt man sie fast gar nicht oder muß sie sich erst allmählich zusammenstöppeln. , Diese kalte Zergliederuug war nötig, um auf der einen Seite deu meister¬ haften, naturgetreuen Prosaiker, auf der andern deu schniärinerischeu, anfangenden Dramatiker zu kennzeichnen. Ich lasse Körner allen seinen Ruhm gerne, unter¬ schreibe gern, daß er „in der Leichtigkeit und dem Flusse der Jamben weiter gekommen" ist, und daß man dem schönen Monologe der Heldin „die besondre Mühe" wohl anmerkt. (Brief an die Eltern.) Aber er vergriff das Thema, das bei Kleist lautete: Der Fluch des Mißtrauens, lind machte einen Sieg der Liebe daraus. - ^ Entzieht sich das nächste Stück der Körnerschen Muse ans dem Wiener Aufenthalt, die „Sühne," in ihrer Entstehungsart fast ganz unsern Blicken, so können wir deu jungen Dichter um so mehr bei seinem nächsten und seinem besten Drama überwache», bei seinem „Zriuh." Auch die ursprüngliche Badeszene im „KSthchm von Heilbronn" holte Kleist aus ähn¬ liche» Bedenke» ändern müsse». '

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/182>, abgerufen am 28.09.2024.