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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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An Körners Toni und Ariny

Toni vou vornherein auf Seite der Weiße" steht. Sie muß folgerichtiger
Weise die Weißen hassen, muß schon oft zum Fange der Christen verwendet
worden sein, damit die durchbrechende Leidenschaftlichkeit zu dem weißen
Fremdling um fo gewaltiger wirke. So ists bei Kleist. Und wie fein hat
dieser den Drang der Natur begründet: Sie liebt Gustav gar nicht gleich,
nur erfaßt sie Mitleid -- wie Desdemona als sie von ihm Hort,

daß die gute Marianne, seine Geliebte, sich in den Stürmen der fran¬
zösischen Revolution für ihn in edelmütigster Weise geopfert hat. Auch ihn
überrascht gleich bei der ersten Begegnung die Ähnlichkeit mit jener toten
Marianne und erhebt seinen allmählich erwachenden, natürlichen Trieb für sie
zu einer reinen vergeistigter Neigung. Nun rührt sein schmerzlicher Verlust
des ersten Weibes ihr Herz in seltsamer Bewegung, nnn schmiegt sie sich
gleichsam als Ersatz für die verlorene Geliebte an seine Brust, nun bedauert
sie ihn, und da ist dann bei Frauen auch die Liebe nicht weit. Ganz selbst¬
vergessen giebt sie sich ihm hiu, gewährt ihm sogar die letzte Gunst, die ihr
bei Todesstrafe verboten war den Fremden zu erweisen. Das alles unterdrückt
Körner, zum Teil durch Theaterrücksichten bewogen, und beraubt sich so des
tieferen seelischen Hintergrundes. Toni will den Mann allerdings auch aus
Liebe retten, aber daß seine Rettung für sie gewissermaßen nnn Selbstrettnng
wird, daß sie um ihres eignen Falles willen das äußerste, wie eine wirkliche
Gattin, für den Geliebten wagt, das fehlt wieder. Diesen heiligen Trieben
folgend fesselt sie ferner bei Kleist den Geliebten ans dein Lager, erheuchelt
vor dem Negerhauptmann Hoangv einen Anschlag des Unglücklichen auf die
Mutter Vabekcm, den Körner übergeht; aber sie geht nicht so weit, den Rat
zu geben, Gustav solle seine eignen Freunde durch einen Brief ins Halts des
Verderbens locken; das hieße geradezu unmenschlich gehandelt, und passend teilt
Kleist einen solchen teuflischen Mordgedanken der schwarzen Babelau zu.

Denn diese ist bei Kleist wirklich, was sie sein soll: teuflisch. Sie errät
die Gedanken. Sie weiß, daß Toni in der Nacht zu Gustavs Kammer ge¬
schlichen ist, ohne daß die Liebende von der Lauscherin etwas gemerkt hat.
Sie stellt sich, als ob auch sie unter dein Banne der Weißenvcrfvlgung stehe,
und ist doch eine wütende Fanatikern!. Sie übersieht mit haarscharfem Blick
das ganze Spiel der Liebenden. So erscheint sie bei Kleist als ein weiblicher
Mohr (Fiesko), während man sie bei Körner nur in das Fach einer hämischen
Alten verweisen kann.

Nachdem Toni in der Novelle den Geliebten in der höchsten Gefahr selbst
gebunden hat, ihn sichtlich in die Hände der Feinde liefert, da bleibt diesem
nichts übrig, als an der Liebe des Mädchens zu zweifeln und sich an ihr für
den Trug zu rächen. Das ist echt menschlich, echt kleistisch: er tötet sie
zuerst lind dann sich selbst, statt, wie bei Körner, ruhig und ganz unhelden¬
haft auf dem Bette dazuliegen und dann -- "lau weiß nicht recht, wie das


An Körners Toni und Ariny

Toni vou vornherein auf Seite der Weiße» steht. Sie muß folgerichtiger
Weise die Weißen hassen, muß schon oft zum Fange der Christen verwendet
worden sein, damit die durchbrechende Leidenschaftlichkeit zu dem weißen
Fremdling um fo gewaltiger wirke. So ists bei Kleist. Und wie fein hat
dieser den Drang der Natur begründet: Sie liebt Gustav gar nicht gleich,
nur erfaßt sie Mitleid — wie Desdemona als sie von ihm Hort,

daß die gute Marianne, seine Geliebte, sich in den Stürmen der fran¬
zösischen Revolution für ihn in edelmütigster Weise geopfert hat. Auch ihn
überrascht gleich bei der ersten Begegnung die Ähnlichkeit mit jener toten
Marianne und erhebt seinen allmählich erwachenden, natürlichen Trieb für sie
zu einer reinen vergeistigter Neigung. Nun rührt sein schmerzlicher Verlust
des ersten Weibes ihr Herz in seltsamer Bewegung, nnn schmiegt sie sich
gleichsam als Ersatz für die verlorene Geliebte an seine Brust, nun bedauert
sie ihn, und da ist dann bei Frauen auch die Liebe nicht weit. Ganz selbst¬
vergessen giebt sie sich ihm hiu, gewährt ihm sogar die letzte Gunst, die ihr
bei Todesstrafe verboten war den Fremden zu erweisen. Das alles unterdrückt
Körner, zum Teil durch Theaterrücksichten bewogen, und beraubt sich so des
tieferen seelischen Hintergrundes. Toni will den Mann allerdings auch aus
Liebe retten, aber daß seine Rettung für sie gewissermaßen nnn Selbstrettnng
wird, daß sie um ihres eignen Falles willen das äußerste, wie eine wirkliche
Gattin, für den Geliebten wagt, das fehlt wieder. Diesen heiligen Trieben
folgend fesselt sie ferner bei Kleist den Geliebten ans dein Lager, erheuchelt
vor dem Negerhauptmann Hoangv einen Anschlag des Unglücklichen auf die
Mutter Vabekcm, den Körner übergeht; aber sie geht nicht so weit, den Rat
zu geben, Gustav solle seine eignen Freunde durch einen Brief ins Halts des
Verderbens locken; das hieße geradezu unmenschlich gehandelt, und passend teilt
Kleist einen solchen teuflischen Mordgedanken der schwarzen Babelau zu.

Denn diese ist bei Kleist wirklich, was sie sein soll: teuflisch. Sie errät
die Gedanken. Sie weiß, daß Toni in der Nacht zu Gustavs Kammer ge¬
schlichen ist, ohne daß die Liebende von der Lauscherin etwas gemerkt hat.
Sie stellt sich, als ob auch sie unter dein Banne der Weißenvcrfvlgung stehe,
und ist doch eine wütende Fanatikern!. Sie übersieht mit haarscharfem Blick
das ganze Spiel der Liebenden. So erscheint sie bei Kleist als ein weiblicher
Mohr (Fiesko), während man sie bei Körner nur in das Fach einer hämischen
Alten verweisen kann.

Nachdem Toni in der Novelle den Geliebten in der höchsten Gefahr selbst
gebunden hat, ihn sichtlich in die Hände der Feinde liefert, da bleibt diesem
nichts übrig, als an der Liebe des Mädchens zu zweifeln und sich an ihr für
den Trug zu rächen. Das ist echt menschlich, echt kleistisch: er tötet sie
zuerst lind dann sich selbst, statt, wie bei Körner, ruhig und ganz unhelden¬
haft auf dem Bette dazuliegen und dann — »lau weiß nicht recht, wie das


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[0181] An Körners Toni und Ariny Toni vou vornherein auf Seite der Weiße» steht. Sie muß folgerichtiger Weise die Weißen hassen, muß schon oft zum Fange der Christen verwendet worden sein, damit die durchbrechende Leidenschaftlichkeit zu dem weißen Fremdling um fo gewaltiger wirke. So ists bei Kleist. Und wie fein hat dieser den Drang der Natur begründet: Sie liebt Gustav gar nicht gleich, nur erfaßt sie Mitleid — wie Desdemona als sie von ihm Hort, daß die gute Marianne, seine Geliebte, sich in den Stürmen der fran¬ zösischen Revolution für ihn in edelmütigster Weise geopfert hat. Auch ihn überrascht gleich bei der ersten Begegnung die Ähnlichkeit mit jener toten Marianne und erhebt seinen allmählich erwachenden, natürlichen Trieb für sie zu einer reinen vergeistigter Neigung. Nun rührt sein schmerzlicher Verlust des ersten Weibes ihr Herz in seltsamer Bewegung, nnn schmiegt sie sich gleichsam als Ersatz für die verlorene Geliebte an seine Brust, nun bedauert sie ihn, und da ist dann bei Frauen auch die Liebe nicht weit. Ganz selbst¬ vergessen giebt sie sich ihm hiu, gewährt ihm sogar die letzte Gunst, die ihr bei Todesstrafe verboten war den Fremden zu erweisen. Das alles unterdrückt Körner, zum Teil durch Theaterrücksichten bewogen, und beraubt sich so des tieferen seelischen Hintergrundes. Toni will den Mann allerdings auch aus Liebe retten, aber daß seine Rettung für sie gewissermaßen nnn Selbstrettnng wird, daß sie um ihres eignen Falles willen das äußerste, wie eine wirkliche Gattin, für den Geliebten wagt, das fehlt wieder. Diesen heiligen Trieben folgend fesselt sie ferner bei Kleist den Geliebten ans dein Lager, erheuchelt vor dem Negerhauptmann Hoangv einen Anschlag des Unglücklichen auf die Mutter Vabekcm, den Körner übergeht; aber sie geht nicht so weit, den Rat zu geben, Gustav solle seine eignen Freunde durch einen Brief ins Halts des Verderbens locken; das hieße geradezu unmenschlich gehandelt, und passend teilt Kleist einen solchen teuflischen Mordgedanken der schwarzen Babelau zu. Denn diese ist bei Kleist wirklich, was sie sein soll: teuflisch. Sie errät die Gedanken. Sie weiß, daß Toni in der Nacht zu Gustavs Kammer ge¬ schlichen ist, ohne daß die Liebende von der Lauscherin etwas gemerkt hat. Sie stellt sich, als ob auch sie unter dein Banne der Weißenvcrfvlgung stehe, und ist doch eine wütende Fanatikern!. Sie übersieht mit haarscharfem Blick das ganze Spiel der Liebenden. So erscheint sie bei Kleist als ein weiblicher Mohr (Fiesko), während man sie bei Körner nur in das Fach einer hämischen Alten verweisen kann. Nachdem Toni in der Novelle den Geliebten in der höchsten Gefahr selbst gebunden hat, ihn sichtlich in die Hände der Feinde liefert, da bleibt diesem nichts übrig, als an der Liebe des Mädchens zu zweifeln und sich an ihr für den Trug zu rächen. Das ist echt menschlich, echt kleistisch: er tötet sie zuerst lind dann sich selbst, statt, wie bei Körner, ruhig und ganz unhelden¬ haft auf dem Bette dazuliegen und dann — »lau weiß nicht recht, wie das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/181>, abgerufen am 29.06.2024.