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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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das Drama "Toni" vollendet, und am 22. Februar die "Sühne" abgeschlossen.
Im März folgen die geschichtlichen Vorarbeiten zum "Zriny," dieser wird zu
Ende geführt, mehrere Lustspiele gehen nebenher, und die Dramen "Hedwig"
und "Rosamunde" schließen die lange Reihe von 1812 ab.

Diese Fruchtbarkeit, die an die "Geistesgegenwart eines Improvisators"
erinnert, hatte natürlich in erster Linie einen sehr einfachen Grund: lange ver¬
haltene Gedanken wollten heraus aus dem Kopfe, und was der Geist lange
ausgereift hatte, gab er in schneller Geburt wieder. Überdies fühlte sich
Körners Gemüt durch eine warme Liebesneigung wunderbar angeregt. Eine
weitere Erklärung für diese Schuelligkeit liegt darin, daß Körner für seine
Arbeiten entweder, wie im "Nachtwächter," eigne Erlebnisse benutzte, oder die
Erzeugnisse andrer Dichter verwertete und weniger Neudichter als Nachdichter
war. Das that er bei der "Hedwig," wo er Schillers Plan zu einem zweiten
Teil der "Räuber" benutzte. Das that er noch viel mehr bei der "Toni," die
er bekanntlich nach Heinrich Kleists Novelle "Die Verlobung ans Se. Domingo"
arbeitete, welche Kleist während seines Dresdener Aufenthaltes (1807--1809)
und seines häufigen Verkehrs im Elternhause Körners geschaffen und vielleicht
im Entwurf dein jungen Körner mitgeteilt hatte.

Gerade bei diesem ersten größeren Drama, zu dem solche Dresdener
Erinnerungen den Anlaß gegeben haben mögen, können wir Körners Denken
und Dichten auf seinen geheimsten Wegen belauschen. An einigen Stellen gießt
er die Worte Kleists nur in Verse um und schöpft die poesiegetränkte Novelle
für seiue eigne Kunstleistung aus. Mau denke nur an die liebliche Stelle bei
Kleist, wo Toni, die junge Mestize, leise das Zimmer des Geliebten öffnet und
vor das Bett tritt, auf dem er vom Monde beschienen in tiefen Schlaf versenkt
ruht. "Ein tiefer Traum, von dem sie Gegenstand zu sein schien, beschäftigte
ihn; sie konnte sich nicht entschließen, ihn aus den Himmeln lieblicher Ein¬
bildung in die Tiefe einer gemeinen und elenden Wirklichkeit herabzureißen."
Fast mit denselben Worten heißt es bei Körner:


Und liebe Bilder gaukeln um ihn her,
Vielleicht mein Bild, vielleicht der Liebe Wehen,
So mag er schlummern, nicht mein zitternd Wort
Soll ihn aus seiner Seligkeit erwecken.
Ich will ihn nicht ins rauhe Leben ziehen!
Er mag noch träumen von des Himmels Frieden.

Eine solche Vorlage beschleunigt aber nicht nur die Arbeit, sie führt auch,
wenn die Naturen sich nicht ganz decken, leicht zur Verflachung. Das ist leider
hier eingetroffen. Körners Wesen wollte dem Stoffe kräftige Wirkungen ab¬
locken, wollte Theatercoups, Kleist wollte größte, peinlichste Naturtreue. Daher
bei Kleist überall feinste Begründung, bei Körner häufig Unloahrscheinlichkeiten
in der Motivirung. Darunter dürfen wir es in Körners Stück rechnen, daß


das Drama „Toni" vollendet, und am 22. Februar die „Sühne" abgeschlossen.
Im März folgen die geschichtlichen Vorarbeiten zum „Zriny," dieser wird zu
Ende geführt, mehrere Lustspiele gehen nebenher, und die Dramen „Hedwig"
und „Rosamunde" schließen die lange Reihe von 1812 ab.

Diese Fruchtbarkeit, die an die „Geistesgegenwart eines Improvisators"
erinnert, hatte natürlich in erster Linie einen sehr einfachen Grund: lange ver¬
haltene Gedanken wollten heraus aus dem Kopfe, und was der Geist lange
ausgereift hatte, gab er in schneller Geburt wieder. Überdies fühlte sich
Körners Gemüt durch eine warme Liebesneigung wunderbar angeregt. Eine
weitere Erklärung für diese Schuelligkeit liegt darin, daß Körner für seine
Arbeiten entweder, wie im „Nachtwächter," eigne Erlebnisse benutzte, oder die
Erzeugnisse andrer Dichter verwertete und weniger Neudichter als Nachdichter
war. Das that er bei der „Hedwig," wo er Schillers Plan zu einem zweiten
Teil der „Räuber" benutzte. Das that er noch viel mehr bei der „Toni," die
er bekanntlich nach Heinrich Kleists Novelle „Die Verlobung ans Se. Domingo"
arbeitete, welche Kleist während seines Dresdener Aufenthaltes (1807—1809)
und seines häufigen Verkehrs im Elternhause Körners geschaffen und vielleicht
im Entwurf dein jungen Körner mitgeteilt hatte.

Gerade bei diesem ersten größeren Drama, zu dem solche Dresdener
Erinnerungen den Anlaß gegeben haben mögen, können wir Körners Denken
und Dichten auf seinen geheimsten Wegen belauschen. An einigen Stellen gießt
er die Worte Kleists nur in Verse um und schöpft die poesiegetränkte Novelle
für seiue eigne Kunstleistung aus. Mau denke nur an die liebliche Stelle bei
Kleist, wo Toni, die junge Mestize, leise das Zimmer des Geliebten öffnet und
vor das Bett tritt, auf dem er vom Monde beschienen in tiefen Schlaf versenkt
ruht. „Ein tiefer Traum, von dem sie Gegenstand zu sein schien, beschäftigte
ihn; sie konnte sich nicht entschließen, ihn aus den Himmeln lieblicher Ein¬
bildung in die Tiefe einer gemeinen und elenden Wirklichkeit herabzureißen."
Fast mit denselben Worten heißt es bei Körner:


Und liebe Bilder gaukeln um ihn her,
Vielleicht mein Bild, vielleicht der Liebe Wehen,
So mag er schlummern, nicht mein zitternd Wort
Soll ihn aus seiner Seligkeit erwecken.
Ich will ihn nicht ins rauhe Leben ziehen!
Er mag noch träumen von des Himmels Frieden.

Eine solche Vorlage beschleunigt aber nicht nur die Arbeit, sie führt auch,
wenn die Naturen sich nicht ganz decken, leicht zur Verflachung. Das ist leider
hier eingetroffen. Körners Wesen wollte dem Stoffe kräftige Wirkungen ab¬
locken, wollte Theatercoups, Kleist wollte größte, peinlichste Naturtreue. Daher
bei Kleist überall feinste Begründung, bei Körner häufig Unloahrscheinlichkeiten
in der Motivirung. Darunter dürfen wir es in Körners Stück rechnen, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/180>, abgerufen am 28.09.2024.