Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.Die Renaissance in der deutschen Dichtung. wurden die Silben zu je acht in den Vers hineingezählt, die Worte, wo sie
Man sollte glauben, daß die Jämmerlichkeit dieser Verse nicht überboten werden
Diese Beispiele, denen tausend ähnliche aus alle" Teilen Deutschlands zur Seite Nur wenn man diesen Zustand erwägt, kann man beurteilen, welchen un¬ Waldberg hat es unterlassen, die deutsche Kunstdichtung (d. h. dasjenige, Die Renaissance in der deutschen Dichtung. wurden die Silben zu je acht in den Vers hineingezählt, die Worte, wo sie
Man sollte glauben, daß die Jämmerlichkeit dieser Verse nicht überboten werden
Diese Beispiele, denen tausend ähnliche aus alle» Teilen Deutschlands zur Seite Nur wenn man diesen Zustand erwägt, kann man beurteilen, welchen un¬ Waldberg hat es unterlassen, die deutsche Kunstdichtung (d. h. dasjenige, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0090" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289213"/> <fw type="header" place="top"> Die Renaissance in der deutschen Dichtung.</fw><lb/> <p xml:id="ID_333" prev="#ID_332" next="#ID_334"> wurden die Silben zu je acht in den Vers hineingezählt, die Worte, wo sie<lb/> der vorgeschriebenen Silbenzahl nicht entsprachen, gewaltsam gedehnt oder ver¬<lb/> kürzt. Dieser Dichtung verdankt der Ausruf: „Reim' dich oder ich freß' dich"<lb/> seine Entstehung. Man kann behaupten, daß nie ein Volk auf hoher Stufe<lb/> der geistigen und künstlerischen Entwicklung eine so elende Poesie besessen hat,<lb/> wie das deutsche beim Beginn des siebzehnten Jahrhunderts. Die Verse des<lb/> Hans Sachs, die stets als Muster der „Knüppelreime" von den spätern an¬<lb/> geführt werden, stehen noch verhältnismäßig hoch. Nun höre man die „Deutsche<lb/> Rithmi," in denen 1609 ein beliebter schlesischer Gelegenheitsdichter, Georg<lb/> Rentier in Breslau, ein Bogenschießen zu Großglogau besingt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_31" type="poem"> <l> Wann man dann zun Kricgsrttstungen<lb/> Gebraucht mancherlei Gattungen<lb/> Von Waffen, Wehren, Jnstrumentn<lb/> Wie man die immer tan erdenkn u. s. w.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_334" prev="#ID_333" next="#ID_335"> Man sollte glauben, daß die Jämmerlichkeit dieser Verse nicht überboten werden<lb/> könne. Und doch wird in der Folgezeit auch dieses Kunststück fertig gebracht.<lb/> Die Gelegenheitspoeten warfen die letzte Fessel ab, die sie bedrückt hatte, die<lb/> feststehende Silbcnzahl. und ein Landsmann Reutters, Modestinus Beußdorf,<lb/> verfaßt im Jahre 1627, zehn Jahre nach dem Auftreten Opitzens, eine Sorte<lb/> von Versen, die er vornehm RMtinolog'las nennt, die aber jedem einigermaßen<lb/> gebildeten Ohre geradezu Schmerzen verursachen:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_32" type="poem"> <l> Gottes Gnad und reichen Segen,<lb/> Besteudig Gesundheit darnebn,<lb/> Vnd langes Leben in Fried und Ruh,<lb/> Ew. E. E. ich wiintschen thu,<lb/> Sambt einem Gluckselgem Rewn Jahr,<lb/> Vnd aller Heylsamn Wohlfart gar u. s. w.<lb/></l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_335" prev="#ID_334"> Diese Beispiele, denen tausend ähnliche aus alle» Teilen Deutschlands zur Seite<lb/> gestellt werden können, bezeichnen deutlich den Zustand, in welchem sich die<lb/> deutsche Dichtung zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts befand.</p><lb/> <p xml:id="ID_336"> Nur wenn man diesen Zustand erwägt, kann man beurteilen, welchen un¬<lb/> ermeßlichen Fortschritt es bedeutete, als im zweiten Jahrzehnte des Jahrhun¬<lb/> derts eine Anzahl von Dichtern auftrat, die das unbrauchbare Alte beiseite<lb/> warfen und auf völlig neuer Grundlage eine neue deutsche Dichtung schufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_337" next="#ID_338"> Waldberg hat es unterlassen, die deutsche Kunstdichtung (d. h. dasjenige,<lb/> was ihre Stelle vertrat) vor Beginn des von ihm behandelten Zeitraumes zu<lb/> schildern. Er leitet die neue Dichtung nur aus einer Quelle, dem Volksliede,<lb/> ab. Selbst zugegeben, daß der Zusammenhang zwischen Volks- und Kunstlied<lb/> so eng sei, wie der Verfasser uns durch die Vergleichung der innern Form,<lb/> des sprachlichen Ausdrucks und des Gedankengehalts beider Gattungen glauben<lb/> machen will, so hätte doch darauf hingewiesen werden müssen, daß dieser Zu¬<lb/> sammenhang ein nicht gewollter, ein völlig unbewußter ist. Waldberg läßt dies<lb/> an der einzigen Stelle, wo er flüchtig darauf hindeutet (S. 46 f.), ganz unent¬<lb/> schieden. Ans den gleichzeitigen Lehrbüchern der Dichtkunst, die er fast gar<lb/> nicht beachtet hat, erhellt aufs deutlichste die Stellung der neuen Schule zu<lb/> ihren Vorgängern. Opitz und seine Genossen erkennen theoretisch diese Vor¬<lb/> gänger überhaupt nicht an, zwischen dem Beginn des sechzehnten Jahrhunderts<lb/> und ihrer Zeit giebt es für sie in der Dichtung nur eine gewaltige, gähnende<lb/> Kluft, die nirgends überbrückt ist. Dichter, die in dem Verse „Rot' Röslein<lb/> wollt' ich brechen" und in Wendungen wie „das mündlein rot," „die Hände</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0090]
Die Renaissance in der deutschen Dichtung.
wurden die Silben zu je acht in den Vers hineingezählt, die Worte, wo sie
der vorgeschriebenen Silbenzahl nicht entsprachen, gewaltsam gedehnt oder ver¬
kürzt. Dieser Dichtung verdankt der Ausruf: „Reim' dich oder ich freß' dich"
seine Entstehung. Man kann behaupten, daß nie ein Volk auf hoher Stufe
der geistigen und künstlerischen Entwicklung eine so elende Poesie besessen hat,
wie das deutsche beim Beginn des siebzehnten Jahrhunderts. Die Verse des
Hans Sachs, die stets als Muster der „Knüppelreime" von den spätern an¬
geführt werden, stehen noch verhältnismäßig hoch. Nun höre man die „Deutsche
Rithmi," in denen 1609 ein beliebter schlesischer Gelegenheitsdichter, Georg
Rentier in Breslau, ein Bogenschießen zu Großglogau besingt:
Wann man dann zun Kricgsrttstungen
Gebraucht mancherlei Gattungen
Von Waffen, Wehren, Jnstrumentn
Wie man die immer tan erdenkn u. s. w.
Man sollte glauben, daß die Jämmerlichkeit dieser Verse nicht überboten werden
könne. Und doch wird in der Folgezeit auch dieses Kunststück fertig gebracht.
Die Gelegenheitspoeten warfen die letzte Fessel ab, die sie bedrückt hatte, die
feststehende Silbcnzahl. und ein Landsmann Reutters, Modestinus Beußdorf,
verfaßt im Jahre 1627, zehn Jahre nach dem Auftreten Opitzens, eine Sorte
von Versen, die er vornehm RMtinolog'las nennt, die aber jedem einigermaßen
gebildeten Ohre geradezu Schmerzen verursachen:
Gottes Gnad und reichen Segen,
Besteudig Gesundheit darnebn,
Vnd langes Leben in Fried und Ruh,
Ew. E. E. ich wiintschen thu,
Sambt einem Gluckselgem Rewn Jahr,
Vnd aller Heylsamn Wohlfart gar u. s. w.
Diese Beispiele, denen tausend ähnliche aus alle» Teilen Deutschlands zur Seite
gestellt werden können, bezeichnen deutlich den Zustand, in welchem sich die
deutsche Dichtung zu Beginn des siebzehnten Jahrhunderts befand.
Nur wenn man diesen Zustand erwägt, kann man beurteilen, welchen un¬
ermeßlichen Fortschritt es bedeutete, als im zweiten Jahrzehnte des Jahrhun¬
derts eine Anzahl von Dichtern auftrat, die das unbrauchbare Alte beiseite
warfen und auf völlig neuer Grundlage eine neue deutsche Dichtung schufen.
Waldberg hat es unterlassen, die deutsche Kunstdichtung (d. h. dasjenige,
was ihre Stelle vertrat) vor Beginn des von ihm behandelten Zeitraumes zu
schildern. Er leitet die neue Dichtung nur aus einer Quelle, dem Volksliede,
ab. Selbst zugegeben, daß der Zusammenhang zwischen Volks- und Kunstlied
so eng sei, wie der Verfasser uns durch die Vergleichung der innern Form,
des sprachlichen Ausdrucks und des Gedankengehalts beider Gattungen glauben
machen will, so hätte doch darauf hingewiesen werden müssen, daß dieser Zu¬
sammenhang ein nicht gewollter, ein völlig unbewußter ist. Waldberg läßt dies
an der einzigen Stelle, wo er flüchtig darauf hindeutet (S. 46 f.), ganz unent¬
schieden. Ans den gleichzeitigen Lehrbüchern der Dichtkunst, die er fast gar
nicht beachtet hat, erhellt aufs deutlichste die Stellung der neuen Schule zu
ihren Vorgängern. Opitz und seine Genossen erkennen theoretisch diese Vor¬
gänger überhaupt nicht an, zwischen dem Beginn des sechzehnten Jahrhunderts
und ihrer Zeit giebt es für sie in der Dichtung nur eine gewaltige, gähnende
Kluft, die nirgends überbrückt ist. Dichter, die in dem Verse „Rot' Röslein
wollt' ich brechen" und in Wendungen wie „das mündlein rot," „die Hände
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