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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Noch fühl' ich mich denselben, der ich war!
Es ist der Geist, der sich den Körper baut.

Die hohen Prophetenworte Schillers, die uns ans überschwängliche streifen,
wie die Friedrichs des Großen, klingen doch noch nüchtern gegen das, was ans
den Kreisen der Jugend erschallte in wahrem Prophetenrausch; sie hatte ihn doch
von dem Trank, der von Goethe, Schiller, Herder, Kant, Lessing nüchtern gebraut
war, hatte sich aber daran einen Mut getrunken, der eine ganz neue Welt von
Deutschland aus ins Leben rufen wollte, wie zwanzig Jahre früher Zimmer¬
mann von den Genies der siebziger Jahre sagte (Einsamkeit 2, 9), sie wollten
"ganz Deutschland umstimmen und dann, nnter ihrer stolzen Führung, durch
die deutsche Nation alle Nationen um sich her." Die Romantik brach hervor,
wirklich zugleich eine fortsetzende Wiederaufnahme der Genieperivde, brach aus
wie ein Weltfrühling, dessen neuer Lebenshauch in der That nachher rings um
Deutschland herum so wirken sollte, wie Zimmermann da mehr spöttelnd von
den Genies sagte. Der Umschwung der ästhetisch-philosophischen Welt, den
Franzosen wie Dorat, Raynal vorausgesagt hatten und der Deutschland zunächst
auf diesem Boden wieder zur Mitte Europas machte, fällt wirklich wesentlich
mit dem Wechsel des Jahrhunderts zusammen. Die Französin, die im Anfang
des Jahrhunderts beim deutschen Geiste Trost suchte für das Unglück ihres
Vaterlandes, wie sie die Schicksale Frankreichs unter Napoleon empfand, die
Stael-Holstein, witterte die neue Lebensluft in Weimar. xar sa
Situation AöOKraxlnHuo, xout otro oousiävröö eomiris 1s oosur as 1'IZurovs,
sagt sie in ihrem Buche as 1'^.IIomaMs, Paris 1810, London 1813 1, 13, und
fügt, an Napoleon denkend, politisch prophetisch hinzu: se la granäs assooiation
eontiuentals (Europa als eine Gemeinschaft gedacht) us Sauron rstrouvor son
inäsxonäanos aus xar eslls as es xa^s; denn 1'inävvöQäanos as 1'aus, die sie
in Deutschland sah (1a patris as 1a xsusss), tonäera eslls clss stats (1, XVI),
also im Grunde wie Schillers "Geist, der sich den Körper baut"; vom Herzen
muß die Neubelebung des Ganzen ausgehen, das ist der Gedanke der Fran¬
zösin. Sie sah sonst düster in die Zukunft Europas und seiner Cultur, sah
Verfall vor sich: it so xsut . . c^us 1a ^sunssss ein Asnrs Quinain soit xassss
xcmr tousonrs, es scheint abgelebt, dem Altern verfallen, aber: oexsuäant on
oroit sentir äans los vorits as" ^.llemanäss uns ^'srmssss nouvolis (3, 136,
im 9. Kapitel des 3. Buches), eine neue Jugend für die Menschheit in der deut¬
schen Litteratur, mit wahrhaft geistreich philosophischer Ausführung und Be¬
gründung, die ich ungern bei Seite lasse. Der Grundgedanke, hier von philo¬
sophischer Beobachtung einfach, ruhig und klar ausgesprochen, ist doch derselbe,
wie er im Folgenden etwas verworren und unruhig aus gährendem Jugeud-
gciste cinherbranst.

Friedrich Schlegel feierte für sich den Wechsel des Jahrhunderts mit einem
langen Gedicht "An die Deutschen," gedruckt im Athenäum 3, 165 ff. (in den



Noch fühl' ich mich denselben, der ich war!
Es ist der Geist, der sich den Körper baut.

Die hohen Prophetenworte Schillers, die uns ans überschwängliche streifen,
wie die Friedrichs des Großen, klingen doch noch nüchtern gegen das, was ans
den Kreisen der Jugend erschallte in wahrem Prophetenrausch; sie hatte ihn doch
von dem Trank, der von Goethe, Schiller, Herder, Kant, Lessing nüchtern gebraut
war, hatte sich aber daran einen Mut getrunken, der eine ganz neue Welt von
Deutschland aus ins Leben rufen wollte, wie zwanzig Jahre früher Zimmer¬
mann von den Genies der siebziger Jahre sagte (Einsamkeit 2, 9), sie wollten
„ganz Deutschland umstimmen und dann, nnter ihrer stolzen Führung, durch
die deutsche Nation alle Nationen um sich her." Die Romantik brach hervor,
wirklich zugleich eine fortsetzende Wiederaufnahme der Genieperivde, brach aus
wie ein Weltfrühling, dessen neuer Lebenshauch in der That nachher rings um
Deutschland herum so wirken sollte, wie Zimmermann da mehr spöttelnd von
den Genies sagte. Der Umschwung der ästhetisch-philosophischen Welt, den
Franzosen wie Dorat, Raynal vorausgesagt hatten und der Deutschland zunächst
auf diesem Boden wieder zur Mitte Europas machte, fällt wirklich wesentlich
mit dem Wechsel des Jahrhunderts zusammen. Die Französin, die im Anfang
des Jahrhunderts beim deutschen Geiste Trost suchte für das Unglück ihres
Vaterlandes, wie sie die Schicksale Frankreichs unter Napoleon empfand, die
Stael-Holstein, witterte die neue Lebensluft in Weimar. xar sa
Situation AöOKraxlnHuo, xout otro oousiävröö eomiris 1s oosur as 1'IZurovs,
sagt sie in ihrem Buche as 1'^.IIomaMs, Paris 1810, London 1813 1, 13, und
fügt, an Napoleon denkend, politisch prophetisch hinzu: se la granäs assooiation
eontiuentals (Europa als eine Gemeinschaft gedacht) us Sauron rstrouvor son
inäsxonäanos aus xar eslls as es xa^s; denn 1'inävvöQäanos as 1'aus, die sie
in Deutschland sah (1a patris as 1a xsusss), tonäera eslls clss stats (1, XVI),
also im Grunde wie Schillers „Geist, der sich den Körper baut"; vom Herzen
muß die Neubelebung des Ganzen ausgehen, das ist der Gedanke der Fran¬
zösin. Sie sah sonst düster in die Zukunft Europas und seiner Cultur, sah
Verfall vor sich: it so xsut . . c^us 1a ^sunssss ein Asnrs Quinain soit xassss
xcmr tousonrs, es scheint abgelebt, dem Altern verfallen, aber: oexsuäant on
oroit sentir äans los vorits as« ^.llemanäss uns ^'srmssss nouvolis (3, 136,
im 9. Kapitel des 3. Buches), eine neue Jugend für die Menschheit in der deut¬
schen Litteratur, mit wahrhaft geistreich philosophischer Ausführung und Be¬
gründung, die ich ungern bei Seite lasse. Der Grundgedanke, hier von philo¬
sophischer Beobachtung einfach, ruhig und klar ausgesprochen, ist doch derselbe,
wie er im Folgenden etwas verworren und unruhig aus gährendem Jugeud-
gciste cinherbranst.

Friedrich Schlegel feierte für sich den Wechsel des Jahrhunderts mit einem
langen Gedicht „An die Deutschen," gedruckt im Athenäum 3, 165 ff. (in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/85>, abgerufen am 24.08.2024.