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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

Jahrhundert that und dann auch Fichte in den Reden an die Nation): "Die
Sprache ist der Spiegel einer Nation, wenn wir in diesen Spiegel schauen,
so kommt uns ein großes, treffliches Bild von uns selbst daraus entgegen"
(S. 412). Bis zu geahnter Herrschaft steigt der prophetische Blick: "Unsre
Sprache wird die Welt beherrschen," und: "Dem, der den Geist bildet, be¬
herrscht, muß zuletzt die Herrschaft werden, wenn anders die Welt einen Plan
hat; am Ende muß die Sitte und die Vernunft siegen, die rohe Gewalt j^des
Stoffes^ der Form fJdce^ erliegen." Also Herrschaft einstmals, wenn auch nur
geistige; schleicht sich aber da nicht das Politische von selbst mit ein? Es wird
doch förmlich abgelehnt: "Der Deutsche wohnt in einem alten, sturzdrohenden
Haus, aber er selbst ist ein edler Bewohner, und indem das politische Reich
schwankt, hat sich das geistige immer fester und vollkommener gebildet" (S. 414),
denn "deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge," und:


Stürzte auch in Kricgcsflcunmeu
Deutschlands Kaiserreich zusammen,
Deutsche Größe bleibt besteh" (S. 413).

Wunderbar, Untergang von außen, und Große von innen! wie gesagt, das
Ende der Doppelbewegung aus Jahrhunderten her, in dein doch die Berichtigung
durch die Zukunft von selbst schon begrifflich gegeben war. Deutsches Reich
und deutsche Nation zweierlei, das war wohl damals gut als Trost, aber auf
die Länge? unmöglich! Schon um fünfzig Jahre früher hatte der junge
Cronegk (er starb leider jung) den Mut dieses Gedankens, vor dem Schiller,
der mutige, hier Halt macht, in dem Gedichte "Einsamkeiten" im zweiten
Gesang, wo er auf diese Gedankengänge kommt, die ja in der Luft lagen
(Schriften 1766 2. 72):


Aber ich sehe den Schutzgeist, der Deutschland zu schützen bestimmt ist...
Klage nicht, sprach er mit himmlischer Stimme, bei dein, was du siehest.
Auch den Unsterblichen ist es verborgen, was ewige Vorsicht
Über das zitternde Dentschland beschlossen. Vielleicht zu der Freiheit
Oder vielleicht zu der niedrigsten Knechtschaft bestimmt sie dein Deutschland.
Doch ein Weiser ist niemals ein Knecht, erhabene Seelen
Bleiben bei jeder Veränderung groß. Der Ewige wirket,
Und ein Reich geht unter: er winkt, nud ein neues entstehet.

Auch Schiller hätte seinen Gebankenfaden oben so weiter spinnen können mit
eignen Gedanken aus seinem Wallenstein, und wir könnens noch für ihn thun.
Im Anschluß an die Deutschen als "Kern der Menschheit," im Pflanzenbilde,
mit Wallensteins Worten (Wallensteins Tod 3, 13):


Da steh ich, ein entlaubter Stamm; doch innen
Im Marke lebt die schaffende Gewalt,
Die sprossend eine Welt aus sich geboren.

Und "is Motto über die ganze neuere deutsche Geschichte passen wie geschaffen
Wallensteins Worte ebenda:


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen.

Jahrhundert that und dann auch Fichte in den Reden an die Nation): „Die
Sprache ist der Spiegel einer Nation, wenn wir in diesen Spiegel schauen,
so kommt uns ein großes, treffliches Bild von uns selbst daraus entgegen"
(S. 412). Bis zu geahnter Herrschaft steigt der prophetische Blick: „Unsre
Sprache wird die Welt beherrschen," und: „Dem, der den Geist bildet, be¬
herrscht, muß zuletzt die Herrschaft werden, wenn anders die Welt einen Plan
hat; am Ende muß die Sitte und die Vernunft siegen, die rohe Gewalt j^des
Stoffes^ der Form fJdce^ erliegen." Also Herrschaft einstmals, wenn auch nur
geistige; schleicht sich aber da nicht das Politische von selbst mit ein? Es wird
doch förmlich abgelehnt: „Der Deutsche wohnt in einem alten, sturzdrohenden
Haus, aber er selbst ist ein edler Bewohner, und indem das politische Reich
schwankt, hat sich das geistige immer fester und vollkommener gebildet" (S. 414),
denn „deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge," und:


Stürzte auch in Kricgcsflcunmeu
Deutschlands Kaiserreich zusammen,
Deutsche Größe bleibt besteh» (S. 413).

Wunderbar, Untergang von außen, und Große von innen! wie gesagt, das
Ende der Doppelbewegung aus Jahrhunderten her, in dein doch die Berichtigung
durch die Zukunft von selbst schon begrifflich gegeben war. Deutsches Reich
und deutsche Nation zweierlei, das war wohl damals gut als Trost, aber auf
die Länge? unmöglich! Schon um fünfzig Jahre früher hatte der junge
Cronegk (er starb leider jung) den Mut dieses Gedankens, vor dem Schiller,
der mutige, hier Halt macht, in dem Gedichte „Einsamkeiten" im zweiten
Gesang, wo er auf diese Gedankengänge kommt, die ja in der Luft lagen
(Schriften 1766 2. 72):


Aber ich sehe den Schutzgeist, der Deutschland zu schützen bestimmt ist...
Klage nicht, sprach er mit himmlischer Stimme, bei dein, was du siehest.
Auch den Unsterblichen ist es verborgen, was ewige Vorsicht
Über das zitternde Dentschland beschlossen. Vielleicht zu der Freiheit
Oder vielleicht zu der niedrigsten Knechtschaft bestimmt sie dein Deutschland.
Doch ein Weiser ist niemals ein Knecht, erhabene Seelen
Bleiben bei jeder Veränderung groß. Der Ewige wirket,
Und ein Reich geht unter: er winkt, nud ein neues entstehet.

Auch Schiller hätte seinen Gebankenfaden oben so weiter spinnen können mit
eignen Gedanken aus seinem Wallenstein, und wir könnens noch für ihn thun.
Im Anschluß an die Deutschen als „Kern der Menschheit," im Pflanzenbilde,
mit Wallensteins Worten (Wallensteins Tod 3, 13):


Da steh ich, ein entlaubter Stamm; doch innen
Im Marke lebt die schaffende Gewalt,
Die sprossend eine Welt aus sich geboren.

Und «is Motto über die ganze neuere deutsche Geschichte passen wie geschaffen
Wallensteins Worte ebenda:


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[0084] Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosophen. Jahrhundert that und dann auch Fichte in den Reden an die Nation): „Die Sprache ist der Spiegel einer Nation, wenn wir in diesen Spiegel schauen, so kommt uns ein großes, treffliches Bild von uns selbst daraus entgegen" (S. 412). Bis zu geahnter Herrschaft steigt der prophetische Blick: „Unsre Sprache wird die Welt beherrschen," und: „Dem, der den Geist bildet, be¬ herrscht, muß zuletzt die Herrschaft werden, wenn anders die Welt einen Plan hat; am Ende muß die Sitte und die Vernunft siegen, die rohe Gewalt j^des Stoffes^ der Form fJdce^ erliegen." Also Herrschaft einstmals, wenn auch nur geistige; schleicht sich aber da nicht das Politische von selbst mit ein? Es wird doch förmlich abgelehnt: „Der Deutsche wohnt in einem alten, sturzdrohenden Haus, aber er selbst ist ein edler Bewohner, und indem das politische Reich schwankt, hat sich das geistige immer fester und vollkommener gebildet" (S. 414), denn „deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge," und: Stürzte auch in Kricgcsflcunmeu Deutschlands Kaiserreich zusammen, Deutsche Größe bleibt besteh» (S. 413). Wunderbar, Untergang von außen, und Große von innen! wie gesagt, das Ende der Doppelbewegung aus Jahrhunderten her, in dein doch die Berichtigung durch die Zukunft von selbst schon begrifflich gegeben war. Deutsches Reich und deutsche Nation zweierlei, das war wohl damals gut als Trost, aber auf die Länge? unmöglich! Schon um fünfzig Jahre früher hatte der junge Cronegk (er starb leider jung) den Mut dieses Gedankens, vor dem Schiller, der mutige, hier Halt macht, in dem Gedichte „Einsamkeiten" im zweiten Gesang, wo er auf diese Gedankengänge kommt, die ja in der Luft lagen (Schriften 1766 2. 72): Aber ich sehe den Schutzgeist, der Deutschland zu schützen bestimmt ist... Klage nicht, sprach er mit himmlischer Stimme, bei dein, was du siehest. Auch den Unsterblichen ist es verborgen, was ewige Vorsicht Über das zitternde Dentschland beschlossen. Vielleicht zu der Freiheit Oder vielleicht zu der niedrigsten Knechtschaft bestimmt sie dein Deutschland. Doch ein Weiser ist niemals ein Knecht, erhabene Seelen Bleiben bei jeder Veränderung groß. Der Ewige wirket, Und ein Reich geht unter: er winkt, nud ein neues entstehet. Auch Schiller hätte seinen Gebankenfaden oben so weiter spinnen können mit eignen Gedanken aus seinem Wallenstein, und wir könnens noch für ihn thun. Im Anschluß an die Deutschen als „Kern der Menschheit," im Pflanzenbilde, mit Wallensteins Worten (Wallensteins Tod 3, 13): Da steh ich, ein entlaubter Stamm; doch innen Im Marke lebt die schaffende Gewalt, Die sprossend eine Welt aus sich geboren. Und «is Motto über die ganze neuere deutsche Geschichte passen wie geschaffen Wallensteins Worte ebenda:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/84>, abgerufen am 24.08.2024.