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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosophen.

ein brauchbarer Gedanke gewesen für die prophetischen Dichter und kann es wohl
auch für uns andern sein in Sonntagsstimmung.

Um aber auf den geschichtlichen Faden zurückzukommen: bald nach Fried¬
richs des Großen Tode kam eine wunderbare Wendung in die Geschicke Deutsch¬
lands und Europas. Auf der Scheide des achtzehnten und unsers Jahrhunderts
standen auch die deutschen Dinge auf einer entscheidenden Kippe. Das Reich
in sich an seinem Ende, von außen dem Einbrüche der französischen Kräfte aus¬
gesetzt gefährlicher als im siebzehnten Jahrhundert, es drängte von dort vor
wie aus einem Vulcane, unter Führung eines Mannes, der an Caesar und
Alexander erinnerte und selbst an sie als Vorbilder dachte. Das neue geistige
Reich aber in Dichtung und Philosophie auf eine Höhe gediehen, wie sie die
Geschichte der Menschheit noch nicht höher gesehen hatte, ein wundersamer Wider¬
spruch, und in beiden Erscheinungen doch nur die Vollendung einer seit Jahr¬
hunderten begonnenen Doppelbewegung.

In Weimar, der Hauptstadt des neuen Reiches, gedachte man den Wechsel
des Jahrhunderts festlich zu begehen. Schiller war erwärmt dafür, fand aber beim
Herzog und bei Goethe nicht den nötigen Anklang, weshalb das Fest unterblieb.
Er hatte wenige Jahre vorher in den Xenien (Ur. 96) das trostlose Wort aus¬
gegeben, das doch eigentlich als Trost gemeint war (es soll aber von Goethe sein):


Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens,
Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus,

eine harte Nuß, an der noch wir vom alten Geschlecht die Zähne zu üben
Gelegenheit gehabt haben. Das Fest aber sollte zugleich ein deutsches Siegesfest
werden, Schiller fühlte oder sah sich mit Goethe und den andern seltenen
Kräften, die in dem Kreise wirkend waren, auf der Höhe angelangt, nach der
der deutsche Geist neben und über dem politischen Verfall lange so unermüdet
emporgearbeitet hatte, er wollte die Nation ins neue Jahrhundert als in eine
neue große Zeit hinübergeleiten, rückschauend, umschauend und vorschauend wie
von heiliger Bergeshöhe. Man erfuhr das deutlich erst aus den Vorarbeiten
zu einem Festgedicht, die im zweiten Bande von Goedekes großer Ausgabe aus
dem Nachlaß bekannt gemacht wurde, gerade im Jahre 1871, in dem das selbst
wie eine nachträgliche oder vorläufige Feier der nun erlebten großen Dinge er¬
schien. Da heißt es in hochprophetischem Tone z. B: "Jedes Volk hat seinen
Tag in der Geschichte, doch der Tag des deutschen ist die Amte der ganzen
Zeit" (S. 410), d. h. indem er, das Beste von allen Völkern und Zeiten sich
aneignend, die Idee der Menschheit in sich rein vollendet und darstellt (der
Gedanke der Weltlitteratur); "er ist erwählt von dem Weltgeist, während des
Zeitkampfs an dem ewigen Bau der Menschenbildung zu arbeiten," er "verkehrt
auch mit dem Geist der Welten" (ein Blick auf die Philosophie der Zeit), ist
"der Kern der Menschheit," die andern Völker Blüte und Blatt. Den Mut zu
solch hohem Glauben schöpft er auch aus der Sprache (wie man im siebzehnten


Tagebuchblätter eines Sonntagsxhilosophen.

ein brauchbarer Gedanke gewesen für die prophetischen Dichter und kann es wohl
auch für uns andern sein in Sonntagsstimmung.

Um aber auf den geschichtlichen Faden zurückzukommen: bald nach Fried¬
richs des Großen Tode kam eine wunderbare Wendung in die Geschicke Deutsch¬
lands und Europas. Auf der Scheide des achtzehnten und unsers Jahrhunderts
standen auch die deutschen Dinge auf einer entscheidenden Kippe. Das Reich
in sich an seinem Ende, von außen dem Einbrüche der französischen Kräfte aus¬
gesetzt gefährlicher als im siebzehnten Jahrhundert, es drängte von dort vor
wie aus einem Vulcane, unter Führung eines Mannes, der an Caesar und
Alexander erinnerte und selbst an sie als Vorbilder dachte. Das neue geistige
Reich aber in Dichtung und Philosophie auf eine Höhe gediehen, wie sie die
Geschichte der Menschheit noch nicht höher gesehen hatte, ein wundersamer Wider¬
spruch, und in beiden Erscheinungen doch nur die Vollendung einer seit Jahr¬
hunderten begonnenen Doppelbewegung.

In Weimar, der Hauptstadt des neuen Reiches, gedachte man den Wechsel
des Jahrhunderts festlich zu begehen. Schiller war erwärmt dafür, fand aber beim
Herzog und bei Goethe nicht den nötigen Anklang, weshalb das Fest unterblieb.
Er hatte wenige Jahre vorher in den Xenien (Ur. 96) das trostlose Wort aus¬
gegeben, das doch eigentlich als Trost gemeint war (es soll aber von Goethe sein):


Zur Nation euch zu bilden, ihr hoffet es, Deutsche, vergebens,
Bildet, ihr könnt es, dafür freier zu Menschen euch aus,

eine harte Nuß, an der noch wir vom alten Geschlecht die Zähne zu üben
Gelegenheit gehabt haben. Das Fest aber sollte zugleich ein deutsches Siegesfest
werden, Schiller fühlte oder sah sich mit Goethe und den andern seltenen
Kräften, die in dem Kreise wirkend waren, auf der Höhe angelangt, nach der
der deutsche Geist neben und über dem politischen Verfall lange so unermüdet
emporgearbeitet hatte, er wollte die Nation ins neue Jahrhundert als in eine
neue große Zeit hinübergeleiten, rückschauend, umschauend und vorschauend wie
von heiliger Bergeshöhe. Man erfuhr das deutlich erst aus den Vorarbeiten
zu einem Festgedicht, die im zweiten Bande von Goedekes großer Ausgabe aus
dem Nachlaß bekannt gemacht wurde, gerade im Jahre 1871, in dem das selbst
wie eine nachträgliche oder vorläufige Feier der nun erlebten großen Dinge er¬
schien. Da heißt es in hochprophetischem Tone z. B: „Jedes Volk hat seinen
Tag in der Geschichte, doch der Tag des deutschen ist die Amte der ganzen
Zeit" (S. 410), d. h. indem er, das Beste von allen Völkern und Zeiten sich
aneignend, die Idee der Menschheit in sich rein vollendet und darstellt (der
Gedanke der Weltlitteratur); „er ist erwählt von dem Weltgeist, während des
Zeitkampfs an dem ewigen Bau der Menschenbildung zu arbeiten," er „verkehrt
auch mit dem Geist der Welten" (ein Blick auf die Philosophie der Zeit), ist
„der Kern der Menschheit," die andern Völker Blüte und Blatt. Den Mut zu
solch hohem Glauben schöpft er auch aus der Sprache (wie man im siebzehnten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/83>, abgerufen am 22.07.2024.