Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die tvcihlbewegung in Preuße".

jetzt nicht zur Urne gingen, nicht unmöglich, daß die Gegenkandidaten siegten,
zumal da das Kartell mit den Nationalliberalen zwar nicht geradezu aufge¬
hoben ist, aber doch einigermaßen gelockert erscheint. Es ist also thörichter
Parteigeist, wenn die Antisemiten eigne Kandidaten aufstellen, es ist dieselbe
Thorheit, wenn sie ihr Wahlrecht nicht benutzen; sie müssen sich am Tage der
Wahl, wenn sie verständige Leute sein wollen, einer der großen Parteien
anschließen, und von diesen steht ihnen die konservative unbestreitbar am
nächsten. Wir empfehlen ihnen daher, wenn jener Beschluß der Führer, sich
der Wahl zu enthalten, wirklich gefaßt und als Weisung an die Parteigenossen
im Lande ergangen ist, sich die möglichen Folgen desselben ernstlich zu über¬
legen und sich nicht an ihn zu kehren, sondern wie früher mit den Konserva¬
tiven zu stimmen.

Wir haben uns in der letzten Zeit vorzüglich mit der Stellung der Mittel-
Parteien, namentlich mit der der Nationalliberalen, zu den Konservativen
beschäftigt. Werfen wir jetzt auch einen Blick auf das Verhältnis der poli¬
tischen Freunde Bennigsens und Miquels zu den Deutschfreisinnigen, so ist das
Auftreten der letztern von Anfang an derart gewesen, daß von einem Zu¬
sammenwirken der beiden Parteien niemals die Rede sein konnte. Die bis zur
äußersten Erbitterung gesteigerte Gegnerschaft derselben hatte ihre letzten Gründe
aber nicht so sehr in persönlicher Abneigung als in der gänzlich verschiedenen
Stellung, die sie zur praktischen Politik und insbesondre zum Fürsten Bismarck
einnahmen, indem die Nationalliberalen den Fürsten im Verein mit den Kon¬
servativen unterstützten, die Deutschsreisinnigen ihn im Bunde mit andern
Gegnern, selbst mit dem Zentrum, nach Kräften befehdeten und hinderten. Jetzt
scheint sich Nachrichten und Andeutungen zufolge, die sich wiederholen, inner¬
halb des deutschfreisinuigen Lagers ein Prozeß vorzubereiten oder bereits zu
vollziehen, der zu einer Scheidung der in ihm vereinigten Elemente führen
könnte. Es ist nicht unbekannt, daß die ehemaligen Sezessionisten, als sie sich
der Richterschen Partei anschlössen, nicht völlig in ihr aufgingen, und es ist
ebensowenig ein Geheimnis, daß die Führer derselben nicht daran dachten,
die Rolle systematischer Opposition für alle Zeiten zu übernehmen, vielmehr
der Hoffnung lebten, binnen kurzem an die Regierung zu kommen, Minister,
Staatssekretäre, Oberpräsidenten u. s. w. zu werden. Mit andern Worten: wenn
sie sich in die Gesellschaft des Führers der grundsätzlichen Bekämpfung der Negie¬
rung, sei sie, wie sie wolle, begaben, so geschah es nur auf Zeit, mit stillschwei¬
gendem Vorbehalt und in der Voraussetzung, daß dies nichts als ein Über¬
gangszustand sein werde. Diese Hoffnung, die von den Wählern der betreffenden
Abgeordneten geteilt wurde, indem sie von ihrer Erfüllung ebenfalls Vorteile
Beförderung im Amte, sonstige Begünstigung persönlicher Interessen, etwa durch
Weiterführung der Laskerschen Gesetzgebung u. a. erwarteten, erlosch mit dem
Ableben Kaiser Friedrichs für absehbare Zeiten, und so ist es nicht unnatürlich,


Grenzlwtm III. 1838. 78
Die tvcihlbewegung in Preuße».

jetzt nicht zur Urne gingen, nicht unmöglich, daß die Gegenkandidaten siegten,
zumal da das Kartell mit den Nationalliberalen zwar nicht geradezu aufge¬
hoben ist, aber doch einigermaßen gelockert erscheint. Es ist also thörichter
Parteigeist, wenn die Antisemiten eigne Kandidaten aufstellen, es ist dieselbe
Thorheit, wenn sie ihr Wahlrecht nicht benutzen; sie müssen sich am Tage der
Wahl, wenn sie verständige Leute sein wollen, einer der großen Parteien
anschließen, und von diesen steht ihnen die konservative unbestreitbar am
nächsten. Wir empfehlen ihnen daher, wenn jener Beschluß der Führer, sich
der Wahl zu enthalten, wirklich gefaßt und als Weisung an die Parteigenossen
im Lande ergangen ist, sich die möglichen Folgen desselben ernstlich zu über¬
legen und sich nicht an ihn zu kehren, sondern wie früher mit den Konserva¬
tiven zu stimmen.

Wir haben uns in der letzten Zeit vorzüglich mit der Stellung der Mittel-
Parteien, namentlich mit der der Nationalliberalen, zu den Konservativen
beschäftigt. Werfen wir jetzt auch einen Blick auf das Verhältnis der poli¬
tischen Freunde Bennigsens und Miquels zu den Deutschfreisinnigen, so ist das
Auftreten der letztern von Anfang an derart gewesen, daß von einem Zu¬
sammenwirken der beiden Parteien niemals die Rede sein konnte. Die bis zur
äußersten Erbitterung gesteigerte Gegnerschaft derselben hatte ihre letzten Gründe
aber nicht so sehr in persönlicher Abneigung als in der gänzlich verschiedenen
Stellung, die sie zur praktischen Politik und insbesondre zum Fürsten Bismarck
einnahmen, indem die Nationalliberalen den Fürsten im Verein mit den Kon¬
servativen unterstützten, die Deutschsreisinnigen ihn im Bunde mit andern
Gegnern, selbst mit dem Zentrum, nach Kräften befehdeten und hinderten. Jetzt
scheint sich Nachrichten und Andeutungen zufolge, die sich wiederholen, inner¬
halb des deutschfreisinuigen Lagers ein Prozeß vorzubereiten oder bereits zu
vollziehen, der zu einer Scheidung der in ihm vereinigten Elemente führen
könnte. Es ist nicht unbekannt, daß die ehemaligen Sezessionisten, als sie sich
der Richterschen Partei anschlössen, nicht völlig in ihr aufgingen, und es ist
ebensowenig ein Geheimnis, daß die Führer derselben nicht daran dachten,
die Rolle systematischer Opposition für alle Zeiten zu übernehmen, vielmehr
der Hoffnung lebten, binnen kurzem an die Regierung zu kommen, Minister,
Staatssekretäre, Oberpräsidenten u. s. w. zu werden. Mit andern Worten: wenn
sie sich in die Gesellschaft des Führers der grundsätzlichen Bekämpfung der Negie¬
rung, sei sie, wie sie wolle, begaben, so geschah es nur auf Zeit, mit stillschwei¬
gendem Vorbehalt und in der Voraussetzung, daß dies nichts als ein Über¬
gangszustand sein werde. Diese Hoffnung, die von den Wählern der betreffenden
Abgeordneten geteilt wurde, indem sie von ihrer Erfüllung ebenfalls Vorteile
Beförderung im Amte, sonstige Begünstigung persönlicher Interessen, etwa durch
Weiterführung der Laskerschen Gesetzgebung u. a. erwarteten, erlosch mit dem
Ableben Kaiser Friedrichs für absehbare Zeiten, und so ist es nicht unnatürlich,


Grenzlwtm III. 1838. 78
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0625" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289748"/>
          <fw type="header" place="top"> Die tvcihlbewegung in Preuße».</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2124" prev="#ID_2123"> jetzt nicht zur Urne gingen, nicht unmöglich, daß die Gegenkandidaten siegten,<lb/>
zumal da das Kartell mit den Nationalliberalen zwar nicht geradezu aufge¬<lb/>
hoben ist, aber doch einigermaßen gelockert erscheint. Es ist also thörichter<lb/>
Parteigeist, wenn die Antisemiten eigne Kandidaten aufstellen, es ist dieselbe<lb/>
Thorheit, wenn sie ihr Wahlrecht nicht benutzen; sie müssen sich am Tage der<lb/>
Wahl, wenn sie verständige Leute sein wollen, einer der großen Parteien<lb/>
anschließen, und von diesen steht ihnen die konservative unbestreitbar am<lb/>
nächsten. Wir empfehlen ihnen daher, wenn jener Beschluß der Führer, sich<lb/>
der Wahl zu enthalten, wirklich gefaßt und als Weisung an die Parteigenossen<lb/>
im Lande ergangen ist, sich die möglichen Folgen desselben ernstlich zu über¬<lb/>
legen und sich nicht an ihn zu kehren, sondern wie früher mit den Konserva¬<lb/>
tiven zu stimmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2125" next="#ID_2126"> Wir haben uns in der letzten Zeit vorzüglich mit der Stellung der Mittel-<lb/>
Parteien, namentlich mit der der Nationalliberalen, zu den Konservativen<lb/>
beschäftigt. Werfen wir jetzt auch einen Blick auf das Verhältnis der poli¬<lb/>
tischen Freunde Bennigsens und Miquels zu den Deutschfreisinnigen, so ist das<lb/>
Auftreten der letztern von Anfang an derart gewesen, daß von einem Zu¬<lb/>
sammenwirken der beiden Parteien niemals die Rede sein konnte. Die bis zur<lb/>
äußersten Erbitterung gesteigerte Gegnerschaft derselben hatte ihre letzten Gründe<lb/>
aber nicht so sehr in persönlicher Abneigung als in der gänzlich verschiedenen<lb/>
Stellung, die sie zur praktischen Politik und insbesondre zum Fürsten Bismarck<lb/>
einnahmen, indem die Nationalliberalen den Fürsten im Verein mit den Kon¬<lb/>
servativen unterstützten, die Deutschsreisinnigen ihn im Bunde mit andern<lb/>
Gegnern, selbst mit dem Zentrum, nach Kräften befehdeten und hinderten. Jetzt<lb/>
scheint sich Nachrichten und Andeutungen zufolge, die sich wiederholen, inner¬<lb/>
halb des deutschfreisinuigen Lagers ein Prozeß vorzubereiten oder bereits zu<lb/>
vollziehen, der zu einer Scheidung der in ihm vereinigten Elemente führen<lb/>
könnte. Es ist nicht unbekannt, daß die ehemaligen Sezessionisten, als sie sich<lb/>
der Richterschen Partei anschlössen, nicht völlig in ihr aufgingen, und es ist<lb/>
ebensowenig ein Geheimnis, daß die Führer derselben nicht daran dachten,<lb/>
die Rolle systematischer Opposition für alle Zeiten zu übernehmen, vielmehr<lb/>
der Hoffnung lebten, binnen kurzem an die Regierung zu kommen, Minister,<lb/>
Staatssekretäre, Oberpräsidenten u. s. w. zu werden. Mit andern Worten: wenn<lb/>
sie sich in die Gesellschaft des Führers der grundsätzlichen Bekämpfung der Negie¬<lb/>
rung, sei sie, wie sie wolle, begaben, so geschah es nur auf Zeit, mit stillschwei¬<lb/>
gendem Vorbehalt und in der Voraussetzung, daß dies nichts als ein Über¬<lb/>
gangszustand sein werde. Diese Hoffnung, die von den Wählern der betreffenden<lb/>
Abgeordneten geteilt wurde, indem sie von ihrer Erfüllung ebenfalls Vorteile<lb/>
Beförderung im Amte, sonstige Begünstigung persönlicher Interessen, etwa durch<lb/>
Weiterführung der Laskerschen Gesetzgebung u. a. erwarteten, erlosch mit dem<lb/>
Ableben Kaiser Friedrichs für absehbare Zeiten, und so ist es nicht unnatürlich,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzlwtm III. 1838. 78</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0625] Die tvcihlbewegung in Preuße». jetzt nicht zur Urne gingen, nicht unmöglich, daß die Gegenkandidaten siegten, zumal da das Kartell mit den Nationalliberalen zwar nicht geradezu aufge¬ hoben ist, aber doch einigermaßen gelockert erscheint. Es ist also thörichter Parteigeist, wenn die Antisemiten eigne Kandidaten aufstellen, es ist dieselbe Thorheit, wenn sie ihr Wahlrecht nicht benutzen; sie müssen sich am Tage der Wahl, wenn sie verständige Leute sein wollen, einer der großen Parteien anschließen, und von diesen steht ihnen die konservative unbestreitbar am nächsten. Wir empfehlen ihnen daher, wenn jener Beschluß der Führer, sich der Wahl zu enthalten, wirklich gefaßt und als Weisung an die Parteigenossen im Lande ergangen ist, sich die möglichen Folgen desselben ernstlich zu über¬ legen und sich nicht an ihn zu kehren, sondern wie früher mit den Konserva¬ tiven zu stimmen. Wir haben uns in der letzten Zeit vorzüglich mit der Stellung der Mittel- Parteien, namentlich mit der der Nationalliberalen, zu den Konservativen beschäftigt. Werfen wir jetzt auch einen Blick auf das Verhältnis der poli¬ tischen Freunde Bennigsens und Miquels zu den Deutschfreisinnigen, so ist das Auftreten der letztern von Anfang an derart gewesen, daß von einem Zu¬ sammenwirken der beiden Parteien niemals die Rede sein konnte. Die bis zur äußersten Erbitterung gesteigerte Gegnerschaft derselben hatte ihre letzten Gründe aber nicht so sehr in persönlicher Abneigung als in der gänzlich verschiedenen Stellung, die sie zur praktischen Politik und insbesondre zum Fürsten Bismarck einnahmen, indem die Nationalliberalen den Fürsten im Verein mit den Kon¬ servativen unterstützten, die Deutschsreisinnigen ihn im Bunde mit andern Gegnern, selbst mit dem Zentrum, nach Kräften befehdeten und hinderten. Jetzt scheint sich Nachrichten und Andeutungen zufolge, die sich wiederholen, inner¬ halb des deutschfreisinuigen Lagers ein Prozeß vorzubereiten oder bereits zu vollziehen, der zu einer Scheidung der in ihm vereinigten Elemente führen könnte. Es ist nicht unbekannt, daß die ehemaligen Sezessionisten, als sie sich der Richterschen Partei anschlössen, nicht völlig in ihr aufgingen, und es ist ebensowenig ein Geheimnis, daß die Führer derselben nicht daran dachten, die Rolle systematischer Opposition für alle Zeiten zu übernehmen, vielmehr der Hoffnung lebten, binnen kurzem an die Regierung zu kommen, Minister, Staatssekretäre, Oberpräsidenten u. s. w. zu werden. Mit andern Worten: wenn sie sich in die Gesellschaft des Führers der grundsätzlichen Bekämpfung der Negie¬ rung, sei sie, wie sie wolle, begaben, so geschah es nur auf Zeit, mit stillschwei¬ gendem Vorbehalt und in der Voraussetzung, daß dies nichts als ein Über¬ gangszustand sein werde. Diese Hoffnung, die von den Wählern der betreffenden Abgeordneten geteilt wurde, indem sie von ihrer Erfüllung ebenfalls Vorteile Beförderung im Amte, sonstige Begünstigung persönlicher Interessen, etwa durch Weiterführung der Laskerschen Gesetzgebung u. a. erwarteten, erlosch mit dem Ableben Kaiser Friedrichs für absehbare Zeiten, und so ist es nicht unnatürlich, Grenzlwtm III. 1838. 78

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/625
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/625>, abgerufen am 24.08.2024.