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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Die Wahlbewegung in Preußen.

wenn, wie versichert wird, "zahlreiche Wähler (von den Führern ist noch nicht
die Rede) sich die Freiger vorlegen, ob sie es unter den veränderten Umständen noch
verantworten können, eine Partei zu unterstützen, welche die Regierungspolitik in
Verbindung mit dem Zentrum immer nur bekämpfen wird, oder ob es ihren Über¬
zeugungen (nach dem Obigen richtiger, ihrem persönlichen Bedürfnisse und Vor¬
teile) nicht besser entspricht, wenn sie sich der gemäßigt liberalen Partei zuwenden
und dadurch das Gewicht verstärken, welches diese für die parlamentarische Beein¬
flussung der Negierung in die Wagschale zu werfen vermag." Derartige Betrach¬
tungen scheint man n, a, in verschiednen Kreisen der deutschfrcisinnigen Partei in den
östlichen Provinzen angestellt zu haben, und in Königsberg ist man bereits zu darauf
gegründeten Beschlüssen hinsichtlich der bevorstehenden Landtagswahl gediehen.
Dort vereinigten sich im Februar des letztverflossenen Jahres schon Konservative,
Nationalliberale und eine ansehnliche Zahl verständiger Wähler, die weiter
links standen, zur Beseitigung der sozialdemokratischen Vertretung der alten
Krönnngsstadt, und der Zweck der Verständigung wurde erreicht. Im preußischen
Landtage saßen seit lange als Vertreter der Stadt zwei Angehörige der
Richterschen Genossenschaft und ein Nationalliberaler. Der letztere, Herr Kieschke,
begann in der Zeit, wo sich die Fusion vollzog, zu schwanken und trat schließlich
aus dem Verbände der nationalliberalen Partei aus, um sich bald nachher dem
der deutschfreisinnigen zuzuwenden. Vor einigen Wochen hat er auch dieser
wieder den Rücken gekehrt -- wohl ein Zugeständnis, das der offenkundig
gewordenen Veränderung in den Meinungen seiner Wähler gemacht worden ist.
Jedenfalls wirkte dieser Schritt als abfällige Beurteilung der Partei, welcher
der Herr Abgeordnete im Landtage zuletzt angehört hatte, und wurde Ver¬
anlassung, daß andre, die an dem radikalen Liberalismus ebenfalls den Ge¬
schmack verloren hatten, sich vereinigten und auf die Sammlung von Ge¬
sinnungsgenossen zu praktischen Zwecken Bedacht nahmen. Je mehr dies gelang,
desto mehr wuchsen Selbstgefühl und Entschlossenheit, und anderseits, je
mehr die Führer der Deutschfreisinnigen ihre Stützen zusammenschmelzen sahen,
desto eigensinniger hielten sie an ihren Ansprüchen fest -- eine Erscheinung,
die beiläufig bei dieser Partei so oft beobachtet worden ist, daß sie als Regel
zu gelte" hat. Damit ist wohl die Thatsache genügend erklärt, daß in der
"Königsberger Allgemeinen Zeitung" jetzt bekannt gemacht wird, die Ver¬
handlungen zwischen den gemäßigten und den radikalen Liberalen seien ohne
Ergebnis geblieben, und die andern beabsichtigten angesichts des deutschfrei¬
sinnigen Parteitags, der am 8. und 9. d. M. in Königsberg abgehalten werden
sollte, demnächst für die Stadt drei Wahlkandidaten ihres politischen Glaubens¬
bekenntnisses aufzustellen. Das hat gewiß nicht bloß sür die Hauptstadt Ost-
Preußens, sondern auch für viele andre Orte der Provinz, denen sie bisher
Muster und Vorbild war, seine Bedeutung. Zum erstenmale seit Herr Rickert
die Nationalliberalen dieser Gegend zum Abfalle, zum Radikalismus bewogen


Die Wahlbewegung in Preußen.

wenn, wie versichert wird, „zahlreiche Wähler (von den Führern ist noch nicht
die Rede) sich die Freiger vorlegen, ob sie es unter den veränderten Umständen noch
verantworten können, eine Partei zu unterstützen, welche die Regierungspolitik in
Verbindung mit dem Zentrum immer nur bekämpfen wird, oder ob es ihren Über¬
zeugungen (nach dem Obigen richtiger, ihrem persönlichen Bedürfnisse und Vor¬
teile) nicht besser entspricht, wenn sie sich der gemäßigt liberalen Partei zuwenden
und dadurch das Gewicht verstärken, welches diese für die parlamentarische Beein¬
flussung der Negierung in die Wagschale zu werfen vermag." Derartige Betrach¬
tungen scheint man n, a, in verschiednen Kreisen der deutschfrcisinnigen Partei in den
östlichen Provinzen angestellt zu haben, und in Königsberg ist man bereits zu darauf
gegründeten Beschlüssen hinsichtlich der bevorstehenden Landtagswahl gediehen.
Dort vereinigten sich im Februar des letztverflossenen Jahres schon Konservative,
Nationalliberale und eine ansehnliche Zahl verständiger Wähler, die weiter
links standen, zur Beseitigung der sozialdemokratischen Vertretung der alten
Krönnngsstadt, und der Zweck der Verständigung wurde erreicht. Im preußischen
Landtage saßen seit lange als Vertreter der Stadt zwei Angehörige der
Richterschen Genossenschaft und ein Nationalliberaler. Der letztere, Herr Kieschke,
begann in der Zeit, wo sich die Fusion vollzog, zu schwanken und trat schließlich
aus dem Verbände der nationalliberalen Partei aus, um sich bald nachher dem
der deutschfreisinnigen zuzuwenden. Vor einigen Wochen hat er auch dieser
wieder den Rücken gekehrt — wohl ein Zugeständnis, das der offenkundig
gewordenen Veränderung in den Meinungen seiner Wähler gemacht worden ist.
Jedenfalls wirkte dieser Schritt als abfällige Beurteilung der Partei, welcher
der Herr Abgeordnete im Landtage zuletzt angehört hatte, und wurde Ver¬
anlassung, daß andre, die an dem radikalen Liberalismus ebenfalls den Ge¬
schmack verloren hatten, sich vereinigten und auf die Sammlung von Ge¬
sinnungsgenossen zu praktischen Zwecken Bedacht nahmen. Je mehr dies gelang,
desto mehr wuchsen Selbstgefühl und Entschlossenheit, und anderseits, je
mehr die Führer der Deutschfreisinnigen ihre Stützen zusammenschmelzen sahen,
desto eigensinniger hielten sie an ihren Ansprüchen fest — eine Erscheinung,
die beiläufig bei dieser Partei so oft beobachtet worden ist, daß sie als Regel
zu gelte» hat. Damit ist wohl die Thatsache genügend erklärt, daß in der
„Königsberger Allgemeinen Zeitung" jetzt bekannt gemacht wird, die Ver¬
handlungen zwischen den gemäßigten und den radikalen Liberalen seien ohne
Ergebnis geblieben, und die andern beabsichtigten angesichts des deutschfrei¬
sinnigen Parteitags, der am 8. und 9. d. M. in Königsberg abgehalten werden
sollte, demnächst für die Stadt drei Wahlkandidaten ihres politischen Glaubens¬
bekenntnisses aufzustellen. Das hat gewiß nicht bloß sür die Hauptstadt Ost-
Preußens, sondern auch für viele andre Orte der Provinz, denen sie bisher
Muster und Vorbild war, seine Bedeutung. Zum erstenmale seit Herr Rickert
die Nationalliberalen dieser Gegend zum Abfalle, zum Radikalismus bewogen


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[0626] Die Wahlbewegung in Preußen. wenn, wie versichert wird, „zahlreiche Wähler (von den Führern ist noch nicht die Rede) sich die Freiger vorlegen, ob sie es unter den veränderten Umständen noch verantworten können, eine Partei zu unterstützen, welche die Regierungspolitik in Verbindung mit dem Zentrum immer nur bekämpfen wird, oder ob es ihren Über¬ zeugungen (nach dem Obigen richtiger, ihrem persönlichen Bedürfnisse und Vor¬ teile) nicht besser entspricht, wenn sie sich der gemäßigt liberalen Partei zuwenden und dadurch das Gewicht verstärken, welches diese für die parlamentarische Beein¬ flussung der Negierung in die Wagschale zu werfen vermag." Derartige Betrach¬ tungen scheint man n, a, in verschiednen Kreisen der deutschfrcisinnigen Partei in den östlichen Provinzen angestellt zu haben, und in Königsberg ist man bereits zu darauf gegründeten Beschlüssen hinsichtlich der bevorstehenden Landtagswahl gediehen. Dort vereinigten sich im Februar des letztverflossenen Jahres schon Konservative, Nationalliberale und eine ansehnliche Zahl verständiger Wähler, die weiter links standen, zur Beseitigung der sozialdemokratischen Vertretung der alten Krönnngsstadt, und der Zweck der Verständigung wurde erreicht. Im preußischen Landtage saßen seit lange als Vertreter der Stadt zwei Angehörige der Richterschen Genossenschaft und ein Nationalliberaler. Der letztere, Herr Kieschke, begann in der Zeit, wo sich die Fusion vollzog, zu schwanken und trat schließlich aus dem Verbände der nationalliberalen Partei aus, um sich bald nachher dem der deutschfreisinnigen zuzuwenden. Vor einigen Wochen hat er auch dieser wieder den Rücken gekehrt — wohl ein Zugeständnis, das der offenkundig gewordenen Veränderung in den Meinungen seiner Wähler gemacht worden ist. Jedenfalls wirkte dieser Schritt als abfällige Beurteilung der Partei, welcher der Herr Abgeordnete im Landtage zuletzt angehört hatte, und wurde Ver¬ anlassung, daß andre, die an dem radikalen Liberalismus ebenfalls den Ge¬ schmack verloren hatten, sich vereinigten und auf die Sammlung von Ge¬ sinnungsgenossen zu praktischen Zwecken Bedacht nahmen. Je mehr dies gelang, desto mehr wuchsen Selbstgefühl und Entschlossenheit, und anderseits, je mehr die Führer der Deutschfreisinnigen ihre Stützen zusammenschmelzen sahen, desto eigensinniger hielten sie an ihren Ansprüchen fest — eine Erscheinung, die beiläufig bei dieser Partei so oft beobachtet worden ist, daß sie als Regel zu gelte» hat. Damit ist wohl die Thatsache genügend erklärt, daß in der „Königsberger Allgemeinen Zeitung" jetzt bekannt gemacht wird, die Ver¬ handlungen zwischen den gemäßigten und den radikalen Liberalen seien ohne Ergebnis geblieben, und die andern beabsichtigten angesichts des deutschfrei¬ sinnigen Parteitags, der am 8. und 9. d. M. in Königsberg abgehalten werden sollte, demnächst für die Stadt drei Wahlkandidaten ihres politischen Glaubens¬ bekenntnisses aufzustellen. Das hat gewiß nicht bloß sür die Hauptstadt Ost- Preußens, sondern auch für viele andre Orte der Provinz, denen sie bisher Muster und Vorbild war, seine Bedeutung. Zum erstenmale seit Herr Rickert die Nationalliberalen dieser Gegend zum Abfalle, zum Radikalismus bewogen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/626>, abgerufen am 24.08.2024.