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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Droht in Italien ein Kulturkampf?

nichts als Gehorsam. Daß sie eine wahrhaft sittliche Einwirkung jemals versucht
habe, davon liefert die Geschichte keinen Beweis. Savonarola wurde von der
Kirche verleugnet, und sein Versuch einer Einwirkung auf die Gemüter, einer
sittlichen Reform, fand nnr in Florenz, und auch da nur vorübergehend, Einfluß,
der wie ein neues Gericht einem verwöhnten Magen eine kurze Zeit lang
mundet, dann aber auch bald Überdruß erregt. Es war ein Feuer, das
mächtig aufflackerte, aber bald erlosch, weil es keine Nahrung im Charakter
des Volkes fand.

Das große Geheimnis, wie es der katholischen Kirche gelang, das Volk
im Gehorsam zu halten, nicht nur die rohen Massen, sondern auch die Ge¬
bildeten, ja selbst die Denkenden und den Dogmen widerstrebenden, liegt in
der Lehre von den Qualen der Hölle und des Fegefeuers und von der lösenden
Macht des Priestertums. Selbst ganz freidenkende Männer fügen sich, indem
sie denken, ja zuweilen offen aussprechen: "Es kann jedenfalls nichts schaden,"
oder: "Man kann immerhin nicht wissen" u. s, w.

Man ist erstaunt, wenn man dergleichen Äußerungen aus dem Munde
ernster Männer vernimmt. Aber man muß sich vergegenwärtigen, daß die Angst
vor den höllischen Qualen nicht nur auf einer kirchlichen Lehre beruht, soudern
daß diese Qualen auch mit einer Zolas würdigen Realität von Künstlern und
Dichtern dem Volke in allen denkbaren Einzelheiten dargestellt worden sind.
Dante hat die Hölle so drastisch geschildert und dem Geiste seines Volkes so
lebhaft vor die Augen geführt, daß der Eindruck um so tiefer gehen mußte,
je größer und unanfechtbarer der Name Dantes seinem Volke wurde und je
höher sein Gedicht in der Litteratur im Range stieg. Noch mehr haben die
Maler gethan, um die Angst vor den Höllenqualen im Gemüte des Volkes zu
befestigen. Man findet die Beweise hierfür in allen Winkeln Italiens. Es
genüge, auf die entsetzlichen Darstellungen hinzuweisen, welche die Fresken in
der Kuppel des Florentiner Domes enthalten.

Das Kirchenregiment also verlangt vom Volke nichts als Gehorsam. Der
Gottesdienst stellt fast keine Anforderung, verlangt keine Mitwirkung der Ge¬
meinde. Dies alles bleibt dem Einzelnen überlassen. Der Priester ist der
Vermittler zwischen Volk und Gott; der Priester allein ist es, der der Gottheit
die ihr gebührenden Opfer darbringt; das Priestertum ist es, das Gott verehrt
und mit Gepränge und Feierlichkeit jeder Art verherrlicht. Die Kirche ruft
zwar das Volk zur Anwesenheit beim Gottesdienste herbei, aber sie erkennt nicht
einmal den Grundsatz 1'rizs lÄeiunt soolksiain an, denn auch wenn niemand
kommt, geht der Dienst wie gewöhnlich von statten.

Alles dies findet schon in der räumlichen Anlage der Kirche seinen Ausdruck.
Die Kirche besteht aus zwei ganz verschiedenen Räumen, dem Zuschauerraum
und -- man möge den Ausdruck seiner Anschaulichkeit wegen gestatten -- der
Bühne. Während auf der letzteren die heilige Handlung vom Priester voll-


Droht in Italien ein Kulturkampf?

nichts als Gehorsam. Daß sie eine wahrhaft sittliche Einwirkung jemals versucht
habe, davon liefert die Geschichte keinen Beweis. Savonarola wurde von der
Kirche verleugnet, und sein Versuch einer Einwirkung auf die Gemüter, einer
sittlichen Reform, fand nnr in Florenz, und auch da nur vorübergehend, Einfluß,
der wie ein neues Gericht einem verwöhnten Magen eine kurze Zeit lang
mundet, dann aber auch bald Überdruß erregt. Es war ein Feuer, das
mächtig aufflackerte, aber bald erlosch, weil es keine Nahrung im Charakter
des Volkes fand.

Das große Geheimnis, wie es der katholischen Kirche gelang, das Volk
im Gehorsam zu halten, nicht nur die rohen Massen, sondern auch die Ge¬
bildeten, ja selbst die Denkenden und den Dogmen widerstrebenden, liegt in
der Lehre von den Qualen der Hölle und des Fegefeuers und von der lösenden
Macht des Priestertums. Selbst ganz freidenkende Männer fügen sich, indem
sie denken, ja zuweilen offen aussprechen: „Es kann jedenfalls nichts schaden,"
oder: „Man kann immerhin nicht wissen" u. s, w.

Man ist erstaunt, wenn man dergleichen Äußerungen aus dem Munde
ernster Männer vernimmt. Aber man muß sich vergegenwärtigen, daß die Angst
vor den höllischen Qualen nicht nur auf einer kirchlichen Lehre beruht, soudern
daß diese Qualen auch mit einer Zolas würdigen Realität von Künstlern und
Dichtern dem Volke in allen denkbaren Einzelheiten dargestellt worden sind.
Dante hat die Hölle so drastisch geschildert und dem Geiste seines Volkes so
lebhaft vor die Augen geführt, daß der Eindruck um so tiefer gehen mußte,
je größer und unanfechtbarer der Name Dantes seinem Volke wurde und je
höher sein Gedicht in der Litteratur im Range stieg. Noch mehr haben die
Maler gethan, um die Angst vor den Höllenqualen im Gemüte des Volkes zu
befestigen. Man findet die Beweise hierfür in allen Winkeln Italiens. Es
genüge, auf die entsetzlichen Darstellungen hinzuweisen, welche die Fresken in
der Kuppel des Florentiner Domes enthalten.

Das Kirchenregiment also verlangt vom Volke nichts als Gehorsam. Der
Gottesdienst stellt fast keine Anforderung, verlangt keine Mitwirkung der Ge¬
meinde. Dies alles bleibt dem Einzelnen überlassen. Der Priester ist der
Vermittler zwischen Volk und Gott; der Priester allein ist es, der der Gottheit
die ihr gebührenden Opfer darbringt; das Priestertum ist es, das Gott verehrt
und mit Gepränge und Feierlichkeit jeder Art verherrlicht. Die Kirche ruft
zwar das Volk zur Anwesenheit beim Gottesdienste herbei, aber sie erkennt nicht
einmal den Grundsatz 1'rizs lÄeiunt soolksiain an, denn auch wenn niemand
kommt, geht der Dienst wie gewöhnlich von statten.

Alles dies findet schon in der räumlichen Anlage der Kirche seinen Ausdruck.
Die Kirche besteht aus zwei ganz verschiedenen Räumen, dem Zuschauerraum
und — man möge den Ausdruck seiner Anschaulichkeit wegen gestatten — der
Bühne. Während auf der letzteren die heilige Handlung vom Priester voll-


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[0061] Droht in Italien ein Kulturkampf? nichts als Gehorsam. Daß sie eine wahrhaft sittliche Einwirkung jemals versucht habe, davon liefert die Geschichte keinen Beweis. Savonarola wurde von der Kirche verleugnet, und sein Versuch einer Einwirkung auf die Gemüter, einer sittlichen Reform, fand nnr in Florenz, und auch da nur vorübergehend, Einfluß, der wie ein neues Gericht einem verwöhnten Magen eine kurze Zeit lang mundet, dann aber auch bald Überdruß erregt. Es war ein Feuer, das mächtig aufflackerte, aber bald erlosch, weil es keine Nahrung im Charakter des Volkes fand. Das große Geheimnis, wie es der katholischen Kirche gelang, das Volk im Gehorsam zu halten, nicht nur die rohen Massen, sondern auch die Ge¬ bildeten, ja selbst die Denkenden und den Dogmen widerstrebenden, liegt in der Lehre von den Qualen der Hölle und des Fegefeuers und von der lösenden Macht des Priestertums. Selbst ganz freidenkende Männer fügen sich, indem sie denken, ja zuweilen offen aussprechen: „Es kann jedenfalls nichts schaden," oder: „Man kann immerhin nicht wissen" u. s, w. Man ist erstaunt, wenn man dergleichen Äußerungen aus dem Munde ernster Männer vernimmt. Aber man muß sich vergegenwärtigen, daß die Angst vor den höllischen Qualen nicht nur auf einer kirchlichen Lehre beruht, soudern daß diese Qualen auch mit einer Zolas würdigen Realität von Künstlern und Dichtern dem Volke in allen denkbaren Einzelheiten dargestellt worden sind. Dante hat die Hölle so drastisch geschildert und dem Geiste seines Volkes so lebhaft vor die Augen geführt, daß der Eindruck um so tiefer gehen mußte, je größer und unanfechtbarer der Name Dantes seinem Volke wurde und je höher sein Gedicht in der Litteratur im Range stieg. Noch mehr haben die Maler gethan, um die Angst vor den Höllenqualen im Gemüte des Volkes zu befestigen. Man findet die Beweise hierfür in allen Winkeln Italiens. Es genüge, auf die entsetzlichen Darstellungen hinzuweisen, welche die Fresken in der Kuppel des Florentiner Domes enthalten. Das Kirchenregiment also verlangt vom Volke nichts als Gehorsam. Der Gottesdienst stellt fast keine Anforderung, verlangt keine Mitwirkung der Ge¬ meinde. Dies alles bleibt dem Einzelnen überlassen. Der Priester ist der Vermittler zwischen Volk und Gott; der Priester allein ist es, der der Gottheit die ihr gebührenden Opfer darbringt; das Priestertum ist es, das Gott verehrt und mit Gepränge und Feierlichkeit jeder Art verherrlicht. Die Kirche ruft zwar das Volk zur Anwesenheit beim Gottesdienste herbei, aber sie erkennt nicht einmal den Grundsatz 1'rizs lÄeiunt soolksiain an, denn auch wenn niemand kommt, geht der Dienst wie gewöhnlich von statten. Alles dies findet schon in der räumlichen Anlage der Kirche seinen Ausdruck. Die Kirche besteht aus zwei ganz verschiedenen Räumen, dem Zuschauerraum und — man möge den Ausdruck seiner Anschaulichkeit wegen gestatten — der Bühne. Während auf der letzteren die heilige Handlung vom Priester voll-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/61>, abgerufen am 01.07.2024.