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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Droht in Italien ein Kulturkampf?

Hilfe von sechs Monaten bis zu drei Jahren, mit Geldbuße von 500 bis 3000 Franks
und mit dauernder oder zeitweiliger Ausschließung von der geistlichen Pfründe
heimgesucht, Art, 175, Der Knltnsdiener, der gegen die Verfügungen der Regierung
äußere Kultushandlungen verrichtet, wird mit Haft bis zu drei Monaten und mit
Geldbuße von 50 bis 150 Franks bestraft. Art, 176. Der Kultusdieuer, der in
Ausübung oder unter Mißbrauch seines Amtes sich irgend eines andern Vergehens
schuldig macht, verfällt der Strafe, welche gesetzlich dafür festgesetzt ist, verschärft
durch eine Erhöhung von einem weitern Sechstel bis zu einem Drittel, mit Aus¬
nahme der Fälle, wo bereits die Eigenschaft des Kultusdieners vom Gesetze in
Berücksichtigung gezogen worden ist.

Die Staatsgewalt will sich durch diese Paragraphen wirksamer gegen die
klerikale" Versuche zur Wiederherstellung des Kirchenstaates schützen. Es ist be¬
greiflich, daß die klerikale Presse, soviel sie vermag, gegen diese Gesetze ein¬
wendet, daß die Bischöfe förmliche Verwahrungen beim Parlamente dagegen
einlegen, daß der Papst selbst durch Ansprache im heiligen Konsistorium ernste
und feierliche Beschwerde führt.

Daß diese Bemühungen einen nennenswerten Erfolg haben werden, ist
nicht wahrscheinlich.*) Aber bei dem großen Einfluß, den die Kirche in Italien
auf die Gemüter ausübt, werden viele wohl die Frage aufwerfen, ob durch
die neue Gesetzgebung nicht eine Art "Kulturkampf" entstehen werde, worin die
Staatsgewalt in dem ganz katholischen Lande noch weniger auf einen Sieg
Aussicht haben könne, als in dem der Mehrheit nach protestantischen Preußen,
dessen Maigesetze doch bei weitem nicht die Tragweite der oben angeführten
italienischen Gesetzesparagraphen hatten.

Wir glauben, daß diese Frage verneint werden muß, und wollen zur Be¬
gründung die nachfolgenden Beobachtungen mitteilen, die wir mit vollkommener
religiöser und politischer Unbefangenheit im Lande selbst gemacht haben.

Auch wer sich sonst teilnahmlos gegen Kirche und kirchliches Leben verhält,
gewinnt bei längeren Aufenthalte in Italien doch allmählich Interesse daran
und wird zum Nachdenken angeregt. Mau wandert fast täglich von einer
Kirche zur andern und findet die mannichfachsten Genüsse. Architektur, Skulptur,
Malerei, Musik, Volksleben bieten uns die Kirchen in Fülle; oft suchen wir
auch in den heiligen Räumen Wärme, wenn es draußen kalt ist, und Kühle,
wenn uns die Sonne im Freien lästig wird; zuweilen auch Ruhe und Sammlung,
wenn das Gemüt ihrer bedarf. Allmählich begreifen wir, daß die Kirche in
Italien zum Leben des Volkes gehört und daß sie zu diesem eine ganz andre
Stellung einnimmt als diesseits der Alpen. Die Verhältnisse sind eben grund¬
verschieden, hüben und drüben.

Fassen wir den Geist der katholischen Kirche -- wohlverstanden, wie er
sich in Italien bethätigt -- richtig auf, so verlangt sie vom Volke eigentlich



*) Der Gcschentwurs ist inzwischen mit überwältiaender Stimmenmehrheit angenommen
worden.
Droht in Italien ein Kulturkampf?

Hilfe von sechs Monaten bis zu drei Jahren, mit Geldbuße von 500 bis 3000 Franks
und mit dauernder oder zeitweiliger Ausschließung von der geistlichen Pfründe
heimgesucht, Art, 175, Der Knltnsdiener, der gegen die Verfügungen der Regierung
äußere Kultushandlungen verrichtet, wird mit Haft bis zu drei Monaten und mit
Geldbuße von 50 bis 150 Franks bestraft. Art, 176. Der Kultusdieuer, der in
Ausübung oder unter Mißbrauch seines Amtes sich irgend eines andern Vergehens
schuldig macht, verfällt der Strafe, welche gesetzlich dafür festgesetzt ist, verschärft
durch eine Erhöhung von einem weitern Sechstel bis zu einem Drittel, mit Aus¬
nahme der Fälle, wo bereits die Eigenschaft des Kultusdieners vom Gesetze in
Berücksichtigung gezogen worden ist.

Die Staatsgewalt will sich durch diese Paragraphen wirksamer gegen die
klerikale» Versuche zur Wiederherstellung des Kirchenstaates schützen. Es ist be¬
greiflich, daß die klerikale Presse, soviel sie vermag, gegen diese Gesetze ein¬
wendet, daß die Bischöfe förmliche Verwahrungen beim Parlamente dagegen
einlegen, daß der Papst selbst durch Ansprache im heiligen Konsistorium ernste
und feierliche Beschwerde führt.

Daß diese Bemühungen einen nennenswerten Erfolg haben werden, ist
nicht wahrscheinlich.*) Aber bei dem großen Einfluß, den die Kirche in Italien
auf die Gemüter ausübt, werden viele wohl die Frage aufwerfen, ob durch
die neue Gesetzgebung nicht eine Art „Kulturkampf" entstehen werde, worin die
Staatsgewalt in dem ganz katholischen Lande noch weniger auf einen Sieg
Aussicht haben könne, als in dem der Mehrheit nach protestantischen Preußen,
dessen Maigesetze doch bei weitem nicht die Tragweite der oben angeführten
italienischen Gesetzesparagraphen hatten.

Wir glauben, daß diese Frage verneint werden muß, und wollen zur Be¬
gründung die nachfolgenden Beobachtungen mitteilen, die wir mit vollkommener
religiöser und politischer Unbefangenheit im Lande selbst gemacht haben.

Auch wer sich sonst teilnahmlos gegen Kirche und kirchliches Leben verhält,
gewinnt bei längeren Aufenthalte in Italien doch allmählich Interesse daran
und wird zum Nachdenken angeregt. Mau wandert fast täglich von einer
Kirche zur andern und findet die mannichfachsten Genüsse. Architektur, Skulptur,
Malerei, Musik, Volksleben bieten uns die Kirchen in Fülle; oft suchen wir
auch in den heiligen Räumen Wärme, wenn es draußen kalt ist, und Kühle,
wenn uns die Sonne im Freien lästig wird; zuweilen auch Ruhe und Sammlung,
wenn das Gemüt ihrer bedarf. Allmählich begreifen wir, daß die Kirche in
Italien zum Leben des Volkes gehört und daß sie zu diesem eine ganz andre
Stellung einnimmt als diesseits der Alpen. Die Verhältnisse sind eben grund¬
verschieden, hüben und drüben.

Fassen wir den Geist der katholischen Kirche — wohlverstanden, wie er
sich in Italien bethätigt — richtig auf, so verlangt sie vom Volke eigentlich



*) Der Gcschentwurs ist inzwischen mit überwältiaender Stimmenmehrheit angenommen
worden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/60>, abgerufen am 03.07.2024.