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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Frau Gottsched,

Beredsamkeit" von Frau von Gomez. Das letztere Werkchen bestand eigentlich
aus sechs Reden, in denen die Philosophie, die Geschichte, die Dichtkunst und
die Beredtsamkeit von ihren Vertretern um die Wette gepriesen werden, bis der
als Richter herbeigerufene Kritolaus der Beredsamkeit den Sieg zugesteht. In
einem Anhange zu diesem Schriftchen veröffentlichte Gottsched auch einige Ge¬
dichte der Übersetzerin.

Aus den beiden Briefschreibern waren nach und nach im Einverständnis
mit den Eltern Verlobte geworden. Dem Leipziger Gelehrten mußte eine
Gattin sehr erwünscht erscheinen, die das Ideal verwirklichte, welches er in
seiner moralischen Wochenschrift: "Die vernünftigen Tadlerinnen" oft genug
gezeichnet hatte. Er forderte von der Fran vor allem Bildung, und für die
Gattin eines Gelehrten hielt er einen gewissen Grad von Gelehrsamkeit für
unerläßlich. Er hatte einst geschrieben: "Ich ergötze mich, so oft ich daran ge¬
denke, wie der berühmte Dacier mit seiner Frauen gelebt haben müsse. Ich
stelle mir zum Exempel vor, wie beide Ehegatten zusammensitzen und die weisen
Sprüche des großen Kaisers Antonius aus dem Griechischen ins Französische
übersetzen. Welch ein angenehmer Streit ist dieses, da der Mann es der
Frauen, die Frau aber dem Manne in der Gelehrsamkeit zuvor thun will."
Was er hier schildert, das sollte er später in der That in Gemeinschaft mit
seiner Gattin selbst erleben. Die Jungfrau Kulmus aber dachte schon damals,
wie sie später in einem Gedichte zum Geburtstage ihres Gatten sang:


Freund, schenke ferner mir das Glücke deiner Lehren,
Ich will dein Strafen mehr als jenes Loben hören,
Und wenn dein treuer Mund einst meine Schrift erhebt,
So hat mein Eifer sich den schönsten Lohn erstrebt.

An Verehelichung war freilich noch nicht zu denken. Die Familie Kulmus
verfügte nicht über Reichtümer, und Gottsched war zwar seit 1730 außerordent¬
licher Professor der Poesie an der Leipziger Universität, erhielt aber als solcher
keinen Gehalt und war ans die Erträgnisse seiner schriftstellerischen Arbeiten, ja
sogar auf die "Schuldigkeiten" für bestellte Gelegenheitsgedichte angewiesen.

Der Braut wurde die Zeit ihres Vrantstandes verkümmert durch den Tod
beider Eltern, von denen der Vater 1731, die Mutter 1734 starb. Auch Ver¬
stimmungen zwischen den Verlobten kamen während der Zeit des Brautstandes
vor; aber man muß zugestehen, daß dabei die Braut eine viel würdigere Rolle
spielt als der Bräutigam. Adelgunde war von den Masern befallen worden
und hatte dies ihrem Bräutigam mitgeteilt. Dieser aber hatte gehört, nicht
an den Masern, sondern an den Blattern sei seine Braut erkrankt. Er war
taktlos genug, ihr zu schreiben, wie er namentlich fürchte, daß ihr Gesicht da¬
durch entstellt werde. Darauf erhielt er von ihr einen herrlichen Brief, in
dem sie u. a. schrieb: "Sie waren nicht nach Danzig gekommen, schöne Ge¬
sichter und schöne Körper zu suchen; diese hatten Sie in Sachsen näher. Oder


Frau Gottsched,

Beredsamkeit" von Frau von Gomez. Das letztere Werkchen bestand eigentlich
aus sechs Reden, in denen die Philosophie, die Geschichte, die Dichtkunst und
die Beredtsamkeit von ihren Vertretern um die Wette gepriesen werden, bis der
als Richter herbeigerufene Kritolaus der Beredsamkeit den Sieg zugesteht. In
einem Anhange zu diesem Schriftchen veröffentlichte Gottsched auch einige Ge¬
dichte der Übersetzerin.

Aus den beiden Briefschreibern waren nach und nach im Einverständnis
mit den Eltern Verlobte geworden. Dem Leipziger Gelehrten mußte eine
Gattin sehr erwünscht erscheinen, die das Ideal verwirklichte, welches er in
seiner moralischen Wochenschrift: „Die vernünftigen Tadlerinnen" oft genug
gezeichnet hatte. Er forderte von der Fran vor allem Bildung, und für die
Gattin eines Gelehrten hielt er einen gewissen Grad von Gelehrsamkeit für
unerläßlich. Er hatte einst geschrieben: „Ich ergötze mich, so oft ich daran ge¬
denke, wie der berühmte Dacier mit seiner Frauen gelebt haben müsse. Ich
stelle mir zum Exempel vor, wie beide Ehegatten zusammensitzen und die weisen
Sprüche des großen Kaisers Antonius aus dem Griechischen ins Französische
übersetzen. Welch ein angenehmer Streit ist dieses, da der Mann es der
Frauen, die Frau aber dem Manne in der Gelehrsamkeit zuvor thun will."
Was er hier schildert, das sollte er später in der That in Gemeinschaft mit
seiner Gattin selbst erleben. Die Jungfrau Kulmus aber dachte schon damals,
wie sie später in einem Gedichte zum Geburtstage ihres Gatten sang:


Freund, schenke ferner mir das Glücke deiner Lehren,
Ich will dein Strafen mehr als jenes Loben hören,
Und wenn dein treuer Mund einst meine Schrift erhebt,
So hat mein Eifer sich den schönsten Lohn erstrebt.

An Verehelichung war freilich noch nicht zu denken. Die Familie Kulmus
verfügte nicht über Reichtümer, und Gottsched war zwar seit 1730 außerordent¬
licher Professor der Poesie an der Leipziger Universität, erhielt aber als solcher
keinen Gehalt und war ans die Erträgnisse seiner schriftstellerischen Arbeiten, ja
sogar auf die „Schuldigkeiten" für bestellte Gelegenheitsgedichte angewiesen.

Der Braut wurde die Zeit ihres Vrantstandes verkümmert durch den Tod
beider Eltern, von denen der Vater 1731, die Mutter 1734 starb. Auch Ver¬
stimmungen zwischen den Verlobten kamen während der Zeit des Brautstandes
vor; aber man muß zugestehen, daß dabei die Braut eine viel würdigere Rolle
spielt als der Bräutigam. Adelgunde war von den Masern befallen worden
und hatte dies ihrem Bräutigam mitgeteilt. Dieser aber hatte gehört, nicht
an den Masern, sondern an den Blattern sei seine Braut erkrankt. Er war
taktlos genug, ihr zu schreiben, wie er namentlich fürchte, daß ihr Gesicht da¬
durch entstellt werde. Darauf erhielt er von ihr einen herrlichen Brief, in
dem sie u. a. schrieb: „Sie waren nicht nach Danzig gekommen, schöne Ge¬
sichter und schöne Körper zu suchen; diese hatten Sie in Sachsen näher. Oder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/606>, abgerufen am 22.07.2024.