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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Kaiser Wilhelm II- und die Freisinnigen und Ultramontanen.

er als für beide Teile in annehmbarer Weise gestaltet. Den kirchlichen Frieden
im Lande will er zu erhalten bemüht sein. Nachdem in kurzer und treffender
Weise noch über die innere Verwaltung und das Finanzwesen des Staates
gesprochen worden ist, sagt der König am Schlüsse, daß er das Vertrauen habe,
es werde auch in der künftigen Legislaturperiode die Wohlfahrt des Landes
in gemeinschaftlicher Arbeit gefördert werden. An seine ihm nach Gottes Fügung
gestellte Aufgabe tritt er mit der Zuversicht des Pflichtgefühls heran und hält
sich "das Wort des großen Friedrich gegenwärtig, daß in Preußen der König
des Staates erster Diener ist." Auch in dieser zweiten Rede fand die Pietät
des Sohnes gegen den Vater einen schönen Ausdruck, und wenn schon Kaiser
Friedrich darauf hingewiesen hatte, daß Preußens und Deutschlands Geschicke
durch die Thaten Wilhelms I. unauflöslich mit einander verbunden seien, sodaß
man den Kaiser von Deutschland und den König von Preußen nicht trennen
könne, so wurde derselbe Gedanke in dieser zweiten Rede König Wilhelms
kräftig hervorgehoben. Auch das preußische Abgeordnetenhaus beantwortete die
Thronrede mit einer Adresse, die einstimmige Genehmigung fand. Nach zwei¬
tägigem Zusammensein erfolgte der Schluß des Landtags.

Nicht sonderlich erbaut von den beiden Thonreden waren die Freisinnigen.
Wenn man Blättern wie der Volkszeitung glauben wollte, so wurde "nur der
alte Faden in einer neuen Nummer fortgesponnen," weil sich die Rede an den
Reichstag darüber deutlich genug ausdrücke, daß der Schutz der Schwachen sich
nur auf eine andere Art Armenpflege beschränke, dagegen dem Arbeiter die
Mittel der politisch sozialen Freiheit versagt blieben; dies sei der Fall,
wenn einerseits der bisherigen Auslegung der Botschaft von 1881, anderseits
der bisherigen Handhabung des Sozialistengesetzes zugestimmt werde. Die
Volkszeitung wird deshalb sehr besorgt; das immer auf Frieden bedachte
Blatt sieht Erschütterungen für unser Vaterland kommen, "wie sie noch kein
Staat in der geschichtlich bekannten Vergangenheit jemals zu bestehen gehabt
hat." Es gebe nur "einen Weg zur Sicherstellung unsrer nationalen Zukunft,
nämlich den, daß das Volk zu seinen Vertretern in die gesetzgebenden Körper¬
schaften Politiker wähle, welche mit der Sozialpolitik des letzten Jahrzehnts
rücksichtslos zu brechen gewillt sind." Da haben wir denn das heilende Kräut¬
lein der ^Freisinnigen. Hoffentlich wird die bisherige Mehrheit der Mittel¬
parteien dadurch bestimmt, von gewissen Absichten zu lassen, die vielfach auf¬
getaucht sind. Konservative wie Nationalliberale haben sich dahin vernehmen
lassen, das Kartell in der Weise, daß es in jedem Wahlkreise verpflichtende
Wirkung habe, für die bevorstehenden preußischen Landtagswahlen zu lösen.
Wir halten das entschieden für unheilvoll. Ohne Frage liegt diesen Absichten
von feiten der Nationalliberalen die Befürchtung zu Gr"nde, daß möglicher¬
weise die konservative Partei zu einer Selbständigkeit komme, die ihr allein
durch Unterstützung der Nationalliberalen die Mehrheit verschaffe und damit


Kaiser Wilhelm II- und die Freisinnigen und Ultramontanen.

er als für beide Teile in annehmbarer Weise gestaltet. Den kirchlichen Frieden
im Lande will er zu erhalten bemüht sein. Nachdem in kurzer und treffender
Weise noch über die innere Verwaltung und das Finanzwesen des Staates
gesprochen worden ist, sagt der König am Schlüsse, daß er das Vertrauen habe,
es werde auch in der künftigen Legislaturperiode die Wohlfahrt des Landes
in gemeinschaftlicher Arbeit gefördert werden. An seine ihm nach Gottes Fügung
gestellte Aufgabe tritt er mit der Zuversicht des Pflichtgefühls heran und hält
sich „das Wort des großen Friedrich gegenwärtig, daß in Preußen der König
des Staates erster Diener ist." Auch in dieser zweiten Rede fand die Pietät
des Sohnes gegen den Vater einen schönen Ausdruck, und wenn schon Kaiser
Friedrich darauf hingewiesen hatte, daß Preußens und Deutschlands Geschicke
durch die Thaten Wilhelms I. unauflöslich mit einander verbunden seien, sodaß
man den Kaiser von Deutschland und den König von Preußen nicht trennen
könne, so wurde derselbe Gedanke in dieser zweiten Rede König Wilhelms
kräftig hervorgehoben. Auch das preußische Abgeordnetenhaus beantwortete die
Thronrede mit einer Adresse, die einstimmige Genehmigung fand. Nach zwei¬
tägigem Zusammensein erfolgte der Schluß des Landtags.

Nicht sonderlich erbaut von den beiden Thonreden waren die Freisinnigen.
Wenn man Blättern wie der Volkszeitung glauben wollte, so wurde „nur der
alte Faden in einer neuen Nummer fortgesponnen," weil sich die Rede an den
Reichstag darüber deutlich genug ausdrücke, daß der Schutz der Schwachen sich
nur auf eine andere Art Armenpflege beschränke, dagegen dem Arbeiter die
Mittel der politisch sozialen Freiheit versagt blieben; dies sei der Fall,
wenn einerseits der bisherigen Auslegung der Botschaft von 1881, anderseits
der bisherigen Handhabung des Sozialistengesetzes zugestimmt werde. Die
Volkszeitung wird deshalb sehr besorgt; das immer auf Frieden bedachte
Blatt sieht Erschütterungen für unser Vaterland kommen, „wie sie noch kein
Staat in der geschichtlich bekannten Vergangenheit jemals zu bestehen gehabt
hat." Es gebe nur „einen Weg zur Sicherstellung unsrer nationalen Zukunft,
nämlich den, daß das Volk zu seinen Vertretern in die gesetzgebenden Körper¬
schaften Politiker wähle, welche mit der Sozialpolitik des letzten Jahrzehnts
rücksichtslos zu brechen gewillt sind." Da haben wir denn das heilende Kräut¬
lein der ^Freisinnigen. Hoffentlich wird die bisherige Mehrheit der Mittel¬
parteien dadurch bestimmt, von gewissen Absichten zu lassen, die vielfach auf¬
getaucht sind. Konservative wie Nationalliberale haben sich dahin vernehmen
lassen, das Kartell in der Weise, daß es in jedem Wahlkreise verpflichtende
Wirkung habe, für die bevorstehenden preußischen Landtagswahlen zu lösen.
Wir halten das entschieden für unheilvoll. Ohne Frage liegt diesen Absichten
von feiten der Nationalliberalen die Befürchtung zu Gr«nde, daß möglicher¬
weise die konservative Partei zu einer Selbständigkeit komme, die ihr allein
durch Unterstützung der Nationalliberalen die Mehrheit verschaffe und damit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/589>, abgerufen am 01.07.2024.