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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Kaiser Wilhelm II. und die Freisinnigen und Ultramontanen.

pietätsvoll des entschlafenen Vaters gedacht hat, weist sie in wenigen, aber
viel sägenden Worten auf das Vorbild hin, das sich Wilhelm II. vor Augen
gestellt hat, das Vorbild, das Kaiser Wilhelm nach schweren Kriegen in
friedliebender Regierung seinen Nachfolgern hinterlassen und dem anch seines
hochseligen Herrn Vaters Regierung entsprochen hat, so weit die Bethätigung
seiner Absichten nicht durch Krankheit und Tod verhindert worden ist. Von
seinen Aufgaben nach außen und im Innern spricht der Kaiser ebenso aufrichtig
als klar und eignet sich insbesondre die am 17. November 1881 erlassene
Botschaft seines Großvaters an; Bestrebungen aber, die auf Zerstörung der
staatlichen Ordnung ausgehen, will er mit Festigkeit entgegentreten. Das
Bündnis mit Österreich-Ungarn und Italien wird als Grundlage des europäischen
Gleichgewichts und Friedens hingestellt, die persönliche Freundschaft mit dem
Kaiser von Rußland sowie die seit hundert Jahren bestehenden friedlichen
Beziehungen zu diesem Reiche werden erwähnt. Wenn dann der Kaiser am
Schlüsse die Zuversicht ausspricht, daß es uns für absehbare Zeiten vergönnt
sein werde, in friedlicher Arbeit zu wahren und zu festigen, was unter der
Leitung seiner beiden in Gott ruhenden Vorgänger kämpfend erstritten worden,
so hatte er dem deutschen Volke aus der Seele gesprochen. Es war ein dankens¬
wertes, ernstes Wort, das hier vor den Vertretern der deutschen Nation und
vor ihren Fürsten erklang, die sich zum erstenmale vor ihrem Kaiser scharten
und ihm in Anerkennung des Hvhenzollernerbrechts vor dem gesamten Aus¬
lande huldigten. Nach der Rede begrüßte der Kaiser seinen Kanzler in einer
so herzlichen Weise, daß der ganze Reichstag in eine freudige Erregung geriet.
Die Rede wurde durch eine Adresse, die in allen Punkten dem Kaiser beistimmte
und die einstimmig und debattelos angenommen wurde, beantwortet. Hierauf
wurde die Session im Auftrage des Kaisers sofort geschloffen.

Am 27. Juni wurde der Landtag eröffnet und vernahm die Thronrede
des Königs, die oft von lautem Beifall begleitet wurde. Sie enthielt das Vcr-
fassungsgelöbnis und entwarf dann in kurzen, markigen Zügen ein Regiernngs-
programm, worin die Regierung Wilhelms I. von König Wilhelm II. als Vorbild
aufgestellt wird. Von Bedeutung war die ausdrückliche Erklärung, daß der
König weit davon entfernt sei, das Vertrauen des Volkes auf Stetigkeit der
gesetzlichen Zustände durch Bestrebungen nach Erweiterung der Kronrechte
beunruhigen zu wollen. "Der gesetzliche Bestand meiner Rechte genügt, um
dem Staatsleben das Maß monarchischer Einwirknng zu sicher", welches Preußen
nach seiner geschichtlichen Entwicklung bedarf. Ich bin der Meinung, daß unsre
Verfassung eine gerechte und nützliche Verteilung der zur Mitwirkung berufenen
verschiedenen Gewalten im Staatsleben enthält." Weiter will der neue König
dem Vorbilde seiner Ahnherren darin folgen, daß er allen religiösen Bekenntnissen
in seinem Lande bei freier Ausübung des Glaubens seinen königlichen Schutz
angedeihen läßt. Die Beziehung des Staates zur katholischen Kirche betrachtet


Kaiser Wilhelm II. und die Freisinnigen und Ultramontanen.

pietätsvoll des entschlafenen Vaters gedacht hat, weist sie in wenigen, aber
viel sägenden Worten auf das Vorbild hin, das sich Wilhelm II. vor Augen
gestellt hat, das Vorbild, das Kaiser Wilhelm nach schweren Kriegen in
friedliebender Regierung seinen Nachfolgern hinterlassen und dem anch seines
hochseligen Herrn Vaters Regierung entsprochen hat, so weit die Bethätigung
seiner Absichten nicht durch Krankheit und Tod verhindert worden ist. Von
seinen Aufgaben nach außen und im Innern spricht der Kaiser ebenso aufrichtig
als klar und eignet sich insbesondre die am 17. November 1881 erlassene
Botschaft seines Großvaters an; Bestrebungen aber, die auf Zerstörung der
staatlichen Ordnung ausgehen, will er mit Festigkeit entgegentreten. Das
Bündnis mit Österreich-Ungarn und Italien wird als Grundlage des europäischen
Gleichgewichts und Friedens hingestellt, die persönliche Freundschaft mit dem
Kaiser von Rußland sowie die seit hundert Jahren bestehenden friedlichen
Beziehungen zu diesem Reiche werden erwähnt. Wenn dann der Kaiser am
Schlüsse die Zuversicht ausspricht, daß es uns für absehbare Zeiten vergönnt
sein werde, in friedlicher Arbeit zu wahren und zu festigen, was unter der
Leitung seiner beiden in Gott ruhenden Vorgänger kämpfend erstritten worden,
so hatte er dem deutschen Volke aus der Seele gesprochen. Es war ein dankens¬
wertes, ernstes Wort, das hier vor den Vertretern der deutschen Nation und
vor ihren Fürsten erklang, die sich zum erstenmale vor ihrem Kaiser scharten
und ihm in Anerkennung des Hvhenzollernerbrechts vor dem gesamten Aus¬
lande huldigten. Nach der Rede begrüßte der Kaiser seinen Kanzler in einer
so herzlichen Weise, daß der ganze Reichstag in eine freudige Erregung geriet.
Die Rede wurde durch eine Adresse, die in allen Punkten dem Kaiser beistimmte
und die einstimmig und debattelos angenommen wurde, beantwortet. Hierauf
wurde die Session im Auftrage des Kaisers sofort geschloffen.

Am 27. Juni wurde der Landtag eröffnet und vernahm die Thronrede
des Königs, die oft von lautem Beifall begleitet wurde. Sie enthielt das Vcr-
fassungsgelöbnis und entwarf dann in kurzen, markigen Zügen ein Regiernngs-
programm, worin die Regierung Wilhelms I. von König Wilhelm II. als Vorbild
aufgestellt wird. Von Bedeutung war die ausdrückliche Erklärung, daß der
König weit davon entfernt sei, das Vertrauen des Volkes auf Stetigkeit der
gesetzlichen Zustände durch Bestrebungen nach Erweiterung der Kronrechte
beunruhigen zu wollen. „Der gesetzliche Bestand meiner Rechte genügt, um
dem Staatsleben das Maß monarchischer Einwirknng zu sicher«, welches Preußen
nach seiner geschichtlichen Entwicklung bedarf. Ich bin der Meinung, daß unsre
Verfassung eine gerechte und nützliche Verteilung der zur Mitwirkung berufenen
verschiedenen Gewalten im Staatsleben enthält." Weiter will der neue König
dem Vorbilde seiner Ahnherren darin folgen, daß er allen religiösen Bekenntnissen
in seinem Lande bei freier Ausübung des Glaubens seinen königlichen Schutz
angedeihen läßt. Die Beziehung des Staates zur katholischen Kirche betrachtet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/588>, abgerufen am 29.06.2024.