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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Kaiser Wilhelm II. und die Freisinnigen und Ultrcnnontanen,

zugleich erlaube, von jeder Rücksicht auf die Nationalliberalen abzusehen. Leugnen
ließ sich außerdem nicht, daß die Klerikalkonservativen nach den liberalen Sitzen
in Hannover schielten und sogar mit den Welsen Fühlung suchten; dagegen
nahmen die Nationalliberalen aber die Miene an, als wollten sie in den öst¬
lichen Provinzen für sich Eroberungen machen. Alle solche Streifereien, die
das Aufgeben des Kartells zur Folge haben, sind gefährlich; es hat weiter
niemand Nutzen davon, als die Deutschfreisinnigen, die von dem Streite der
Mittelparteien Stärkung erfahren würden. Auch für den kommenden Landtag
mit seiner fünfjährigen Dauer ist noch immer eine gegen den Fortschritt ge¬
richtete Kartellpartei das beste. Hoffentlich trägt die Ernennung Bennigsens
zum Oberpräsidenten von Hannover zur Erhaltung der Kartcllmehrheit bei;
sie beweist den Hochkirchlichen, daß sie die Sehne nicht zu straff spannen
dürfen, umso mehr, als sie aus der eigensten Initiative des Kaisers hervor¬
gegangen ist. Demselben Zwecke der Dauer der bisherigen Mehrheit muß
auch die Ernennung des gemäßigten Bestrebungen zugethaner Ministers Her-
furth dienen.

Am 14. Juli trat der Kaiser seine Nordlandsfahrt an; er traf früh
neun Uhr in Kiel ein und begab sich sofort an Bord des "Hohenzollern."
Um elf Uhr stach die Kaiserjacht an der Spitze einer stolzen Armada in See.
Die stattliche Flotte bestand aus elf der schönsten Schiffe unsrer Marine, die
mit 102 schweren Geschützen und 3398 Köpfen bemannt waren. Auf dieser
Fahrt durchschnitt der Kaiser die Ostsee ihrer ganzen Breite nach, indem er
damit gewissermaßen von unserm Meere Besitz nahm. Vor allen andern deutschen
Kaisern, ja auch vor allen andern Hohenzollernfürsten liebt es dieser Kaiser,
Seeluft zu atmen; er weiß auch, was die See für die Entwicklung eines Volkes
zu Macht und Reichtum ist. Schon seine persönlichen Beziehungen, die er als
Prinz zur Flotte hatte, zeigten, daß er einst auch dieses Erbe des großen
Wilhelm, mit dem erst eine Kolonialpolitik möglich wurde, mit leidenschaftlicher
Liebe antreten würde. Und als Kaiser zeigte er seine Liebe zum Seewesen so¬
fort durch sein Wort an die Marine, wie dnrch die Berufung eines Fachmanns
an ihre Spitze. Wie nun jetzt der junge Kaiser in der Uniform eines Kontre-
admirals sein stolzes Geschwader durch die Fluten der Ostsee führte, da mußten
wir Treitschke Recht geben, wenn er in dem schönen Denkmal, das er den
beiden toten Kaisern gesetzt hat, sagt, daß die Nation mit hoffenden Vertrauen
ihre Augen auf ihren jungen kaiserlichen Herrn wende. "Alles, was er bisher
zu seinem Volke sprach, atmete Kraft und Mut, Frömmigkeit und Gerechtig¬
keit. Wir wissen jetzt, daß der gute Geist der Wilhelminischen Zeiten dem Reiche
unverloren bleibt." Schon setzte sich das Wort des jungen Monarchen in
Thaten um. Mit hoher Freude sah das ganze deutsche Volk seinen Kaiser dem
Zaren seinen Gruß bringen; es hoffte, daß es ein Friedensgruß sein werde.
Hüben und drüben, in Deutschland und in Nußland, gab es freilich Leute


Kaiser Wilhelm II. und die Freisinnigen und Ultrcnnontanen,

zugleich erlaube, von jeder Rücksicht auf die Nationalliberalen abzusehen. Leugnen
ließ sich außerdem nicht, daß die Klerikalkonservativen nach den liberalen Sitzen
in Hannover schielten und sogar mit den Welsen Fühlung suchten; dagegen
nahmen die Nationalliberalen aber die Miene an, als wollten sie in den öst¬
lichen Provinzen für sich Eroberungen machen. Alle solche Streifereien, die
das Aufgeben des Kartells zur Folge haben, sind gefährlich; es hat weiter
niemand Nutzen davon, als die Deutschfreisinnigen, die von dem Streite der
Mittelparteien Stärkung erfahren würden. Auch für den kommenden Landtag
mit seiner fünfjährigen Dauer ist noch immer eine gegen den Fortschritt ge¬
richtete Kartellpartei das beste. Hoffentlich trägt die Ernennung Bennigsens
zum Oberpräsidenten von Hannover zur Erhaltung der Kartcllmehrheit bei;
sie beweist den Hochkirchlichen, daß sie die Sehne nicht zu straff spannen
dürfen, umso mehr, als sie aus der eigensten Initiative des Kaisers hervor¬
gegangen ist. Demselben Zwecke der Dauer der bisherigen Mehrheit muß
auch die Ernennung des gemäßigten Bestrebungen zugethaner Ministers Her-
furth dienen.

Am 14. Juli trat der Kaiser seine Nordlandsfahrt an; er traf früh
neun Uhr in Kiel ein und begab sich sofort an Bord des „Hohenzollern."
Um elf Uhr stach die Kaiserjacht an der Spitze einer stolzen Armada in See.
Die stattliche Flotte bestand aus elf der schönsten Schiffe unsrer Marine, die
mit 102 schweren Geschützen und 3398 Köpfen bemannt waren. Auf dieser
Fahrt durchschnitt der Kaiser die Ostsee ihrer ganzen Breite nach, indem er
damit gewissermaßen von unserm Meere Besitz nahm. Vor allen andern deutschen
Kaisern, ja auch vor allen andern Hohenzollernfürsten liebt es dieser Kaiser,
Seeluft zu atmen; er weiß auch, was die See für die Entwicklung eines Volkes
zu Macht und Reichtum ist. Schon seine persönlichen Beziehungen, die er als
Prinz zur Flotte hatte, zeigten, daß er einst auch dieses Erbe des großen
Wilhelm, mit dem erst eine Kolonialpolitik möglich wurde, mit leidenschaftlicher
Liebe antreten würde. Und als Kaiser zeigte er seine Liebe zum Seewesen so¬
fort durch sein Wort an die Marine, wie dnrch die Berufung eines Fachmanns
an ihre Spitze. Wie nun jetzt der junge Kaiser in der Uniform eines Kontre-
admirals sein stolzes Geschwader durch die Fluten der Ostsee führte, da mußten
wir Treitschke Recht geben, wenn er in dem schönen Denkmal, das er den
beiden toten Kaisern gesetzt hat, sagt, daß die Nation mit hoffenden Vertrauen
ihre Augen auf ihren jungen kaiserlichen Herrn wende. „Alles, was er bisher
zu seinem Volke sprach, atmete Kraft und Mut, Frömmigkeit und Gerechtig¬
keit. Wir wissen jetzt, daß der gute Geist der Wilhelminischen Zeiten dem Reiche
unverloren bleibt." Schon setzte sich das Wort des jungen Monarchen in
Thaten um. Mit hoher Freude sah das ganze deutsche Volk seinen Kaiser dem
Zaren seinen Gruß bringen; es hoffte, daß es ein Friedensgruß sein werde.
Hüben und drüben, in Deutschland und in Nußland, gab es freilich Leute


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[0590] Kaiser Wilhelm II. und die Freisinnigen und Ultrcnnontanen, zugleich erlaube, von jeder Rücksicht auf die Nationalliberalen abzusehen. Leugnen ließ sich außerdem nicht, daß die Klerikalkonservativen nach den liberalen Sitzen in Hannover schielten und sogar mit den Welsen Fühlung suchten; dagegen nahmen die Nationalliberalen aber die Miene an, als wollten sie in den öst¬ lichen Provinzen für sich Eroberungen machen. Alle solche Streifereien, die das Aufgeben des Kartells zur Folge haben, sind gefährlich; es hat weiter niemand Nutzen davon, als die Deutschfreisinnigen, die von dem Streite der Mittelparteien Stärkung erfahren würden. Auch für den kommenden Landtag mit seiner fünfjährigen Dauer ist noch immer eine gegen den Fortschritt ge¬ richtete Kartellpartei das beste. Hoffentlich trägt die Ernennung Bennigsens zum Oberpräsidenten von Hannover zur Erhaltung der Kartcllmehrheit bei; sie beweist den Hochkirchlichen, daß sie die Sehne nicht zu straff spannen dürfen, umso mehr, als sie aus der eigensten Initiative des Kaisers hervor¬ gegangen ist. Demselben Zwecke der Dauer der bisherigen Mehrheit muß auch die Ernennung des gemäßigten Bestrebungen zugethaner Ministers Her- furth dienen. Am 14. Juli trat der Kaiser seine Nordlandsfahrt an; er traf früh neun Uhr in Kiel ein und begab sich sofort an Bord des „Hohenzollern." Um elf Uhr stach die Kaiserjacht an der Spitze einer stolzen Armada in See. Die stattliche Flotte bestand aus elf der schönsten Schiffe unsrer Marine, die mit 102 schweren Geschützen und 3398 Köpfen bemannt waren. Auf dieser Fahrt durchschnitt der Kaiser die Ostsee ihrer ganzen Breite nach, indem er damit gewissermaßen von unserm Meere Besitz nahm. Vor allen andern deutschen Kaisern, ja auch vor allen andern Hohenzollernfürsten liebt es dieser Kaiser, Seeluft zu atmen; er weiß auch, was die See für die Entwicklung eines Volkes zu Macht und Reichtum ist. Schon seine persönlichen Beziehungen, die er als Prinz zur Flotte hatte, zeigten, daß er einst auch dieses Erbe des großen Wilhelm, mit dem erst eine Kolonialpolitik möglich wurde, mit leidenschaftlicher Liebe antreten würde. Und als Kaiser zeigte er seine Liebe zum Seewesen so¬ fort durch sein Wort an die Marine, wie dnrch die Berufung eines Fachmanns an ihre Spitze. Wie nun jetzt der junge Kaiser in der Uniform eines Kontre- admirals sein stolzes Geschwader durch die Fluten der Ostsee führte, da mußten wir Treitschke Recht geben, wenn er in dem schönen Denkmal, das er den beiden toten Kaisern gesetzt hat, sagt, daß die Nation mit hoffenden Vertrauen ihre Augen auf ihren jungen kaiserlichen Herrn wende. „Alles, was er bisher zu seinem Volke sprach, atmete Kraft und Mut, Frömmigkeit und Gerechtig¬ keit. Wir wissen jetzt, daß der gute Geist der Wilhelminischen Zeiten dem Reiche unverloren bleibt." Schon setzte sich das Wort des jungen Monarchen in Thaten um. Mit hoher Freude sah das ganze deutsche Volk seinen Kaiser dem Zaren seinen Gruß bringen; es hoffte, daß es ein Friedensgruß sein werde. Hüben und drüben, in Deutschland und in Nußland, gab es freilich Leute

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/590>, abgerufen am 03.07.2024.