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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Kaiser Wilhelm II. und die Freisinnigen und Ultramontanen.

hinreichend verständlichen, in das Programm Friedrichs aufgenommenen Satze
von der religiösen Duldung sowohl von seiten der Irreligiosität wie von selten
des Ultramontanismus zu teil ward, die für die ungemessensten Bestrebungen
nun breiten Boden zu haben glaubten, kann an diesen aus dem Herzen quellenden
Worten ihr Spiel schwerlich treiben. Auch gegenüber dem Auslande waren die
Worte des neuen Herrschers ebenso klar und bestimmt als sicher. Bei dieser
Sicherheit unsrer politischen Leitung war die Versicherung des N6ro.orig,1 clixlo-
niÄtiqns fast possirlich, daß "der Prinz von Wales einen vorherrschenden Einfluß
auf die politischen Kreise Berlins übe und daß seine Anwesenheit in der Reichs¬
hauptstadt unbedingt notwendig sei vom Standpunkte der kaiserlichen Familie
aus wie von dem der gegenwärtigen Politik und der zukünftigen Ereignisse."
Dit lieber Gott! der Prinz von Wales, dem "die Kleider nicht mehr fesch
sitzen," wie er neulich seinem "Tailleur" selbst gestanden hat, weil er zu dick
geworden ist!

Den Tag der Beisetzung Kaiser Friedrichs benutzte das Hauptorgan der
Fortschrittspartei, um wahre Orgien voll wütenden Preußenhasses zu begehen.
Die Volkszeitung brachte einen Artikel: "Kaiser Friedrichs Leichenfeier." Darin
heißt es: "Es ist der Tag von Kollin und der Tag von Waterloo, an welchem
Kaiser Friedrich zur ewigen Ruhe gebettet wird, ein Tag, wie kein andrer
geeignet, an die Vergänglichkeit aller irdischen Herrlichkeit zu denken." Daß es
auch der Tag von Fehrbellin war, mußte verschwiegen werden; es konnte das
ja vielleicht auch patriotische Erhebung mit hervorrufen. Kollin aber, das demütigt;
denn daß auf Kollin Roßbach und Leuthen folgt, daran braucht ja nicht
erinnert zu werden. Aber was thut man mit Waterloo? O, Waterloo paßt
ganz gut zu Kollin; denn "die beiden größten Eroberer und Kriegshelden,
welche die beiden letzten Jahrhunderte gesehen haben, fanden an diesem Tage
die schwere Züchtigung des Übermutes, der auf die Macht der Waffen als auf
die einzige Quelle des Rechtes pocht." Waterloo mahnt den Preußen nicht
etwa daran, daß sich hier die edelste Kraft des Preußenvolkes in seinem tod¬
müden und doch noch todesmutigen Heere in wunderbar stolzer Herrlichkeit zeigt,
sondern der Tag von Waterloo war "ein Tag der ewigen Verdammnis für die
Liebe zum Kriege, welche die edelste Kraft der Völker unter gleißend leeren
Schlagworten von Ehre und Ruhm in Molochs unersättlichen Rachen
schleudert." Und diese Lehre sollen "unsre Väter und Großväter noch am
eignen Leibe erfahren" haben. Aus diesem kraftlosen Geschreibsel kann nur
entnommen werden, daß dieser Molochhasser an Väter und Großväter denkt,
die am Tage von Waterloo vielleicht ihr Geschäftchen noch in Russisch-Polen
gemacht haben.

Am 25. Juni begrüßte Kaiser Wilhelm, umgeben von den deutschen Fürsten,
den deutschen Reichstag mit einer Ansprache, die einerseits eine starke Friedens¬
kundgebung, anderseits die festeste Entschlossenheit zeigte. Nachdem die Rede


Kaiser Wilhelm II. und die Freisinnigen und Ultramontanen.

hinreichend verständlichen, in das Programm Friedrichs aufgenommenen Satze
von der religiösen Duldung sowohl von seiten der Irreligiosität wie von selten
des Ultramontanismus zu teil ward, die für die ungemessensten Bestrebungen
nun breiten Boden zu haben glaubten, kann an diesen aus dem Herzen quellenden
Worten ihr Spiel schwerlich treiben. Auch gegenüber dem Auslande waren die
Worte des neuen Herrschers ebenso klar und bestimmt als sicher. Bei dieser
Sicherheit unsrer politischen Leitung war die Versicherung des N6ro.orig,1 clixlo-
niÄtiqns fast possirlich, daß „der Prinz von Wales einen vorherrschenden Einfluß
auf die politischen Kreise Berlins übe und daß seine Anwesenheit in der Reichs¬
hauptstadt unbedingt notwendig sei vom Standpunkte der kaiserlichen Familie
aus wie von dem der gegenwärtigen Politik und der zukünftigen Ereignisse."
Dit lieber Gott! der Prinz von Wales, dem „die Kleider nicht mehr fesch
sitzen," wie er neulich seinem „Tailleur" selbst gestanden hat, weil er zu dick
geworden ist!

Den Tag der Beisetzung Kaiser Friedrichs benutzte das Hauptorgan der
Fortschrittspartei, um wahre Orgien voll wütenden Preußenhasses zu begehen.
Die Volkszeitung brachte einen Artikel: „Kaiser Friedrichs Leichenfeier." Darin
heißt es: „Es ist der Tag von Kollin und der Tag von Waterloo, an welchem
Kaiser Friedrich zur ewigen Ruhe gebettet wird, ein Tag, wie kein andrer
geeignet, an die Vergänglichkeit aller irdischen Herrlichkeit zu denken." Daß es
auch der Tag von Fehrbellin war, mußte verschwiegen werden; es konnte das
ja vielleicht auch patriotische Erhebung mit hervorrufen. Kollin aber, das demütigt;
denn daß auf Kollin Roßbach und Leuthen folgt, daran braucht ja nicht
erinnert zu werden. Aber was thut man mit Waterloo? O, Waterloo paßt
ganz gut zu Kollin; denn „die beiden größten Eroberer und Kriegshelden,
welche die beiden letzten Jahrhunderte gesehen haben, fanden an diesem Tage
die schwere Züchtigung des Übermutes, der auf die Macht der Waffen als auf
die einzige Quelle des Rechtes pocht." Waterloo mahnt den Preußen nicht
etwa daran, daß sich hier die edelste Kraft des Preußenvolkes in seinem tod¬
müden und doch noch todesmutigen Heere in wunderbar stolzer Herrlichkeit zeigt,
sondern der Tag von Waterloo war „ein Tag der ewigen Verdammnis für die
Liebe zum Kriege, welche die edelste Kraft der Völker unter gleißend leeren
Schlagworten von Ehre und Ruhm in Molochs unersättlichen Rachen
schleudert." Und diese Lehre sollen „unsre Väter und Großväter noch am
eignen Leibe erfahren" haben. Aus diesem kraftlosen Geschreibsel kann nur
entnommen werden, daß dieser Molochhasser an Väter und Großväter denkt,
die am Tage von Waterloo vielleicht ihr Geschäftchen noch in Russisch-Polen
gemacht haben.

Am 25. Juni begrüßte Kaiser Wilhelm, umgeben von den deutschen Fürsten,
den deutschen Reichstag mit einer Ansprache, die einerseits eine starke Friedens¬
kundgebung, anderseits die festeste Entschlossenheit zeigte. Nachdem die Rede


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/587>, abgerufen am 26.06.2024.