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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Tyhne.

Und nachdem ihr im Laufe der Zeit das Neue heimisch, geläufig geworden war,
wurde sie in hohem Grade unduldsam und fanatisch, wie es stets mit den jugend¬
lichsten Jüngern zu gehen Pflegt, die ihren Meister am glühendsten lieben.
Ricks tadelte sie oft, aber das konnte sie nun einmal nicht begreifen, wenn das
Ihre das Wahre sei, daß dann das der andern nicht abscheulich und lasterhaft sei.

Drei Jahre lang lebten sie ein glückliches Leben mit einander, und ein
gutes Teil des Glückes strahlte aus einem kleinen Kinderantlitz, dem Antlitz
eines kleinen Knaben, den sie im zweiten Jahre ihrer Ehe bekommen hatten.

Das Glück macht die Menschen im allgemeinen gut, und Ricks strebte
ehrlich und nach besten Kräften, ihr Leben so edel, so schön und so nützlich zu
gestalten, daß niemals ein Stillstand eintreten möchte in dem Wachstum ihrer
Seelen zu jenem Menschenideal, an das sie beide glaubten. Aber es war bei
ihm nie mehr die Rede von dem Gedanken, die Fahne der Idee unter die
Menschheit hinaufzutragen, es genügte ihm, ihr zu folgen. Es konnte wohl
hin und wieder einmal vorkommen, daß er die alten Versuche wieder hervor¬
holte, aber er wunderte sich stets darüber, daß wirklich er es war, der alle
diese schönen kunstfertigen Dinge geschrieben hatte, und regelmäßig traten ihm
beim Lesen seiner eignen Werke die Thränen in die Augen. Er hätte aber nicht
um alle Schätze der Welt mit dem Ärmsten tauschen mögen, der sie ge¬
schrieben hätte.

Da plötzlich, im Frühling, erkrankte Gerda so heftig, daß jede Hoffnung
auf Genesung ausgeschlossen war.

Eines Morgens in der Frühe -- es war ihre letzte Nacht -- wachte
Ricks an ihrem Bette. Die Sonne war im Aufgehen begriffen und warf einen
rosigen Schimmer auf die weißen Rouleaus, während das Morgenlicht, das
an der Seite durch die Gardinen drang, noch blau war und den Schatten
zwischen den weißen Falten des Bettes und unter Gerdas weißen, schmalen
Händen, die gefaltet vor ihr auf dem Betttuchs lagen, blau färbte. Die Nacht¬
haube war ihr heruntergeglitten, und sie lag mit dem Kopfe weit hintenüber-
gclehnt da, völlig verändert, wunderbar vornehm durch die scharfen, spitzen
Züge, die ihr die Krankheit verliehen hatte! Sie bewegte die Lippen, als wollte
sie sie netzen, und Ricks griff nach dem Glase mit dem dunkelroten Trank; sie
aber schüttelte verneinend ihr Haupt. Dann wandte sie plötzlich ihr Antlitz
nach ihm um und starrte angestrengt in seine kummervollen Züge. Je länger
sie den ganzen, tiefen Kummer ansah, den diese Züge ausdrückten, die ganze
Hoffnungslosigkeit, die sich in ihnen abspiegelte, desto mehr verwandelten sich
ihre schrecklichen Ahnungen in furchtbare Gewißheit.

Sie bemühte sich, sich aufzurichten, es war ihr aber nicht möglich.

Ricks beugte sich hastig über sie, und sie ergriff seine Hand.

Ist das der Tod? fragte sie, ihre schwache Stimme dämpfend, wie um es
nicht allzu deutlich auszusprechen.


Ricks Tyhne.

Und nachdem ihr im Laufe der Zeit das Neue heimisch, geläufig geworden war,
wurde sie in hohem Grade unduldsam und fanatisch, wie es stets mit den jugend¬
lichsten Jüngern zu gehen Pflegt, die ihren Meister am glühendsten lieben.
Ricks tadelte sie oft, aber das konnte sie nun einmal nicht begreifen, wenn das
Ihre das Wahre sei, daß dann das der andern nicht abscheulich und lasterhaft sei.

Drei Jahre lang lebten sie ein glückliches Leben mit einander, und ein
gutes Teil des Glückes strahlte aus einem kleinen Kinderantlitz, dem Antlitz
eines kleinen Knaben, den sie im zweiten Jahre ihrer Ehe bekommen hatten.

Das Glück macht die Menschen im allgemeinen gut, und Ricks strebte
ehrlich und nach besten Kräften, ihr Leben so edel, so schön und so nützlich zu
gestalten, daß niemals ein Stillstand eintreten möchte in dem Wachstum ihrer
Seelen zu jenem Menschenideal, an das sie beide glaubten. Aber es war bei
ihm nie mehr die Rede von dem Gedanken, die Fahne der Idee unter die
Menschheit hinaufzutragen, es genügte ihm, ihr zu folgen. Es konnte wohl
hin und wieder einmal vorkommen, daß er die alten Versuche wieder hervor¬
holte, aber er wunderte sich stets darüber, daß wirklich er es war, der alle
diese schönen kunstfertigen Dinge geschrieben hatte, und regelmäßig traten ihm
beim Lesen seiner eignen Werke die Thränen in die Augen. Er hätte aber nicht
um alle Schätze der Welt mit dem Ärmsten tauschen mögen, der sie ge¬
schrieben hätte.

Da plötzlich, im Frühling, erkrankte Gerda so heftig, daß jede Hoffnung
auf Genesung ausgeschlossen war.

Eines Morgens in der Frühe — es war ihre letzte Nacht — wachte
Ricks an ihrem Bette. Die Sonne war im Aufgehen begriffen und warf einen
rosigen Schimmer auf die weißen Rouleaus, während das Morgenlicht, das
an der Seite durch die Gardinen drang, noch blau war und den Schatten
zwischen den weißen Falten des Bettes und unter Gerdas weißen, schmalen
Händen, die gefaltet vor ihr auf dem Betttuchs lagen, blau färbte. Die Nacht¬
haube war ihr heruntergeglitten, und sie lag mit dem Kopfe weit hintenüber-
gclehnt da, völlig verändert, wunderbar vornehm durch die scharfen, spitzen
Züge, die ihr die Krankheit verliehen hatte! Sie bewegte die Lippen, als wollte
sie sie netzen, und Ricks griff nach dem Glase mit dem dunkelroten Trank; sie
aber schüttelte verneinend ihr Haupt. Dann wandte sie plötzlich ihr Antlitz
nach ihm um und starrte angestrengt in seine kummervollen Züge. Je länger
sie den ganzen, tiefen Kummer ansah, den diese Züge ausdrückten, die ganze
Hoffnungslosigkeit, die sich in ihnen abspiegelte, desto mehr verwandelten sich
ihre schrecklichen Ahnungen in furchtbare Gewißheit.

Sie bemühte sich, sich aufzurichten, es war ihr aber nicht möglich.

Ricks beugte sich hastig über sie, und sie ergriff seine Hand.

Ist das der Tod? fragte sie, ihre schwache Stimme dämpfend, wie um es
nicht allzu deutlich auszusprechen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/568>, abgerufen am 22.07.2024.