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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur landwirtschaftlichen Notlage.

in die Städte zurückzuhalten. Der höhere Betrag für eine derartige Gesinde¬
beschaffung wird reichlich aufgewogen durch die Erhaltung der auf ihre An-
stelligkeit erprobte" Personen und die Zufriedenheit, die sich auf die gesamte
Arbeiterwelt des Gutes übertrüge.

Eine befriedigende Beseitigung des herrschenden ländlichen Arbeitermangels
ist meiner Ansicht nach allein durch eine gründliche innere Kolonisation zu er¬
reichen mittels Schaffung kleiner, ja kleinster Hänslerstellen. Es wären dafür
Stellen zu gründen, deren mäßige Größe und bescheidner Ertragswert nötigt,
einen wesentlichen Teil von seinem und seiner Familie Lebensbedarf aus dem¬
jenigen Einkommen zu ziehen, das ihm diese Beschäftigung außerhalb, aber doch
am Orte seiner kleinen Wirtschaft gewährt. Diese Arbeiterivirtschaften dürften
daher nur einen Ertragswert von 200 bis etwa 300 Mark haben, und sollten
deshalb nicht größer sein, als daß sie 2, höchstens 3 Hektaren Acker- und viel¬
leicht i/z Hektar an Wiesenland umfaßten, so, daß kein andres Zugvieh als die
beiden Nutzkühe deS Besitzers gehalten werden könnte. Ferner sollte bei der
Herrichtung derselben darauf Rücksicht genommen werden, daß Wohnung, Stallung
und Scheunenraum nach niederdeutscher Art unter einem Dache bereitet würden,
und endlich, daß die kleinen Arbeiterstellen, namentlich mit den Gebäuden, aber
auch mit dem Lande derartig gestellt würden, daß dereinst zwei oder drei derselben
vereinigt werden könnten. Es würde damit einer spätern Bildung von eigent¬
lichen Bauernwirtschaften vorgearbeitet werden, denn das Größere erbaut sich
demi Bedarf entsprechend zweckmäßig immer erst aus dem Kleinen heraus.

Bei der Neugestaltung derartiger Wirtschaften würde es ferner angemessen
sein, eine gewisse Fürsorge zu treffen, daß sie nicht etwa die Grundlage für ein
späteres Proletariat abgeben. Es müßte zu diesem Zwecke jeder Stelle außer
ihrer Unteilbarkeit die Verpflichtung auferlegt sein, daß sie nur von einer
Familie und deren Angehörigen in Anspruch genommen, daß also niemals noch
einer andern Familie das Recht zum Wohnsitze darauf gewährt werden dürfe.

Ich verkenne es nicht, daß mir von seiten des Staates der Vorwurf einer
spätern Bildung von ländlichem Proletariat gemacht werden kann und daß
deshalb dem Projekt nicht ausreichend beigetreten werden möchte. Aber eine
reiche und langjährige Erfahrung hat mir dargethan, daß dem nicht so ist, daß
vielmehr Wohlstand und Zufriedenheit in die ländlichen Arbeiterkreise damit
einkehren.

Ich hatte in meiner Jugend eine größere Pachtung mit dürftigem Boden,
in armer Gegend, wo ein nicht unerheblicher Teil der Äcker wegen tiefer, un¬
entwässerbarer Lage nicht von mir selbst bebaut werden konnte. Er wurde
von mir an die kleinen Leute und Arbeiter des Ortes in Afterpacht ge¬
geben, und dies war nun die Veranlassung, daß auf diesen mir und meinen
Vorgängern nicht nutzbaren Flächen sich eine Kultur entwickelte, die, ähnlich der
belgischen, meine höchste Achtung herausforderte. Bei meinem Abschiede wurde


Zur landwirtschaftlichen Notlage.

in die Städte zurückzuhalten. Der höhere Betrag für eine derartige Gesinde¬
beschaffung wird reichlich aufgewogen durch die Erhaltung der auf ihre An-
stelligkeit erprobte» Personen und die Zufriedenheit, die sich auf die gesamte
Arbeiterwelt des Gutes übertrüge.

Eine befriedigende Beseitigung des herrschenden ländlichen Arbeitermangels
ist meiner Ansicht nach allein durch eine gründliche innere Kolonisation zu er¬
reichen mittels Schaffung kleiner, ja kleinster Hänslerstellen. Es wären dafür
Stellen zu gründen, deren mäßige Größe und bescheidner Ertragswert nötigt,
einen wesentlichen Teil von seinem und seiner Familie Lebensbedarf aus dem¬
jenigen Einkommen zu ziehen, das ihm diese Beschäftigung außerhalb, aber doch
am Orte seiner kleinen Wirtschaft gewährt. Diese Arbeiterivirtschaften dürften
daher nur einen Ertragswert von 200 bis etwa 300 Mark haben, und sollten
deshalb nicht größer sein, als daß sie 2, höchstens 3 Hektaren Acker- und viel¬
leicht i/z Hektar an Wiesenland umfaßten, so, daß kein andres Zugvieh als die
beiden Nutzkühe deS Besitzers gehalten werden könnte. Ferner sollte bei der
Herrichtung derselben darauf Rücksicht genommen werden, daß Wohnung, Stallung
und Scheunenraum nach niederdeutscher Art unter einem Dache bereitet würden,
und endlich, daß die kleinen Arbeiterstellen, namentlich mit den Gebäuden, aber
auch mit dem Lande derartig gestellt würden, daß dereinst zwei oder drei derselben
vereinigt werden könnten. Es würde damit einer spätern Bildung von eigent¬
lichen Bauernwirtschaften vorgearbeitet werden, denn das Größere erbaut sich
demi Bedarf entsprechend zweckmäßig immer erst aus dem Kleinen heraus.

Bei der Neugestaltung derartiger Wirtschaften würde es ferner angemessen
sein, eine gewisse Fürsorge zu treffen, daß sie nicht etwa die Grundlage für ein
späteres Proletariat abgeben. Es müßte zu diesem Zwecke jeder Stelle außer
ihrer Unteilbarkeit die Verpflichtung auferlegt sein, daß sie nur von einer
Familie und deren Angehörigen in Anspruch genommen, daß also niemals noch
einer andern Familie das Recht zum Wohnsitze darauf gewährt werden dürfe.

Ich verkenne es nicht, daß mir von seiten des Staates der Vorwurf einer
spätern Bildung von ländlichem Proletariat gemacht werden kann und daß
deshalb dem Projekt nicht ausreichend beigetreten werden möchte. Aber eine
reiche und langjährige Erfahrung hat mir dargethan, daß dem nicht so ist, daß
vielmehr Wohlstand und Zufriedenheit in die ländlichen Arbeiterkreise damit
einkehren.

Ich hatte in meiner Jugend eine größere Pachtung mit dürftigem Boden,
in armer Gegend, wo ein nicht unerheblicher Teil der Äcker wegen tiefer, un¬
entwässerbarer Lage nicht von mir selbst bebaut werden konnte. Er wurde
von mir an die kleinen Leute und Arbeiter des Ortes in Afterpacht ge¬
geben, und dies war nun die Veranlassung, daß auf diesen mir und meinen
Vorgängern nicht nutzbaren Flächen sich eine Kultur entwickelte, die, ähnlich der
belgischen, meine höchste Achtung herausforderte. Bei meinem Abschiede wurde


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[0551] Zur landwirtschaftlichen Notlage. in die Städte zurückzuhalten. Der höhere Betrag für eine derartige Gesinde¬ beschaffung wird reichlich aufgewogen durch die Erhaltung der auf ihre An- stelligkeit erprobte» Personen und die Zufriedenheit, die sich auf die gesamte Arbeiterwelt des Gutes übertrüge. Eine befriedigende Beseitigung des herrschenden ländlichen Arbeitermangels ist meiner Ansicht nach allein durch eine gründliche innere Kolonisation zu er¬ reichen mittels Schaffung kleiner, ja kleinster Hänslerstellen. Es wären dafür Stellen zu gründen, deren mäßige Größe und bescheidner Ertragswert nötigt, einen wesentlichen Teil von seinem und seiner Familie Lebensbedarf aus dem¬ jenigen Einkommen zu ziehen, das ihm diese Beschäftigung außerhalb, aber doch am Orte seiner kleinen Wirtschaft gewährt. Diese Arbeiterivirtschaften dürften daher nur einen Ertragswert von 200 bis etwa 300 Mark haben, und sollten deshalb nicht größer sein, als daß sie 2, höchstens 3 Hektaren Acker- und viel¬ leicht i/z Hektar an Wiesenland umfaßten, so, daß kein andres Zugvieh als die beiden Nutzkühe deS Besitzers gehalten werden könnte. Ferner sollte bei der Herrichtung derselben darauf Rücksicht genommen werden, daß Wohnung, Stallung und Scheunenraum nach niederdeutscher Art unter einem Dache bereitet würden, und endlich, daß die kleinen Arbeiterstellen, namentlich mit den Gebäuden, aber auch mit dem Lande derartig gestellt würden, daß dereinst zwei oder drei derselben vereinigt werden könnten. Es würde damit einer spätern Bildung von eigent¬ lichen Bauernwirtschaften vorgearbeitet werden, denn das Größere erbaut sich demi Bedarf entsprechend zweckmäßig immer erst aus dem Kleinen heraus. Bei der Neugestaltung derartiger Wirtschaften würde es ferner angemessen sein, eine gewisse Fürsorge zu treffen, daß sie nicht etwa die Grundlage für ein späteres Proletariat abgeben. Es müßte zu diesem Zwecke jeder Stelle außer ihrer Unteilbarkeit die Verpflichtung auferlegt sein, daß sie nur von einer Familie und deren Angehörigen in Anspruch genommen, daß also niemals noch einer andern Familie das Recht zum Wohnsitze darauf gewährt werden dürfe. Ich verkenne es nicht, daß mir von seiten des Staates der Vorwurf einer spätern Bildung von ländlichem Proletariat gemacht werden kann und daß deshalb dem Projekt nicht ausreichend beigetreten werden möchte. Aber eine reiche und langjährige Erfahrung hat mir dargethan, daß dem nicht so ist, daß vielmehr Wohlstand und Zufriedenheit in die ländlichen Arbeiterkreise damit einkehren. Ich hatte in meiner Jugend eine größere Pachtung mit dürftigem Boden, in armer Gegend, wo ein nicht unerheblicher Teil der Äcker wegen tiefer, un¬ entwässerbarer Lage nicht von mir selbst bebaut werden konnte. Er wurde von mir an die kleinen Leute und Arbeiter des Ortes in Afterpacht ge¬ geben, und dies war nun die Veranlassung, daß auf diesen mir und meinen Vorgängern nicht nutzbaren Flächen sich eine Kultur entwickelte, die, ähnlich der belgischen, meine höchste Achtung herausforderte. Bei meinem Abschiede wurde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/551>, abgerufen am 22.07.2024.