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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur landwirtschaftlichen Notlage.

im Vieh, der sorgsamen Pflege des Gesindes überwiesen werden müssen, wie
abhängig Kultur und Ertrag überhaupt von einem auf der Scholle eingelebten
Gesinde- und Arbeiterstande sind, dann wird man den schweren Druck dieses
Übels ermessen können. Dieses Übel entspringt nun aber nicht bloß daraus,
daß der erwähnte Umzug in der Hoffnung auf bessere Löhne und die größern
Annehmlichkeiten des Lebens in der Stadt gemacht wird -- denn die erstern
sind bei genauer Erwägung aller Umstände nicht mehr so verschieden zwischen
Land und Stadt, als sie es in frühern Zeiten waren, und die letztern, die er¬
träumten Annehmlichkeiten, gehen mit dem Zuwachs der Familie gar bald ver¬
loren --, sondern das Übel kommt hauptsächlich daher, daß dem jungen, kräftigen
Arbeiter, der es durch Arbeit und Dienst, auch durch Erheiratung :c. zu etwas
Vermögen gebracht hat, nicht ermöglicht ist, sich auf dem Lande in eigner kleiner
Wirtschaft seßhaft zu machen. Wäre dem fleißigen Arbeiter die Gelegenheit
mehr geboten, sich, wenn auch nur im bescheidensten Maße, auf kleiner Scholle
selbständig zu machen, so würde der arge, immer mehr zunehmende Übelstand
zum Aufhören kommen.

Staat, Städte und Landwirtschaft haben die allerdringendste Veranlassung,
hierfür Hilfe zu schaffen. Der Staat, indem er sich eine körperlich und geistig
kräftige Bevölkerung auf dem Lande erhält, die ihm einen allezeit tüchtigen
Stamm für das Militär und seine monarchische Zukunft abgiebt; die Städte,
um ihr immer mehr anschwellendes Armenbudget zu vermindern; die Landwirt¬
schaft, indem sie sich unabhängig von den äußern Verhältnissen stellt und sich
stützt auf eine Bevölkerung, die ihr durch Erziehung und Ausbildung nahe steht.

Wir müssen nun einmal erkennen und daran festhalten, daß wir einer ganz
neuen Zukunft entgegentreiben, und daß wir mit allen Mitteln nicht mehr im¬
stande sind, die altgewohnten Verhältnisse andauernd aufrecht zu erhalten. Zu
solchen gehört unzweifelhaft dasjenige unsers Dienstpersonnls. Es werden die
Zeiten kommen, und sie sind vielfach schon vorhanden, wo der Grundbesitzer
sein Gesinde sich nur aus dem Arbeiterstande seines Ortes beschaffen kann, wo
dasselbe in der elterlichen Familie bleibt, wo also elterlicher Zwang und der
Drang des Familienlebens in Anspruch genommen werden muß, um das jüngere
Glied desselben an Haus und Ort festzuhalten.

Hat der Grundbesitzer tüchtige Arbeiterfamilien in auskömmlichen Woh¬
nungen, so ist er in der Lage, sich sein Gesinde angemessen zu beschaffen. Es
gehört freilich dazu, daß er eine Kleinigkeit mehr an Kosten aufwende als
bisher, damit auch Eltern und Angehörige von dem dienstlichen Einkommen
Nutzen ziehen. Gewöhnlich genügt es aber schon, daß man dem unverheirateten
Gesinde dasselbe an Lohn, Kost und andern Einkünften gewährt, was sonst
nur das verheiratete Gesinde bekommen würde. Dadurch fällt für Eltern und
Angehörige so viel ab, um diese zu bestimmen, ihre Kinder von anderweitiger
Vermietung und namentlich dem für die Mädchen häufig so verderblichen Abzug


Zur landwirtschaftlichen Notlage.

im Vieh, der sorgsamen Pflege des Gesindes überwiesen werden müssen, wie
abhängig Kultur und Ertrag überhaupt von einem auf der Scholle eingelebten
Gesinde- und Arbeiterstande sind, dann wird man den schweren Druck dieses
Übels ermessen können. Dieses Übel entspringt nun aber nicht bloß daraus,
daß der erwähnte Umzug in der Hoffnung auf bessere Löhne und die größern
Annehmlichkeiten des Lebens in der Stadt gemacht wird — denn die erstern
sind bei genauer Erwägung aller Umstände nicht mehr so verschieden zwischen
Land und Stadt, als sie es in frühern Zeiten waren, und die letztern, die er¬
träumten Annehmlichkeiten, gehen mit dem Zuwachs der Familie gar bald ver¬
loren —, sondern das Übel kommt hauptsächlich daher, daß dem jungen, kräftigen
Arbeiter, der es durch Arbeit und Dienst, auch durch Erheiratung :c. zu etwas
Vermögen gebracht hat, nicht ermöglicht ist, sich auf dem Lande in eigner kleiner
Wirtschaft seßhaft zu machen. Wäre dem fleißigen Arbeiter die Gelegenheit
mehr geboten, sich, wenn auch nur im bescheidensten Maße, auf kleiner Scholle
selbständig zu machen, so würde der arge, immer mehr zunehmende Übelstand
zum Aufhören kommen.

Staat, Städte und Landwirtschaft haben die allerdringendste Veranlassung,
hierfür Hilfe zu schaffen. Der Staat, indem er sich eine körperlich und geistig
kräftige Bevölkerung auf dem Lande erhält, die ihm einen allezeit tüchtigen
Stamm für das Militär und seine monarchische Zukunft abgiebt; die Städte,
um ihr immer mehr anschwellendes Armenbudget zu vermindern; die Landwirt¬
schaft, indem sie sich unabhängig von den äußern Verhältnissen stellt und sich
stützt auf eine Bevölkerung, die ihr durch Erziehung und Ausbildung nahe steht.

Wir müssen nun einmal erkennen und daran festhalten, daß wir einer ganz
neuen Zukunft entgegentreiben, und daß wir mit allen Mitteln nicht mehr im¬
stande sind, die altgewohnten Verhältnisse andauernd aufrecht zu erhalten. Zu
solchen gehört unzweifelhaft dasjenige unsers Dienstpersonnls. Es werden die
Zeiten kommen, und sie sind vielfach schon vorhanden, wo der Grundbesitzer
sein Gesinde sich nur aus dem Arbeiterstande seines Ortes beschaffen kann, wo
dasselbe in der elterlichen Familie bleibt, wo also elterlicher Zwang und der
Drang des Familienlebens in Anspruch genommen werden muß, um das jüngere
Glied desselben an Haus und Ort festzuhalten.

Hat der Grundbesitzer tüchtige Arbeiterfamilien in auskömmlichen Woh¬
nungen, so ist er in der Lage, sich sein Gesinde angemessen zu beschaffen. Es
gehört freilich dazu, daß er eine Kleinigkeit mehr an Kosten aufwende als
bisher, damit auch Eltern und Angehörige von dem dienstlichen Einkommen
Nutzen ziehen. Gewöhnlich genügt es aber schon, daß man dem unverheirateten
Gesinde dasselbe an Lohn, Kost und andern Einkünften gewährt, was sonst
nur das verheiratete Gesinde bekommen würde. Dadurch fällt für Eltern und
Angehörige so viel ab, um diese zu bestimmen, ihre Kinder von anderweitiger
Vermietung und namentlich dem für die Mädchen häufig so verderblichen Abzug


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/550>, abgerufen am 24.08.2024.