Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur landwirtschaftlichen Notlage.

Preise bekäme, den der Landwirt erzielt, wie viel billiger und besser würde der
Arbeiter leben, wie viel mehr würde er leisten, wie viel zufriedener würde er
sein können! Die Annahme, daß die Konkurrenz allein, oder anch nur vor¬
zugsweise, die Preise billiger zu gestalten vermöge, ist irrig, auch der befangenste
muß davon zurückkommen; im Gegenteil, schlechter und erheblich teurer als ohne
sie, die sich häufig sogar noch zur Erstrebung höherer Preise vereinigt, gestaltet
sich dnrch sie der Umsatz.

Ob es nun da nicht angebracht wäre, wenn einmal vorübergehend ein Keil
eingeschoben würde und die städtische" Verwaltungen, vielleicht auch eine Ver¬
einigung von größern Fabriken und Werken, sich herbeiließen, die notwendigsten
Nahrungsmittel an Fleisch und Brot dein Arbeiterstande ohne gewerbsmäßigen
Zwischeunutzcn zum Verkauf zu bringe", muß einer ernsten Erwägung anheim¬
gestellt werden. Eine Vereinigung von Produzenten, der Landwirte und Vieh-
mäster für diesen Zweck, dürfte wohl nicht ganz der Aufgabe entspreche". Sie
würde sich mehr oder minder, jedenfalls aber mit der Zeit, treiben lassen, in
die altgewohnten Reihen einzutreten, und dann mitzunehmen, was sie an Ge¬
winn sich schaffen kann. Sie würde keinesfalls andauernd auf eine erhebliche
Ermäßigung der Einzelpreise einwirken. Villige Preise aber nur vermögen den
bei uns so sehr darniederliegenden Fleischverbrauch zu heben und ihn bis in
die niedersten Schichten zu Nutz und Segen der Arbeiterbevölkerung auszu¬
dehnen. Wie von staatlichen Mvnopolverwaltnngen es gerühmt wird, daß sie
ohne große Erschwernisse bedeutende finanzielle Mittel schaffen, so könnten
anderseits wohl einmal die städtischen Verwaltungen sich dem allgemeine" Nutzen
förderlich erweisen, wenn sie dem Arbeiterstande sein Hauptnahrungsmittel billig
und doch gut in kostenloser Vermittlung zu beschaffen suchten. Polizeiliche
Taxen sind anerkanntermaßen dafür ungenügend.

Die Landwirtschaft hat nun aber nicht allein mit den für sie äußerst
niedrig stehenden Preisen ihrer Produkte zu kämpfen, mich deren Erzeugung
wird ihr erschwert, wenigstens sehr erheblich verteuert. Am einschneidendsten
ist in dieser Beziehung die mehr und mehr um sich greifende Entvölkerung des
platten Landes und der gewaltige Umzug, der von dort in die Städte hinein
stattfindet. Er entzieht der Landwirtschaft den bei ihrem Fortschritt zur intensiven
Kultur so dringend nötigen kräftigen Arbeiterstand und häuft auf die Städte
eine immer mehr zunehmende Last von Sorgen, Ärger, Plant und Qual. Endlich
schwellen durch ihn auch die für eine ruhige Entwicklung des Staates so ver¬
derblichen Massen einer unsteten Bevölkerung immer gewaltiger an.

Die Landwirtschaft ist in so manchen Provinzen neuerdings vielfach ge¬
nötigt, sich die erforderlichen Arbeitskräfte aus weniger kultivirten Gegenden
kommen zu lassen. Dieses Übel ist schon so weit vorgeschritten, daß selbst das
ländliche Dienstgesinde, wie z. B. im Königreich Sachsen, aus andern Ländern
beschafft werden muß. Wenn man bedenkt, welche großen Werte, namentlich


Zur landwirtschaftlichen Notlage.

Preise bekäme, den der Landwirt erzielt, wie viel billiger und besser würde der
Arbeiter leben, wie viel mehr würde er leisten, wie viel zufriedener würde er
sein können! Die Annahme, daß die Konkurrenz allein, oder anch nur vor¬
zugsweise, die Preise billiger zu gestalten vermöge, ist irrig, auch der befangenste
muß davon zurückkommen; im Gegenteil, schlechter und erheblich teurer als ohne
sie, die sich häufig sogar noch zur Erstrebung höherer Preise vereinigt, gestaltet
sich dnrch sie der Umsatz.

Ob es nun da nicht angebracht wäre, wenn einmal vorübergehend ein Keil
eingeschoben würde und die städtische» Verwaltungen, vielleicht auch eine Ver¬
einigung von größern Fabriken und Werken, sich herbeiließen, die notwendigsten
Nahrungsmittel an Fleisch und Brot dein Arbeiterstande ohne gewerbsmäßigen
Zwischeunutzcn zum Verkauf zu bringe», muß einer ernsten Erwägung anheim¬
gestellt werden. Eine Vereinigung von Produzenten, der Landwirte und Vieh-
mäster für diesen Zweck, dürfte wohl nicht ganz der Aufgabe entspreche». Sie
würde sich mehr oder minder, jedenfalls aber mit der Zeit, treiben lassen, in
die altgewohnten Reihen einzutreten, und dann mitzunehmen, was sie an Ge¬
winn sich schaffen kann. Sie würde keinesfalls andauernd auf eine erhebliche
Ermäßigung der Einzelpreise einwirken. Villige Preise aber nur vermögen den
bei uns so sehr darniederliegenden Fleischverbrauch zu heben und ihn bis in
die niedersten Schichten zu Nutz und Segen der Arbeiterbevölkerung auszu¬
dehnen. Wie von staatlichen Mvnopolverwaltnngen es gerühmt wird, daß sie
ohne große Erschwernisse bedeutende finanzielle Mittel schaffen, so könnten
anderseits wohl einmal die städtischen Verwaltungen sich dem allgemeine» Nutzen
förderlich erweisen, wenn sie dem Arbeiterstande sein Hauptnahrungsmittel billig
und doch gut in kostenloser Vermittlung zu beschaffen suchten. Polizeiliche
Taxen sind anerkanntermaßen dafür ungenügend.

Die Landwirtschaft hat nun aber nicht allein mit den für sie äußerst
niedrig stehenden Preisen ihrer Produkte zu kämpfen, mich deren Erzeugung
wird ihr erschwert, wenigstens sehr erheblich verteuert. Am einschneidendsten
ist in dieser Beziehung die mehr und mehr um sich greifende Entvölkerung des
platten Landes und der gewaltige Umzug, der von dort in die Städte hinein
stattfindet. Er entzieht der Landwirtschaft den bei ihrem Fortschritt zur intensiven
Kultur so dringend nötigen kräftigen Arbeiterstand und häuft auf die Städte
eine immer mehr zunehmende Last von Sorgen, Ärger, Plant und Qual. Endlich
schwellen durch ihn auch die für eine ruhige Entwicklung des Staates so ver¬
derblichen Massen einer unsteten Bevölkerung immer gewaltiger an.

Die Landwirtschaft ist in so manchen Provinzen neuerdings vielfach ge¬
nötigt, sich die erforderlichen Arbeitskräfte aus weniger kultivirten Gegenden
kommen zu lassen. Dieses Übel ist schon so weit vorgeschritten, daß selbst das
ländliche Dienstgesinde, wie z. B. im Königreich Sachsen, aus andern Ländern
beschafft werden muß. Wenn man bedenkt, welche großen Werte, namentlich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0549" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/289672"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur landwirtschaftlichen Notlage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1843" prev="#ID_1842"> Preise bekäme, den der Landwirt erzielt, wie viel billiger und besser würde der<lb/>
Arbeiter leben, wie viel mehr würde er leisten, wie viel zufriedener würde er<lb/>
sein können! Die Annahme, daß die Konkurrenz allein, oder anch nur vor¬<lb/>
zugsweise, die Preise billiger zu gestalten vermöge, ist irrig, auch der befangenste<lb/>
muß davon zurückkommen; im Gegenteil, schlechter und erheblich teurer als ohne<lb/>
sie, die sich häufig sogar noch zur Erstrebung höherer Preise vereinigt, gestaltet<lb/>
sich dnrch sie der Umsatz.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1844"> Ob es nun da nicht angebracht wäre, wenn einmal vorübergehend ein Keil<lb/>
eingeschoben würde und die städtische» Verwaltungen, vielleicht auch eine Ver¬<lb/>
einigung von größern Fabriken und Werken, sich herbeiließen, die notwendigsten<lb/>
Nahrungsmittel an Fleisch und Brot dein Arbeiterstande ohne gewerbsmäßigen<lb/>
Zwischeunutzcn zum Verkauf zu bringe», muß einer ernsten Erwägung anheim¬<lb/>
gestellt werden. Eine Vereinigung von Produzenten, der Landwirte und Vieh-<lb/>
mäster für diesen Zweck, dürfte wohl nicht ganz der Aufgabe entspreche». Sie<lb/>
würde sich mehr oder minder, jedenfalls aber mit der Zeit, treiben lassen, in<lb/>
die altgewohnten Reihen einzutreten, und dann mitzunehmen, was sie an Ge¬<lb/>
winn sich schaffen kann. Sie würde keinesfalls andauernd auf eine erhebliche<lb/>
Ermäßigung der Einzelpreise einwirken. Villige Preise aber nur vermögen den<lb/>
bei uns so sehr darniederliegenden Fleischverbrauch zu heben und ihn bis in<lb/>
die niedersten Schichten zu Nutz und Segen der Arbeiterbevölkerung auszu¬<lb/>
dehnen. Wie von staatlichen Mvnopolverwaltnngen es gerühmt wird, daß sie<lb/>
ohne große Erschwernisse bedeutende finanzielle Mittel schaffen, so könnten<lb/>
anderseits wohl einmal die städtischen Verwaltungen sich dem allgemeine» Nutzen<lb/>
förderlich erweisen, wenn sie dem Arbeiterstande sein Hauptnahrungsmittel billig<lb/>
und doch gut in kostenloser Vermittlung zu beschaffen suchten. Polizeiliche<lb/>
Taxen sind anerkanntermaßen dafür ungenügend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1845"> Die Landwirtschaft hat nun aber nicht allein mit den für sie äußerst<lb/>
niedrig stehenden Preisen ihrer Produkte zu kämpfen, mich deren Erzeugung<lb/>
wird ihr erschwert, wenigstens sehr erheblich verteuert. Am einschneidendsten<lb/>
ist in dieser Beziehung die mehr und mehr um sich greifende Entvölkerung des<lb/>
platten Landes und der gewaltige Umzug, der von dort in die Städte hinein<lb/>
stattfindet. Er entzieht der Landwirtschaft den bei ihrem Fortschritt zur intensiven<lb/>
Kultur so dringend nötigen kräftigen Arbeiterstand und häuft auf die Städte<lb/>
eine immer mehr zunehmende Last von Sorgen, Ärger, Plant und Qual. Endlich<lb/>
schwellen durch ihn auch die für eine ruhige Entwicklung des Staates so ver¬<lb/>
derblichen Massen einer unsteten Bevölkerung immer gewaltiger an.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1846" next="#ID_1847"> Die Landwirtschaft ist in so manchen Provinzen neuerdings vielfach ge¬<lb/>
nötigt, sich die erforderlichen Arbeitskräfte aus weniger kultivirten Gegenden<lb/>
kommen zu lassen. Dieses Übel ist schon so weit vorgeschritten, daß selbst das<lb/>
ländliche Dienstgesinde, wie z. B. im Königreich Sachsen, aus andern Ländern<lb/>
beschafft werden muß. Wenn man bedenkt, welche großen Werte, namentlich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0549] Zur landwirtschaftlichen Notlage. Preise bekäme, den der Landwirt erzielt, wie viel billiger und besser würde der Arbeiter leben, wie viel mehr würde er leisten, wie viel zufriedener würde er sein können! Die Annahme, daß die Konkurrenz allein, oder anch nur vor¬ zugsweise, die Preise billiger zu gestalten vermöge, ist irrig, auch der befangenste muß davon zurückkommen; im Gegenteil, schlechter und erheblich teurer als ohne sie, die sich häufig sogar noch zur Erstrebung höherer Preise vereinigt, gestaltet sich dnrch sie der Umsatz. Ob es nun da nicht angebracht wäre, wenn einmal vorübergehend ein Keil eingeschoben würde und die städtische» Verwaltungen, vielleicht auch eine Ver¬ einigung von größern Fabriken und Werken, sich herbeiließen, die notwendigsten Nahrungsmittel an Fleisch und Brot dein Arbeiterstande ohne gewerbsmäßigen Zwischeunutzcn zum Verkauf zu bringe», muß einer ernsten Erwägung anheim¬ gestellt werden. Eine Vereinigung von Produzenten, der Landwirte und Vieh- mäster für diesen Zweck, dürfte wohl nicht ganz der Aufgabe entspreche». Sie würde sich mehr oder minder, jedenfalls aber mit der Zeit, treiben lassen, in die altgewohnten Reihen einzutreten, und dann mitzunehmen, was sie an Ge¬ winn sich schaffen kann. Sie würde keinesfalls andauernd auf eine erhebliche Ermäßigung der Einzelpreise einwirken. Villige Preise aber nur vermögen den bei uns so sehr darniederliegenden Fleischverbrauch zu heben und ihn bis in die niedersten Schichten zu Nutz und Segen der Arbeiterbevölkerung auszu¬ dehnen. Wie von staatlichen Mvnopolverwaltnngen es gerühmt wird, daß sie ohne große Erschwernisse bedeutende finanzielle Mittel schaffen, so könnten anderseits wohl einmal die städtischen Verwaltungen sich dem allgemeine» Nutzen förderlich erweisen, wenn sie dem Arbeiterstande sein Hauptnahrungsmittel billig und doch gut in kostenloser Vermittlung zu beschaffen suchten. Polizeiliche Taxen sind anerkanntermaßen dafür ungenügend. Die Landwirtschaft hat nun aber nicht allein mit den für sie äußerst niedrig stehenden Preisen ihrer Produkte zu kämpfen, mich deren Erzeugung wird ihr erschwert, wenigstens sehr erheblich verteuert. Am einschneidendsten ist in dieser Beziehung die mehr und mehr um sich greifende Entvölkerung des platten Landes und der gewaltige Umzug, der von dort in die Städte hinein stattfindet. Er entzieht der Landwirtschaft den bei ihrem Fortschritt zur intensiven Kultur so dringend nötigen kräftigen Arbeiterstand und häuft auf die Städte eine immer mehr zunehmende Last von Sorgen, Ärger, Plant und Qual. Endlich schwellen durch ihn auch die für eine ruhige Entwicklung des Staates so ver¬ derblichen Massen einer unsteten Bevölkerung immer gewaltiger an. Die Landwirtschaft ist in so manchen Provinzen neuerdings vielfach ge¬ nötigt, sich die erforderlichen Arbeitskräfte aus weniger kultivirten Gegenden kommen zu lassen. Dieses Übel ist schon so weit vorgeschritten, daß selbst das ländliche Dienstgesinde, wie z. B. im Königreich Sachsen, aus andern Ländern beschafft werden muß. Wenn man bedenkt, welche großen Werte, namentlich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/549
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/549>, abgerufen am 25.08.2024.