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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Theodor Althaus.

zu können, als indem wir ein paar Stellen aus dem Briefe hierhersetzen,
mit welchem Theodor Althaus seiner frommen Mutter die "Märchen aus der
Gegenwart" sandte, einem Briefe, den Friedrich Althaus seinem ganzen Wort¬
laute nach mitteilt und von dem er ganz richtig sagt, daß wohl selten ein
schönerer, weihevollerer Brief von einem Sohne an seine Mutter geschrieben
worden sei. Er hätte hinzufügen können, daß eben dieser Brief eine unbeab¬
sichtigte Selbstcharakteristik des Schreibers einschließt, die ihn in ein verklärendes
und dennoch wahres Licht rückt: "Nimm mich in diesem Buch, liebste Mutter,
wie ich werde und wie ich lebe. Unsre Gemeinschaft ist darum mehr geworden
und geblieben als das Naturgefühl von deiner Seite und dankbare Erinnerung
von meiner Seite, sie ist mehr, inniger und echter dadurch geworden, daß du
es verstandest, aus meinen Worte", aus dem, was ich dachte und dichtete, den
einen Ton zu erkennen und in dich aufzunehmen, der dir und allen guten Herzen
verwandt und befreundet klingt. Und laß es mich jetzt wiederholen, wie froh
und dankbar ich stets das Glück empfinde, daß unser Verhältnis aus jener be¬
schränkten Sphäre, der die Welt und dein Sohn mehr und mehr entwachsen,
sich gehoben hat in die helleren, geistigen Kreise; daß die ewigen Gedanken,
welche die Menschheit bewegen, trennen und vereinigen, auch uns bewegt haben,
zwischen uns lebendig gewesen sind, auch uns getrennt und vereinigt haben.
Ich gebe wenig auf jene romantische Poesie, die in Momenten der Verlassen¬
heit sich mit Thränen und Träumen an das Mutterherz zurücksehnt, denn
es sind nur Momente und nicht das Leben, Momente der Schwachheit und
nicht der Kraft. Zu dir aber, du weißt es, komme ich nicht in solchem Sinn,
sondern dir teile ich mit, was mein Leben füllt, was kräftig in ihm ist; wenn
dein Bild vor mir steht, so empfinde ich neu, daß die Liebe die größte ist,
denn sie, und sie allein, hat dich den neuen Gedanken vertraut gemacht, hat
dir gegeben, was so vielen versagt ist: das Edle und Ewige in ihnen zu er¬
kennen und zu lieben. Meine ganze Seele lebt in dem großen Pulsschlag der
Geschichte dieser Gedanken in der Menschheit und ihrer Zukunft; aber wie schön
ist es auch, im engsten Kreise, in der häuslichen Umschränkung, in der Geschichte
der Eltern und der Kinder, im Verhältnis der Mutter zu ihrem Sohne ein
Moment aus diesem Weltleben zu empfinden, ein Spiegelbild des werdenden,
aufstrebenden Alls! Die Liebe zu dir hält das in mir wach und lebendig,
was andre in dem schweren Drange der Zeit so rasch vergessen: die Sanftmut'
die Freiheit, welche anerkennen kann, den milden Blick, der in so vielen Gestalten
und Welterscheinungen gern den Zug sieht, welcher das Gute und Wahre will
und auch aus Quellen, zu denen wir nicht mehr gehen, Wasser des Lebens und
der Liebe schöpft."




Theodor Althaus.

zu können, als indem wir ein paar Stellen aus dem Briefe hierhersetzen,
mit welchem Theodor Althaus seiner frommen Mutter die „Märchen aus der
Gegenwart" sandte, einem Briefe, den Friedrich Althaus seinem ganzen Wort¬
laute nach mitteilt und von dem er ganz richtig sagt, daß wohl selten ein
schönerer, weihevollerer Brief von einem Sohne an seine Mutter geschrieben
worden sei. Er hätte hinzufügen können, daß eben dieser Brief eine unbeab¬
sichtigte Selbstcharakteristik des Schreibers einschließt, die ihn in ein verklärendes
und dennoch wahres Licht rückt: „Nimm mich in diesem Buch, liebste Mutter,
wie ich werde und wie ich lebe. Unsre Gemeinschaft ist darum mehr geworden
und geblieben als das Naturgefühl von deiner Seite und dankbare Erinnerung
von meiner Seite, sie ist mehr, inniger und echter dadurch geworden, daß du
es verstandest, aus meinen Worte», aus dem, was ich dachte und dichtete, den
einen Ton zu erkennen und in dich aufzunehmen, der dir und allen guten Herzen
verwandt und befreundet klingt. Und laß es mich jetzt wiederholen, wie froh
und dankbar ich stets das Glück empfinde, daß unser Verhältnis aus jener be¬
schränkten Sphäre, der die Welt und dein Sohn mehr und mehr entwachsen,
sich gehoben hat in die helleren, geistigen Kreise; daß die ewigen Gedanken,
welche die Menschheit bewegen, trennen und vereinigen, auch uns bewegt haben,
zwischen uns lebendig gewesen sind, auch uns getrennt und vereinigt haben.
Ich gebe wenig auf jene romantische Poesie, die in Momenten der Verlassen¬
heit sich mit Thränen und Träumen an das Mutterherz zurücksehnt, denn
es sind nur Momente und nicht das Leben, Momente der Schwachheit und
nicht der Kraft. Zu dir aber, du weißt es, komme ich nicht in solchem Sinn,
sondern dir teile ich mit, was mein Leben füllt, was kräftig in ihm ist; wenn
dein Bild vor mir steht, so empfinde ich neu, daß die Liebe die größte ist,
denn sie, und sie allein, hat dich den neuen Gedanken vertraut gemacht, hat
dir gegeben, was so vielen versagt ist: das Edle und Ewige in ihnen zu er¬
kennen und zu lieben. Meine ganze Seele lebt in dem großen Pulsschlag der
Geschichte dieser Gedanken in der Menschheit und ihrer Zukunft; aber wie schön
ist es auch, im engsten Kreise, in der häuslichen Umschränkung, in der Geschichte
der Eltern und der Kinder, im Verhältnis der Mutter zu ihrem Sohne ein
Moment aus diesem Weltleben zu empfinden, ein Spiegelbild des werdenden,
aufstrebenden Alls! Die Liebe zu dir hält das in mir wach und lebendig,
was andre in dem schweren Drange der Zeit so rasch vergessen: die Sanftmut'
die Freiheit, welche anerkennen kann, den milden Blick, der in so vielen Gestalten
und Welterscheinungen gern den Zug sieht, welcher das Gute und Wahre will
und auch aus Quellen, zu denen wir nicht mehr gehen, Wasser des Lebens und
der Liebe schöpft."




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[0523] Theodor Althaus. zu können, als indem wir ein paar Stellen aus dem Briefe hierhersetzen, mit welchem Theodor Althaus seiner frommen Mutter die „Märchen aus der Gegenwart" sandte, einem Briefe, den Friedrich Althaus seinem ganzen Wort¬ laute nach mitteilt und von dem er ganz richtig sagt, daß wohl selten ein schönerer, weihevollerer Brief von einem Sohne an seine Mutter geschrieben worden sei. Er hätte hinzufügen können, daß eben dieser Brief eine unbeab¬ sichtigte Selbstcharakteristik des Schreibers einschließt, die ihn in ein verklärendes und dennoch wahres Licht rückt: „Nimm mich in diesem Buch, liebste Mutter, wie ich werde und wie ich lebe. Unsre Gemeinschaft ist darum mehr geworden und geblieben als das Naturgefühl von deiner Seite und dankbare Erinnerung von meiner Seite, sie ist mehr, inniger und echter dadurch geworden, daß du es verstandest, aus meinen Worte», aus dem, was ich dachte und dichtete, den einen Ton zu erkennen und in dich aufzunehmen, der dir und allen guten Herzen verwandt und befreundet klingt. Und laß es mich jetzt wiederholen, wie froh und dankbar ich stets das Glück empfinde, daß unser Verhältnis aus jener be¬ schränkten Sphäre, der die Welt und dein Sohn mehr und mehr entwachsen, sich gehoben hat in die helleren, geistigen Kreise; daß die ewigen Gedanken, welche die Menschheit bewegen, trennen und vereinigen, auch uns bewegt haben, zwischen uns lebendig gewesen sind, auch uns getrennt und vereinigt haben. Ich gebe wenig auf jene romantische Poesie, die in Momenten der Verlassen¬ heit sich mit Thränen und Träumen an das Mutterherz zurücksehnt, denn es sind nur Momente und nicht das Leben, Momente der Schwachheit und nicht der Kraft. Zu dir aber, du weißt es, komme ich nicht in solchem Sinn, sondern dir teile ich mit, was mein Leben füllt, was kräftig in ihm ist; wenn dein Bild vor mir steht, so empfinde ich neu, daß die Liebe die größte ist, denn sie, und sie allein, hat dich den neuen Gedanken vertraut gemacht, hat dir gegeben, was so vielen versagt ist: das Edle und Ewige in ihnen zu er¬ kennen und zu lieben. Meine ganze Seele lebt in dem großen Pulsschlag der Geschichte dieser Gedanken in der Menschheit und ihrer Zukunft; aber wie schön ist es auch, im engsten Kreise, in der häuslichen Umschränkung, in der Geschichte der Eltern und der Kinder, im Verhältnis der Mutter zu ihrem Sohne ein Moment aus diesem Weltleben zu empfinden, ein Spiegelbild des werdenden, aufstrebenden Alls! Die Liebe zu dir hält das in mir wach und lebendig, was andre in dem schweren Drange der Zeit so rasch vergessen: die Sanftmut' die Freiheit, welche anerkennen kann, den milden Blick, der in so vielen Gestalten und Welterscheinungen gern den Zug sieht, welcher das Gute und Wahre will und auch aus Quellen, zu denen wir nicht mehr gehen, Wasser des Lebens und der Liebe schöpft."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/523>, abgerufen am 24.08.2024.